Engeltod VII - Rocksongs

© EINsamer wANDERER

In einer Irrenanstalt tauchte der zweite Reiter auf. Ein Umhang mit Kapuze verhüllte das Gesicht der Reiterin. Beständiges Zischen drang aus dem Dunkel ihrer Kopfbedeckung. Ein Chor wispernder Stimmen umhüllte sie, wie einen Mantel. Sie trug ihre sägenartige Waffe auf den Rücken. Es waren mehrere, ineinander greifende Sägeblätter, die durch eine großen Metallstange verbunden waren. Sie war nackt, bis auf ein Paar weiße Bandagen, die ein paar Teile ihres Körpers verdeckten. Eine große, giftgrüne Hyäne trug die zierliche Gestalt der Reiterin. Der Geifer des Tieres tropfte auf den Boden, zersetzte ihn und ließ giftige Dämpfe emporsteigen. Ein unheimliches Kichern drang aus der Kehle des Tieres. Die Geisteskranken fingen zu wimmern, zu schreien und zu lachen an. Die Räume verzerrten sich, wurden wie Kaugummi, in die Länge gezogen und bogen sich, unter der Macht der Reiterin. Es erschienen Dinge- Bilder, die niemals existierten und doch schon immer da waren. Die Angestellten konnten sich nicht der Macht des Wahnsinns erwehren. Sie fielen in einen katatonischen Zustand. Es schien, als wenn die Reiterin die gesamte Welt in einen Abgrund des Wahnsinns stürzte. Sie hatte den Ruf gehört. Das Ende war nahe und kein Sterblicher würde sie aufhalten.

Lucy betrachte kritisch die Sonnenbrille. Sie wurde gedreht und von allen Seiten betrachtet. Nachdem sie sich von Raphael verabschiedet hatte, wollte sie sich noch ein bisschen in der Stadt umsehen. Hier würde die finale Schlacht zwischen Gut und Böse stattfinden. Mal wieder, dachte Lucy freudig. Sie wollte noch ein paar Einkäufe tätigen, bevor die Hölle losbrach. Seit ihres letzten ,,Besuches“, hatte sich die Technik der Menschen stark weiterentwickelt. Anders, als im Paradies, der Welt der Engel, wo ein technischer Stillstand herrschte. Dort klimperten die Engel wie eh und je auf Harfen herum und schwangen ihre veralteten Waffen. Und sollte ein Engel einen Menschen erscheinen, sprach er in Rätseln, um die eigene Unwissenheit zu verbergen. Bei Fortschritt musste Lucy an ihre Waffe denken, die sie schon vor einigen Jahrhunderten, von den Menschen bekommen hatte. Sie tätschelte ihre Waffe liebevoll. Damals, bei der Übergabe der goldenen Waffe, hatte sie den mordernsten Revolver der Welt besäßen, heute war er mehr als überholt. Vielleicht bekam sie wieder eine neue Waffe. Bei dem Gedanken lief ein kalter Schauer der Vorfreude über ihren Rücken. Die Menschen hatten neben besseren Waffen auch Sonnenbrillen erfunden, die Lucy schon immer extrem cool fand, obwohl sie ihren genauen Zweck nicht kannte. Sie entschied sich für eine mit weißem Gestell. Verschmitzt schaute sie in den Spiegel, der am Brillenständer befestigt war. Die Brille stand ihr ausgesprochen gut. Der Engel puhlte pfeifend das Schild ab und warf es hinter sich weg. Lucy setzte die Brille auf und ging gemächlich die Mall entlang. Die Welt der Menschen gefiel ihr von mal zu mal besser. Sie spielte wieder mit den Gedanken, sich hier niederzulassen. Ungeheuer gab es hier alle mal. Außerdem war es nie so langweilig wie in ihrer Welt. Dort