Der Konglomerant – zweiteilige Geschichte in einem Aufwasch


1. Der Konglomerant als Jäger und Sammler

Seit ich den Zeitmaschinen-Bahnhof verlassen habe dreht sich alles vor meinen Augen. Ich schwindle. Oder schwindelt man mir etwas vor? Noch sind es Zerrbilder die mich begleiten, doch mit fortschreitender Gewöhnung kann ich etwas erkennen (ich muss mich nur bemühen nicht alles auf einmal erkennen zu wollen). Wilde Traumbilder werden zu ganz einfachen Ereignissen… Familienleben! Soziale Kontakte! Schulbetrieb! Schockzustände! Je ruhiger ich in einem dieser Kontinuen verweile, desto heftiger pocht mein Herz.

Eigentlich weiß ich nur eines: ich will hier raus! Gleichzeitig weiß ich, wie wenig ich das wissen darf. Deshalb versuche ich die Eindrücke, so gut es geht, zu ignorieren: wahrnehmen und abheften. Eines kann ich dabei leider weder verdrängen noch übersehen – die Naturgesetze sind hart. Seine Vollstreckungsfiguren – so sympathisch sie sich für den Augenblick auch geben mögen – sind von mir nicht nachspielbar. Ich falle unangenehm auf.

Wie stehe ich denn jetzt da?! Meine Versuche eine Identität anzunehmen scheitern mehr oder weniger kläglich. Ich kann meine Artgenossen einfach nicht imitieren. Und leichterdings mit dem Strom zu schwimmen ist mir auch unmöglich – ich elektrisiere mich andauernd. Natürlich habe ich auch meine Bedürfnisse! Warum nicht? Und wenn sie sich nicht so provokant von den anderen unterscheiden würden, hätte ich auch nichts gegen mich, aber so wie ich bin, kann ich mich eben nicht gelten lassen.

Lieber ändere ich doch mich selbst als die vielen Millionen um mich herum, sage ich mir, frei von der Logik weg. Das ist wahrscheinlich weniger Aufwand. Doch auch dies scheint unmöglich. Eine mir nicht erklärliche Anziehungskraft lässt mich um ein dunkles Zentrum kreisen, das ich gezwungen bin als ein Licht zu empfinden. Andere Orientierungsmöglichkeiten habe ich nicht!

Ich sammle Erfahrungen auf 3 Ebenen…

Die 1. Ebene heißt – wie sollte es anders sein? – „Realität“. Dort treffe ich kopfschüttelnde Erwachsene, sadistische Lehrer, notgeile Geistliche, sowie tüchtige Jungs, die sich mit mir in Rangkämpfen messen wollen, deren Level allerdings unerreichbar für mich ist (ich interessiere mich nicht für Terminologien). Auch robuste Mägdchen finde ich vor, die etwas ganz Bestimmtes im Schilde zu führen scheinen, das ich jedoch nicht unbedingt nachvollziehen kann.

In der 2. Ebene fühle ich mich wohl. Sie verwischt alle Grenzen und setzt mich als bedeutsames Mitglied in den Mittelpunkt ihres Geschehens. Wenn ich mich dort befinde gestaltet sich, wie von selbst, eine virtuelle Erde aus umfassendem Mitgefühl in einen für mich sinnvoll erscheinenden Geschichtsverlauf. Leider befinden sich ihre Reiche in ganz kleinen Welten. Dort besiegen, vom Aussterben bedrohte, Insektenarten die überall sonst dominierenden Aggressoren und dort gibt es eine Ritterschaft von philosophischer Größe, im Aufbruch durch die Jahrtausende.

Die 3. Ebene kommt aus meinem tiefsten Inneren. Auf ihrem Terrain schweben die Schatten jenseitiger Welten – neben der Illusion „Augenblick“ – durch eine Wirklichkeit aus Unfasslichem. Sie verändert bei Nacht unsere Dimensionen in wolkenartige Strukturen, in deren Nebel mir niemand folgen kann. Wege auf dieser Ebene bin ich gezwungen alleine zu gehen. Hinter mir höre ich den Spott der Realisten verhallen. Sie verschmelzen mit ihm in den Unwägbarkeiten göttlicher Beschlüsse. Ich kehre immer wieder zu ihnen zurück, erkenne sie jedoch nur als oberflächliche Heimat an.

