7 Monate später

Sie zitterte am ganzen Körper. Nicht einmal als sie in die Sonne trat, wurde es besser. Der Schock lag tiefer als die Kälte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass die Sonne etwas half. Sie schloss die Augen und sah Blut. Für einen seltsamen Moment hatte sie das Gefühl, dass Blut von ihren Armen lief. Alles war voller Blut, alles roch nach Blut. Doch dann war es auch wieder vorbei. Wie konnte man nur so leben, so etwas tun? Sie verstand es nicht. Alles was sie tun konnte war leugnen. Sie musste sich selbst einreden, dass sie all das nicht gesehen hatte. Sie dachte an die strahlenden Krieger, die voller Hoffnung in ihre kleine Stadt gekommen waren. Sie hatten sich alles genommen, was sie gewollt hatten. Sie waren eine Plage gewesen. Doch das Blutfest danach war noch schlimmer ausgefallen. Es schauderte ihr. Es ekelte sie vor dem Blut. Die Akari waren ausgezogen um zu retten, was noch zu retten war. Sie machten dabei nicht viel Unterschied zwischen Freund und Feind. Der Schmerz machte auch keinen Unterschied. Es schüttelte sie.
Jetzt war es fürs erste vorbei. Die Truppen waren weitergezogen. Doch nichts würde mehr so wie früher sein. Die Königreichtruppen waren überrannt worden. Jetzt begann der Exodus. Goscha hatte ihren Bauernhof liegen gelassen. Viel war sowieso nicht mehr übrig gewesen. Sie hatte auch das Grab ihrer Eltern liegen gelassen. Das Gold, was sie besessen hatte, hatten andere für sie genommen. Auch von den Feldern war nicht mehr viel übrig. Es war Mitte Sommer, Zeit des Wachstums. Doch alles was noch wuchs war der Tod. Er spross in roten Blüten. Sie starrte in die Sonne. Die Strahlen konnten keine Tränen mehr aus ihren Augen locken. Sie hatte schon genug geweint. Jetzt war sie im Inneren nur noch leer. Irgendwann würde alles seine Schrecklichkeit verlieren. Sie hatte Angst vor diesem Moment. Sie hatte sehr viel Angst. Vielleicht hatte sie erst in den letzten Tagen begriffen, wie viele verschiedene Formen von Angst es gab oder wie viele verschiedene Formen von Ekel. Goscha hatte das Gefühl sie alle in den letzten Tagen kennen gelernt zu haben.

Sie lauschte. Sie lauschte dem dumpfen klang von Metall auf Metall, dem Klappern von Geschirr und Besteck. Sie lauschte dem Leben ohne daran Teil zu nehmen. Sie war nur ein stummer Zuhörer. Sie erfreute sich nicht an den leisen Gekicher oder an den sanften Stimmen, die mit dem Wind durch die Blätter raschelten. Sie erschreckte auch nicht vor den hasserfüllten oder verzweifelten Schreien zurück. Sie war nicht Teil dieser Ekel zerfressenen Welt. Der Duft, der langsam in ihre Nase stieg, hatte nichts mehr gemein mit dem Pankett, was vor ihren Augen schwebte. Alles vermischte sich in ein großes Einerlei. Das Gefühl war überwältigend. Das Gelächter dröhnte in ihrem Kopf. Sie presste ihre Hände auf ihre Ohren. Doch das half nichts. Der Lärm kam von Innen. Er echote an ihren Schädel, bis sie glaubte, er müsste platzen. Sie schüttelte ihn, doch das Gefühl ließ nicht nach. Schließlich öffnete sie den Mund und all der Lärm ergoss sich in Form eines Schreiß.
Plötzlich war alles still. Die Menschen waren mit aufgerissenen Mündern erstarrt. Sie beobachtete den ersten ruhig und sah, wie langsam ein Faden Blut aus seinen Mundwinkel hinunter ronn. Dann spuckte jemand Blut. Tropfen trafen ihre Hand. Fasziniert beobachtete sie, wie die Flüssigkeit zäh über ihren Handrücken rann und sich dann seinen Weg zum Boden suchte. Sie fuhr sich ins Gesicht. Über ihre Wange zog sich noch mehr klebrige Flüssigkeit. Ihre Fingerspitzen waren rot. Ekel stieg in ihr hoch. Sie würgte. Dann erbrach sie Blut so wie all die anderen. Vorsichtig wandte sie sich zu den Statuen um, die vielleicht einmal Menschen gewesen waren. Alles war in rotes Blut getaucht.
Sie krappelte über den roten, glitschigen Boden. Ihre Lider waren schwer. Alles an ihr wurde langsam träge. War sie auch dabei zu Säule zu erstarren? Sie schob eine klebrige Strähne aus dem Gesicht. Dann entdeckte sie in Mitten des Bildes ein kleines Leuchten. Es pulsierte. Langsam erhob sich ein Blatt aus der Flüssigkeit. All der Dreck und Gestank perlte von ihm ab. Es erstrahlte in hellem rot, nicht unähnlich dem Blut und doch fundamental anders. Vor ihrem Gesicht öffnete sich eine süß duftende Blüte. Sie sah aus wie eine zerbrechliche Blume, doch ihre Wurzeln begannen sich über alles zu strecken. Ihre Wurzeln sogen all das Blut in sich auf und färbten ihre Blätter rot. Sie wuchsen mit Atem raubender Geschwindigkeit. Stück für Stück formten sie ein Zeichen. Das war ihr Zeichen.