waren alle Tage gleich. Rechts sah Lucy einen Elektronikladen. Mit schnellen Schritten ging sie hinein. Wer wusste schon, wie lange der Laden noch stehen würde. Sowas war ihr in der Vergangenheit schon öfters passiert. Ein großes Monster kam und zerstörte ausgerechnet den Laden, den Lucy noch einen Besuch abstatten wollte, ohne auf die anderen Läden auch nur zu schielen. Das waren die Momente, wo sie dachte, dass sich die Hölle gegen sie verschworen hätte, was sie nicht verwundern würde. Rasch sah sie sich die elektronischen Angebote an. Ein weißer iPod erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie betrachtete ihn genauer und befand ihn für zu schmucklos. Doch die Form gefiel ihr sehr. Sie suchte einen Karton, mit der Abbildung des gewünschten Gegenstandes, heraus. Die lästige Verpackung ignorierend, durchschlug sie ihn und riss den iPod heraus. So langweilig, wie auf der Verpackung, dachte der Engel. Doch das lässt sich ändern. Goldene, verschnörkelte Linien tauchten auf den iPod auf. Ein selbstzufriedenes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Schon viel besser. Ein Tippen auf den Bildschirm reichte aus, um das Gerät in Gang zu kriegen und alle Rocksongs der Welt runterzuladen. Lucy drückte gerade die Ohrstöpsel in das passende Loch, als sie jemand am Arm packte. ,,Moment mal. Ich beobachte Sie schon ´ne ganze Weile. Sie haben für die Sonnenbrille nicht bezahlt und ich glaube für das“, er zeigte auf den iPod, ,,wollten Sie sicher auch nicht zahlen.“ Lucy setzte ihr schönstes Lächeln auf. ,,Ich will es mir nur borgen, außerdem dient es einem höheren Zweck. Der Vatikan wird es sicher später bezahlen.“ Der Mann verdrehte die Augen, ,,Das ist ja mal etwas ganz originelles. Natürlich sind sie mit dem Papst befreundet und gehen jedes Wochenende mit ihm, auf Ihrer Luxusyacht, angeln und danach gibt es in Ihrem Schloss Kaffe und Kuchen. Sie kommen jetzt erst einmal mit mir mit. In den ganzen Jahren, als Kaufhausdetektiv ist mir noch nie ein Ladendieb durch die Lappen gegangen.“ ,,Es gibt für alles ein erstes Mal.“, antwortete der Engel trotzig. Mit einem Ruck riss sie sich los und rannte davon. Sie hörte den Mann noch stöhnen und sagen: ,,Sie laufen zuerst immer alle weg.“ Er schien Verstärkung zu rufen, denn überall tauchten Sicherheitskräfte auf. ,,Dass kann ja heiter werden.“, murmelte Lucy zu sich selbst. Sie blieb stur stehen, um den Coolness-Faktor zu erhöhen und die, sich anbahnende, Verfolgungsjagd spannender zu machen. Seelenruhig steckte sie sich die Ohrstöpsel rein und konzentrierte ihre Gedanken auf das Lied, welches sie im Engeltod gehört hatte. Das Gerät reagierte sofort. Auf dem Bildschirm erschien Bon Jovi – Have a nice day. Die Klänge einer Gitarre drangen an ihr Ohr. ,,Why you wanna tell me how to live my life?” Die Sicherheitskräfte kamen näher, doch Lucy machte keine Anstalten zu fliehen. ,,Mama, can you hear me? Try to understand.” Ihre Hand ging instinktiv zum Revolver. ,,Is innocence the difference between a boy and a man?” Die Sicherheitskräfte waren nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt. ,,My Daddy lived the lie, it’s just the price that he paid? Sacrificed his life just Slavin´ away.