Alle 3 Ebenen unterliegen meiner persönlichen Geheimhaltungspflicht, denn Berichte aus der 1. würde mir absichtlich keiner glauben wollen (ich hab’s oft genug probiert). Eines Berichts aus der 2. wegen würde man mich vermutlich nur verachten („solche Gedanken kann kein Mensch brauchen“). Und Berichte aus der 3. Ebene würden vermutlich umgehend zu einer Einweisung meinerseits in die Obhut besonders fürsorglicher Fachleute führen (das erwäge ich demzufolge erst gar nicht).

2. Sein Bericht als verschlüsselte Konglomeration

Ich überlege mir freilich reiflich alles wenn die Radiosender der Dunkelheit leuchten und die Leuchten schreien nach dem Unsichtbaren des der Realität innewohnenden Gesichts der Ent-Täuschung.

Verflucht! Also bin ich verflucht zu bleiben wie ich nicht bin. Gehetzt von den Wölfen, die – mein Geheul verlangend – vor mir steh’n. Lucifer ante portas? Nein, das Gute verlangt nach mehr!

Mein Herz ist warm, es möchte verschlungen werden von der Welt, umarmt von Millionen. Heinzelmännchens Wachtparade zieht auf. Obwohl es weitergeht beginnen überall kleine Lichtlein aufzublinken. Sie wickeln sich um meine Seele. Diese Blinkwickel erweitern meinen Blickwinkel auf 360 Grad. Nichts hat sich verändert. Alles ist beim Alten geblieben. Der Alte bin ich. Die Jugend steht draußen vor dem großen Tor. Auch der große Tor bin ich. Ich schaue hin. Steht sie noch davor, die Jugend, wie einst Lilly Marlene? Mutig singe ich, im neuen Rhythmus, mit. Es verschränken sich die Weisen und sie verweisen mich in Schranken. Mut ist also auch keine Lösung. Das macht mich stolz!

Auf einmal wird mir klar, warum äußere Einflüsse zwar das Verhalten, doch niemals den Umfang des kreativen Potentials eines lebendigen Wesens verändern können. Ich träume mich in meine persönliche Urwelt im Mutterleib und begreife: ich bin was ich bin!

Aber verabscheuungswürdige Vorbilder grenzen mich aus, obwohl das Exekutiv-Organ „Naturgesetz“ meiner nicht so recht habhaft werden kann. Triumphiert der Astralleib nun oder nicht?
Die plötzliche Angst vor dem Tod holt mich zurück in die Zelle meiner Beschränktheiten. Sollte ich Zuflucht im Glauben suchen – und: werde ich trotzdem dran glauben müssen? Ich schweife ab! Eine Flasche XY lacht mich an und ich beginne su ver’essen. Ich schweifle noch weiter ab, doch ich ver-schweifle nich… isch genäße, genieste?

Am nächsten Morgen sieht die Welt anders aus. Ich bin grün im Gesicht. Diesmal ganz, nicht nur hinter den Ohren. In meinem Kopf hämmert eine Maschine. Immer lauter! Das Hammerwerk beginnt wieder zu schmieden. Ein Plan nach dem anderen verlässt die Produktionsstätte: Ich muss Feuer machen!

„Sei auf der Hut, Robin“, flüstert mir irgendwer zu – Jeanne d`Arc?. „Dir muss es nicht reichen! Gib es den Armen im Geiste, denn so funktioniert das Himmelreich“. Ich schreie: „lasst mich doch endlich in Ruhe“, sehe aber in Gedanken Dr. Martin Luther, King of Sentimental Soul, mit dem Teufel ringen. Dann werde ich zu Boden geworfen. Luther steht über mir. „Reich mir die Hand, mein Leben“ schmettert er als imposanter Tenor an die Wand, die vor uns steht – dann schläft er selig ein. Wir sind vogelfrei! Ich bete für ihn: „Die hohe Kraft der Wissenschaft“…usw. Dann schlage ich mit dem Faust an die Zellentür meiner Einsamkeit.

Langsam zerstöre ich selber meine Kreise und fabuliere: wer ich nicht bin kann ich nicht sein, doch komm auf die Schaukel Luise… Ich spiele wer weiß was im Sonnenschein, wir lügen auf flirrender Wiese, du bist ganz mein und ich bin fast dein, dann fühl‘ ich mich frei in der luftigsten Schicht – vor mir, hinter mir, seitwärts gilt’s nicht!
Ich bin ein Luftzeichen, nichts als ein Zeichen in der Luft. Ein Luftikus, küsseraubend, vegetarisch beinahe, in Sachen Sex, der für mich wie ein großes Theater ist. Aber ich bin jederzeit in der Lage Shakesbier zu trinken. Wenn ich das tue, verstehe ich alles, sogar meinen komplizierten Hormonkreislauf!

Fin?


© Sur_real


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