Zusammengekauert saß er auf seinen Bett. Die Arme waren fest um seine Knie geschlungen. Seine Gedanken wanderten unfokusiert hin und her. Er wusste, er könnte all diese Sorgen ohne Probleme aus seinem Kopf verbannen. Die Magie half ihn dabei. Aber er wusste auch, dass sie irgendwann unkontrolliert wieder hoch kommen würden. So ließ er sie wandern und wandern und hoffte, dass es irgendetwas besser machen würde. Immer schon seit dem Tag, als die Soldaten die Hauptstadt verlassen hatten, saß er diese Gesichter in seinem Kopf. Sie starrten ihn an mit diesen großen vorwurfsvollen Augen. Da war der alte Mann. Goldstück echote in seinem Kopf. Obwohl er lästig und aufrdinglich gewesen war, hatte er das doch nicht verdient. Als nächstes wanderten seine Gedanken zur akari mit den silbernen Strähnen in ihrem Haar und den noblen Blick in ihrem Gesicht. Ihr Misch hatte helles Fell gehabt, fast golden. "Du sagst, dir sind die Hände gebunden. Entspricht das wirklich der Wahrheit?" Die Worte hatte sie nie gesagt. Aber seine Gedanken legten sie ihr in den Mund. "Was kann ein einzelner Mann schon tun?" "Alle großen Sachen beginnen mit den Taten eines einzelnen Mensch!", flüsterte ihm jetzt seine Schwester zu. "Du kannst so ein Mensch sein! Du hast Gaben in dir." Aber im Grunde wollte er nicht so ein Mensch sein. Er hatte Angst. War das nicht normal? "Riechst du es? Riechst du die Veränderung?" Da war es wieder, das Gesicht, was ihn von allen am meisten quälte. Er schnürrte seine Knie enger an den Körper. Was konnte er schon tun, was nicht eine Armee mit blank polierten Rüctungen viel besser konnte? Aber ihr Lächeln quälte ihn weiter. Schlussendlich griff er doch zur Magie, um endlich einschlafen zu können.

Er sog die kühle Nachtluft ein, die durch sein Fenster drang. Langsam lehnte er sich zurück. Die Kerze war inzwischen heruntergebrannt und samtene Dunkelheit breitete sich in ihm und um ihn aus. Er schnupperte. Irgendetwas veränderte sich. Es hatte begonnen. Seine Augen schlossen sich leicht. Er war sich ganz sicher, dass es begonnen hatte. Er hatte das glitzernde Metall gesehen und die Überheblichkeit. Die zwei Dinge bedingten sich fast gegenseitig. Es ekelte ihn an. Er schluckte. Dann fuhr er durch seine langen Haare. Die Luft hatte sich verändert. Sie war jetzt schwerer. Fast glaubte er Blut darin riechen zu können. Doch das war sicher nur Einbildung. Geräuschvoll schob er den Sessel ein Stück nach hinten. Noch war alles soweit weg. Es war ein unbestimmtes Gefühl in seinem Magen, so fern, dass man glauben konnte nichts damit zu tun zu haben. Niemand dort draußen in der Stadt dachte an die Menschen, die gestern oder heute oder vielleicht erst morgen so weit weg starben.
Es klopfte an der Tür. Er schreckte hoch. „Junger Herr! Schlafen sie schon?“ Seine Hände tasteten nach einer neuen Kerze. Er schüttelte den Kopf. Sein Diener streckte eine Lampe vor. Er erhob sich und ließ die Kerze liegen. „Ich wollte ihn wegschicken, junger Herr. Aber er bestand darauf Sie heute noch zu sprechen!“ Er wusste genau um wen es ging. Im Grunde hatte er ihn erwartet und sein Auftauchen war nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Normalität ein kleines Stück gedreht hatte. Mit wenigen Schritten war er bei der Tür. „Ist schon in Ordnung.“ Er legte eine Hand auf die Schulter des Dieners, eine Geste, die er sich erst in der Stadt angewöhnt hatte. Kurz schnupperte er. „Riecht es nicht irgendwie seltsam?“ Der Diener schüttelte den Kopf.


© lerche


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