“ Explosionsartig sprang Lucy, über die Sicherheitskräfte und rannte. Die Sicherheitsleute machten sich sofort an die Verfolgung. ,,Ohh, if there´s one thing I hang onto, that´s gets me though the night.” Lucy schaute über ihre Schulter. Sie hatte schon einen gewaltigen Vorsprung. Das war zu einfach. Sie blieb auf der Stelle stehen, drehte sich zu den Verfolgern um und klatschte anfeuernd in die Hände. ,,I ain´t gonna do what don´t want to, I´m gonna live my life.“ Manche versuchten ihre Chance zu nutzen und Lucy einzuholen. Gerade, als einer sie packen wollte, duckte sie sich weg und rannte den keuchenden Kollegen entgegen. Die verfolgten, mit unfassbaren Blicken, wie Lucy anmutig an ihnen vorbeirannte. Wie ein geölter Blitz, raste Lucy die Rolltreppen zum Parkdach hoch. Geschickt wich sie den mit Einkäufen beladenen Passanten aus. Die ausdauerndsten Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen. Aber nur, weil Lucy sich Zeit ließ. Der Engel rannte zum Rand des Daches. ,,Standing on the ledge, I show the wind how to fly.” Und sprang von der Kante, auf ein niedrigeres Gebäude. Sie rollte sich ab, um die Wucht des Sprungs abzufedern. ,,I say, have a nice day.“ Geschmeidig erhob sie sich und drehte das Gesicht zu ihren Verfolgern um, die sich nicht trauten den selbstmörderischen Sprung nachzumachen. Stattdessen begnügten sie sich mit verblüfftem Glotzen. ,,Have a nice day.“ Lucy winkte die Wachleute herüber, doch vergebens. Lachend zeigte sie ihnen den Mittelfinger und ging ans andere Ende des Daches, um sich in die Häuserschlucht fallen zulassen. Die Melodie des Liedes nachpfeifend, setzte sie ihre ,,Shoppingtour“ fort. Es tat gut, wieder bei den Menschen zu sein.

Es klingelte mal wieder an Marks Tür. Wütend stampfte er darauf zu. Der Zorn auf den Engel brodelte immer noch in seiner Magengrube. Er schwor sich, wenn das jemand unwichtiges, wie die Zeugen Jehovas oder ein Versicherungsvertreter, war, würde er ihm die Fresse einschlagen. Aber dem war nicht so. Es war ein Mann mit Augen, wie flüssiges Gold. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug. Seine schneeweißen Haare waren mit Gel zurückgekämmt worden. Die porzellanähnliche Haut, ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft. Ein schwarzes Hemd, war das einzige an ihm, das nicht weiß war. Mark stöhnte innerlich. Na toll, noch einer, von der Sorte. Er versuchte ein freundliches Lächeln aufzusetzen, doch es wirkte sehr verkrampft. ,,Sie wünschen?“ Der Engel erwiderte das Lächeln. Frauen hätten es sicherlich als das ,,perfekte, Charmante Lächeln“ bezeichnet. ,,Ich bin ein Freund von Lucy. Oben glaubt man, dass sie allein mit der Situation nicht fertig werden. Deshalb schickte man mich, um euch zu unterstützen.“ Er reichte Mark die Hand zum Gruß hin. ,,Mein Name ist Angelo.“ Mark ging einen Schritt zur Seite, ohne in die Hand einzuschlagen. ,,Kommen Sie rein.“, sagte er, ohne seinen Unmut zu verbergen. Bald würde sein Apartment voll von himmlischen Heerscharen sein. Beim Gedanken an tausend Lucys, schüttelte es ihn.

Einsam und verlassen lag das Portmonee auf der Straße herum. Genau, wie ich, dachte Dark. Der Junge hob es vom Boden auf. Er würde es bei der Polizei abgeben. Aber nicht ohne einen Finderlohn zu beanspruchen, beendete Baal den Gedanken. Zu Darks Verdruss hatte der Dämon recht. Er durchsuchte das Portmonee. Die Kreditkarte, der Personalausweis, verschiedene andere Ausweise. Nur Bares, ermahnte er sich. Letztlich war die Ausbeute gerade groß genug für eine Mahlzeit. Aber für den Jungen reichte es. Zuerst einmal ging er zur nächsten Polizeistation, öffnete die Tür, schmiss das Portmonee rein und rannte so schnell er konnte. Er wollte nicht das Risiko eingehen, erkannt zu werden. Routiniert tauchte er in der Menschenmenge unter. Dark ging in eine Biker-Bar. Er hatte versucht etwas mit geringerem Risiko-Faktor zu finden, doch es ließ sich nichts anderes auftreiben. Hoffentlich läuft es nicht wie bei meiner letzten Bremsligen Situation mit Menschen, dachte er nervös. Kapuze auf den Kopf, starrer Blick auf die Füße und Hände in den Jackentaschen, so versuchte er seit jeher Ärger weites gehend zu meiden. Du weißt, dass deine Körperhaltung, die eines perfekten Opfers ist? Dabei wissen wir beide, dass du ein Wolf im Schafspelz bist, meinte Baal schadenfroh. Mit einem Teufel im inneren, führte Dark den Gedanken weiter. Und so ging er in das lärmende Etablissement. Alles verstummte, bei seinem eintreten und es blieb auch dabei. Nur die Anlage spielte ungerührt ihre Lieder weiter. Er ging zum Bediensteten, der ihm am nächsten war. ,,Was können Sie mir Empfehlen? Ich sterbe vor Hunger.“ Wenn’s nur so wäre, kicherte Baal. Dark versuchte sich nichts vom Kommentar anmerken zu lassen, aber innerlich schäumte er vor Wut. Wieso musste dieser Dämon immer alles Kommentieren? ,,Hey, du!“ , sprach ihn jemand von der Seite an. Dark würdigte ihn keines Blickes, geschweige denn eines Wortes. Mit ,,Du“ lass ich mich nicht anreden, dachte er verbissen. ,,Du mit der Kapuze auf den Kopf! Bist du taub? Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede! Hier haben nur Hells Angels zutritt.“ Ein neues Lied begann. Zuerst nur eine leise Melodie, dann wurde es lauter und es gesellten sich Schlagzeug und Gitarre dazu. Dark hörte es zweimal hintereinander Schnippen. Es kam aus der Richtung des Typen, der ihn von der Seite angequatscht hatte. Der Junge fühlte, wie jemand auf ihn zeigte und sich ihm schwere Schritte näherten. ,,Siehst du mich?“, drang es aus den Lautsprechern. ,,Hörst du mich?“ Dark wurde grob gepackt und zur Seite gerissen. ,,Was hab ich dir getan? Warum zerstörst du mich?“ Seine Augen weiteten sich vor Angst, der Dämon könne wieder die Kontrolle übernehmen. Er wurde, von einem bärtigen Biker mit Kopftuch und Biergestank, gepackt. ,,Bist du zu taub oder zu blöd, um es zu kapieren?“, fuhr ihn der Biker an. ,,Füllst du mich? Spürst du mich?“, fuhr der Sänger aus der Anlage ungerührt fort. Dunkelheit keimte in Darks Herzen auf. ,,Wenn du mich nicht mehr liebst, warum berührst du mich?“ Dark zitterte vor Angst und Kälte. ,,Gleich heult er.“, hörte er jemanden sagen, der anscheinend seine Körpersprache missverstanden hatte. Die anderen fingen an zu lachen. Das alles kam Dark seltsam bekannt vor, wie aus einem Leben, das nicht seines war… nicht mehr. Er wusste, dass er gleich alle töten würde. ,,Brauchst du mich?“ Darks Lippen pressten sich zusammen. Er versuchte mit aller Kraft dagegen anzukämpfen. Der Biker schüttelte ihn. Das Einzige, was Dark noch von seiner Umwelt wahrnahm, war das Lied. ,,Sag, glaubst du nicht, dass es besser ist, du lebst dein Leben ohne mich.“ Darks Kopf schien zu platzen. Ein unheimlicher Druck baute sich in ihm auf. Die Haut drohte aufzureißen, wie Klamotten, die etliche Nummern zu klein waren. Er fühlte sich, wie ein kleines Licht, das in einem tosenden Meer aus Dunkelheit versank. ,,Erkennst mich?“ Das Licht wurde kleiner. ,,Verstehst du mich?“ Tiefer und tiefer glitt er in die Dunkelheit hinab. ,,Warum bist du überhaupt noch hier? Was willst du noch von mir?“ Dark schloss die Augen. ,,Augen auf. Wer sieht, versteht, wie gnadenlos die Zeit vergeht.“ Seine Nackenhaare sträubten sich. Er riss die Augen auf. Der Welt waren sämtliche Farben entzogen worden. Alles war schwarzweiß. Die Menschen bewegten sich im Sekundentakt. Verbissen versuchte er, die in ihm aufkeimende Mordlust zu unterdrücken. Irgendwie musste er die Menschen vor sich warnen, aber er hatte zu viel damit zu tun, nicht die Kontrolle zu verlieren. ,,Wie sich der Zeiger dreht- unentwegt. Er steht nicht still.“ Dark verlor die den Kampf mit dem Dämon. Seine Hände rasten aus ihren Taschen. Er schlug den Bärtigen, im wahrsten Sinne, den Schädel ein. Nachdem der Leichnam zusammengebrochen war, raste er auf die Menschen zu und metzelte sie gnadenlos nieder. ,,Du weißt nicht, was du willst. Du weißt nicht, wo du stehst.“ Die Kälte war von einem fiebrigen Feuer aus Mordlust vertrieben worden. Dark fühlte sich besser den je. Er verspürte keinen inneren Druck mehr. Keine Ängste. Kein Kummer. Nur die blanke Freude am Töten. ,,Weißt nicht, woher du kommst, wohin du gehst. Du weißt nicht, was dich treibt.“ Er wollte mehr, mehr Macht. Egal wie viele dafür sterben mussten. ,,Was am Ende für dich bleibt. Warum bist du so blass, so kalt, so herzlos.“ Endlich verstehst du, sagte Baal. Das Äußere der Dunkelheit ist kälter als Eis, doch im inneren brennt sie vor Mordlust. ,,Schnauze!“, fuhr Dark den Dämon an, ,,Stör nicht meine Ekstase!“ ,,Du weißt nicht, was du tust. Weißt nicht woran du glaubst.“ Dark hatte sich zum Quatschkopf vorgearbeitet. Er war der letzte Überlebende. ,,Sag mir wozu und ob du mich noch brauchst. Wenn’s einfach nicht mehr passt. Wenn du mich wirklich nur noch hasst. Warum bist du noch hier? Wofür? Was willst du noch von mir?“ Dark sah die nackte Angst in seinen Augen und erschrak. Er sah in den Augen sein eigenes Spiegelbild. Seine rotglühenden Augen, die schwarz hervorgetretenen Adern und ein siegessicheres Lächeln auf seinen Lippen. Dieses Gesicht war nicht seins, doch er erkannte auch Züge von sich selbst darin. Starr vor Entsetzen stand Dark da, unfähig sich zu bewegen. Erst jetzt sickerte die schreckliche Erkenntnis, was er gerade getan hatte, in sein Bewusstsein. Der Überlebende nutzte die Chance zur Flucht. Hastig rannte er zur Tür und wäre beinahe über einen Stuhl gestolpert. Noch vor eine Sekunde hätte Dark brüllen können, so stark hatte der Rausch zu töten seine Laune gehoben. Aber jetzt fühlte er sich elender denn je. Die Kälte war erstarkt wieder zurückgekehrt. Stöhnend und bibbernd ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Ein kurzes Blinzeln, ließ die Farben zurückkehren. Er trommelte mit den Fingern im Takt der Musik. Schönes Lied, versuchte er sich verzweifelt von seinen Taten und den vielen Leichen um ihm herum abzulenken. Welcher Interpret das wohl ist? Die CD lag oben auf der Anlage. Herzwerk II von Megaherz. Das Lied hieß 5. März. Er ging zur Toilette. Das Blut auf den Boden wich vor seinen Füßen zurück. Er machte auf der Toilette das Waschbecken an, sammelte Wasser in seinen hohlen Händen und spritzte es sich ins Gesicht. Das kühle Nass erwischte ihn und klärte seinen Verstand, der fiebrige Rausch war verschwunden. Seine Erinnerungen, so frisch sie auch waren, verblassten zusehends. Er konnte sich an keine Details mehr erinnern. Der Junge schaute in den Spiegel. Die schwarzen Adern gingen zurück und verschwanden dann spurlos. Das war das Grauenvollste, was diese Augen je erdulden mussten, dachte er zu sich. Baal flüsterte: Soll ich dir etwas wirklich grauenvolles Zeigen? Dark sah weiter in den Spiegel und erschrak beim Anblick dessen, was der Spiegel ihm zeigte. Er fiel vor Schreck nach hinten. Keuchend dachte er: Immer wenn ich glaube, nichts könnte mich mehr erschrecken, dann setzt Baal noch eins drauf. Er nahm sich, was er brauchte und verschwand. Ob mir je die Morde an den Unschuldigen vergeben werden können? Wenn es so etwas wie einen gerechten Gott gibt, stößt er mich in die tiefsten Tiefen der Hölle. Baal fragte: Glaubst du, dass es dort besser ist? Noch vom weitem hörte der Junge die Musikanlage, die wisperte: ,,Du, Teufel, komm hol dir meine Seele. Na los doch, ich schenke dir mein Herz. Bist du blind, siehst du nicht, dass ich leide wie ein Tier, das verendet. Ob das Blatt sich wendet, das liegt nur an dir. Es liegt nur an dir…“ (Lied: Teufel von Megaherz)

Angelo erwies sich als Tugendhafterer als so manch andere seiner Sorte. Mark hatte ihn auf jeden Fall, in sein Herz geschlossen. Krachend wurde die Tür eingetreten. Es wurde laut vor sich hin geflucht. Lucy war wieder zurück. Sie kam ins Wohnzimmer und blieb wie angewurzelt stehen. ,,Ah, Lucia“, begrüßte Mark sie. ,,Wir haben gerade über Sie gesprochen. Angelo kennen Sie ja bereits. Er wurde zu unserer Unterstützung geschickt.“ Lucy hob die Hand zum Gruß. ,,Hi, Angelo.“ Schnell zog sie ihren Revolver und zielte auf den anderen Engel. ,,Bye, Angelo.“ Sie drückte eiskalt ab. Angelo, der ruhig dagesessen hatte, wurde von der Wucht der Kugel nach hinten geschleudert. Der Sessel, auf dem er noch gesessen hatte, kippte mit ihm um. Dieser Engel ist wahnsinnig, dachte Mark entgeistert, auf die eigenen Leute zu schießen. Und sie will die Heldin sein? Mark schaute sie entsetzt an. ,,Mein Vorgänger.“, erzählte sie beiläufig. ,,Hat die Seiten gewechselt. Er ist jetzt ein gefallener Engel.“ Mark schaute sie verwirrt an. Dieser Angelo- dieses Wesen, hatte überhaupt nichts Dämonisches an sich gehabt. Er wirkte im Vergleich sogar harmloser, als Lucy. Sie schien seine Gedanken erraten zu haben. ,,Nicht überall, wo Engel draufsteht, ist auch Engel drin. Mach, dass du hier rauskommst. Dieser Kampf ist nicht für sterbliche Augen bestimmt.“ Mark hatte sowieso vor, abzuhauen. Es konnte tödlich sein, zwischen den beiden Wesenheiten zu stehen, dass hatte er durch Lucy gelernt. Hastig stieg der Reporter aus dem Fenster und von da auf die Feuerleiter. Dieser Fluchtweg war ihm bestens vertraut. Er hatte ihn oft bei der Flucht vor Fanatikern, Auftragskillern, Anwälten und sogar gegen den Vermieter verwendet, wenn er mal wieder nicht zahlen konnte. Unten angekommen ging er erst einmal auf die Straße, dort hatte sich schon eine Menschentraube gebildet, die auf das Gebäude, aus dem Mark gerade gekommen war, starrten. Verwundert von der Menge, verfolgte Mark ihre Blicke und sah, dass ein Brand, in seinem Apartment, ausgebrochen war. Wenn er sich nicht irrte, dann hatte er erst vor einer Minute dort mit Angelo, über Gott und die Welt geredet. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Wohnung in Flammen stand. ,,Hallöchen.“, kam es hinter ihm. Es war Lucy, die verschmitzt grinste. Der Reporter fragte gar nicht erst, wie sie so schnell hier her kam. ,,Was ist da oben vorgefallen?“, fragte Mark fordernd. Als Lucy zu erzählen begann, wünschte er sich, die Klappe gehalten zu haben.

,,So, Angelo. Jetzt sind wir ungestört.“ ,,Als wenn es einen von uns interessiert hätte, ob dieser Sterbliche überlebt.“ Angelo erhob sich. Ein zischendes Loch klaffte zwischen seinen Augen. Lucy lächelte innerlich zufrieden. Volltreffer! ,,Willst du Quatschen oder Kämpfen?“ Angelo erschuf in seiner Hand einen Feuerball, den er als Antwort auf Lucy warf. Die wich dem Geschoss mit der Grazie einer Tänzerin aus. Der Feuerball traf die Wand hinter ihr und steckte sie in Flammen. Mark würde sie umbringen, wenn er davon erfuhr. Falls er davon erfuhr, berichtigte sie sich. Lucy schoss auf Angelo. Die Kugeln flogen zu schnell, als das er sie hätte abwehren können. Jeder Treffer brannte sich zischend in seine Haut. Angelo warf weitere Feuerbälle auf sie, die sie mit derselben Grazie, auswich. Das Feuer breitete sich aus. Das ganze Apartment brannte bereits. Sie musste einen Vorteil erringen, bevor sie noch das ganze Stadtviertel niederbrannten. Nicht, dass das nicht schon vorgekommen wäre, doch es riet sich, dies zu vermeiden. Ihr kam eine Idee. Angelo hatte seine Taktik nicht geändert. Typisch Gewohnheitstier, dachte Lucy sich, doch ich bin aus anderem Holz geschnitzt, Kumpel. Lucy wich dem, auf sie zukommenden, Feuerball nicht aus, sondern schickte ihn mit der freien Faust zurück zum Absender. Auch die folgenden Geschosse wurden mit Faustschlägen gekontert. Dazu spie ihr Revolver weitere heilige Kugeln aus. Angelo konnte dem Regen aus Kugeln und Feuer nicht wiederstehen. Er dachte auch nicht daran, die Taktik zu ändern. Kein Wunder, dass du aus dem Paradies geflogen bist, dachte Lucy, im Gegensatz zur Hölle, duldet das Licht keine Versager. Ächzend und brennend ging der gefallene Angelo auf die Knie. Er fing zu lachen an. ,,Denkst du, dass ändert etwas? Diesmal kommst du nicht so leicht davon. Die Tore zur Hölle wurden weit aufgestoßen. Du spürst, wie sich die Macht der Neun in dieser Welt ausbreitet. Die Reiter Tod und Wahnsinn sind bereits hier. Was meinst du, wie lange die anderen Vorboten brauchen, um den Weg zu ebnen? Und selbst, wenn du gewinnen solltest, du weißt, dass alle deine Vorgänger früher oder später fielen und dir wird es nicht anders ergehen.“ Das Feuer loderte höher und verbrannte den lachenden Angelo zu Asche. ,,Bis zum nächsten Mal.“, sagte Lucy, in der Gewissheit, dass es so war.

Mark schaute abwesend auf die verkohlten Reste des Apartmentgebäudes. Die Feuerwehr hatte nichts retten können, sie hatten bloß verhindern können, dass das Feuer nicht auf weitere Häuser überging. Lucy wusste, dass dort Marks gesamter Besitz gewesen war. Sein Lebenswerk war zerstört. Lucy wusste, wie viel Mühe er damit gehabt hatte, das perfekte Apartment zu finden. Fluchtwege, Busverbindungen, Miete, Einsicht von anderen Gebäuden, all das hatte er einkalkuliert. Auch seine, über die Jahre, gesammelten Daten waren im Feuer verbrannt worden. Lucy überkamen gewaltige Schuldgefühle, etwas was nur wenige Engel kannten. Sie versuchte zum Reporter etwas Tröstliches zu sagen. ,,Ich…“ Mark drehte sich wutentbrannt zu ihr um. ,,DU! Du hast mir nichts als Unglück gebracht. Seit unserer Ersten Begegnung bin ich gewürgt und gedemütigt worden. Mein Gesamter Besitz ist vernichtet. Du hast ja keine Ahnung, wie viel Zeit und Mühe ich in die Wohnung investiert habe.“ Entwaffnend hob er die Hände. Überraschend ruhiger sagte er: ,,Okay, ich bin raus. Raus aus deinem Team. Raus aus der Sache. Rette die Welt ohne mich. Ich bin doch nur dein Unterhaltungsäffchen. Du brauchst mich sowieso nicht. Eine Weltenretter-Truppe kannst du auch ohne mich aufbauen, das weiß ich.“ Mark drehte sich um und ging. Lucy wusste, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Er würde nicht auf sie hören. Mark war sich seines Werts für sie, nicht bewusst.

,,Sind Sie sicher, dass Sie Nr. 34 einzusetzen wollen?“, fragte der Angestellte Vladimirs, als sie vor einer Tür mit einer großen Vierunddreißig standen. ,,Er ist unsere letzte Hoffnung. Er und das Militär. Haben sie die Fahndung nach dem Monsterschlächter rausgegeben?“ ,,Ja, diese Aushilfskellnerin war eine große Hilfe. Wir haben das Phantombild durch sämtliche Datenbanken gejagt und konnten ihn identifizieren. Sein Name ist John- John Seelschmirtz, achtzehn Jahre alt. Er wird von der Polizei wegen mehrfachen Mordes an sterblichen Menschen gesucht. Und bei etlichen anderen Morden, als Hauptverdächtiger. Ein schrecklicher Typ. Wir haben sowohl Polizei, als auch Militär, auf ihn Aufmerksam gemacht. Er wird keine ruhige Minute mehr haben.“ ,,Und die Regierung? Welche Ausflüchte hat sie, für die geplante Aktion?“ ,,Terroristen mit einer neuartigen Bio-Waffe haben sich in der Stadt verschanzt und wollen die Waffe hier zu Experimentelen Zwecken einsetzen. Dann kommt die Regierung, als strahlender Retter, evakuiert die Stadt und beginnt mit ihrer Säuberung.“ ,,Gut.“, sagte Vladimir zufrieden ,,Als nächstes bringen wir Ghost ins Spiel.“ Vladimir gab einen zehn-stelligen Zahlencode ein. Die Türflügel gingen zur Seite. Gleißendes Licht drohte die Vampire zu blenden. Als es nachließ, standen sie in einem blauen Raum. Nebelschwaden schwebten in der Luft herum. Mittendrin lag eine ausgemergelte Gestalt. Sie bestand nur aus Haut, Haaren, Knochen und ein paar verwelkten Muskeln. Ein braunes Tuch verhüllte ihr Gesicht unterhalb der Augen. Die Hände waren in viel zu große Handschuhe gehüllt. Genauso überdimensional waren auch die Schuhe. Ansonsten war die Gestalt nackt. Die Haare waren himmelblau und bewegten sich hin und her, als wären sie Unterwasser. Die blasse Haut schimmerte leicht bläulich. ,,Ghost, der Tag deiner Bestimmung ist gekommen.“ ,,Ist der Todesengel zurückgekehrt?“, drang die Stimme düster unter dem Tuch hervor. Die Gestalt öffnete ihre pupillenlosen Augen. Sie leuchteten blau weiß. Ihr Gesichtsausdruck wirkte grimmig. ,,Ja, Ghost.“, sagte Vladimir. ,,Du musst dich ihm stellen. Du bist unsere letzte Hoffnung. Sei aber vorsichtig. Unterschätze deinen Gegner nicht. Er wird nicht umsonst, als unsterblicher Engel bezeichnet.“ ,,Jeder Engel kann fallen.“, sagte Ghost überzeugt, bevor er in die Geisterwelt entschwand. Ghost war aus einigen Überresten des Blutes, von Vladimirs Meister, erschaffen worden. Er war somit Azraels jüngerer Bruder. Eine Mischung aus Geist und Vampir. Hoffentlich hat sich das lange Training ausgezahlt, hoffte der alte Vampir, Ich werde trotzdem weitere Vorbereitungen treffen müssen.


Fortsetzung folgt…


© EINsamer wANDERER


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