(Kapitel 6 - Kapitel 7)


Kapitel 6
Verhängnisvoller Waschtag

Am nächsten Morgen saß Maren in ihrem Bett und dachte über den Traum von letzter Nacht nach. Sie hatte wieder den selben gehabt und wieder hatte das Licht des Topas sie vor dem nassen Tod bewahrt. Maren hatte Angst, sollte das ihr Ende werden? Zeigte ihr Traum ihre Zukunft, ihren Tod? Was hatte er zu bedeuten? Träume waren für sie schon immer etwas unbegreifliches gewesen.
„Maren“, rief ihr Vater und unterbrach so ihre Gedanken. „Ich gehe jetzt mit Fia zu Síne. Kümmerst du dich in der Zwischenzeit um die Wäsche?“ „Ja“, rief Maren zurück, stand auf und verließ ihr Zimmer. Ein voller Wäschekorb stand vor der Haustür. Sie lächelte. Ihr Vater dachte immer daran die Wäsche zusammen zu räumen und den Korb vor der Tür abzustellen. So wollte er es ihr ein wenig leichter machen. Jahrelang mussten sie sich zu zweit durchkämpfen, sich um die Felder kümmern, um die Hausarbeit und genug Geld zusammen bekommen um zu überleben. Maren wusste das ihr Vater, ihr all das am liebsten ersparen würde, doch das konnte er nicht, daher versuchte er ihr das Leben einfacher zu gestalten. Er liebte sie, wie keinen anderen Menschen.
Maren bückte sich um den Korb zu nehmen, da fiel ihr Blick auf den Ring an ihrem Finger. Sie hielt inne. Dieser Ring war das wertvollste was sie besaß, sie konnte ihn doch nicht tragen wenn sie die Wäsche wusch. Schnell lief Maren zurück in ihr Zimmer, streifte denn Ring von ihrem Finger, legte ihn unter ihr Kopfkissen, damit ihn niemand fand, und lief wieder zurück. Sie nahm den Korb und trat aus dem Haus. Sie kniff ihre Augen zusammen und wartete einige Momente bis sie sich an das Licht der Sonne gewöhnt hatten. Dann ging sie weiter zum See.
Das Wasser war rein, Maren konnte am Ufer bis zum Grund des Sees sehen, und eignete sich daher prima zum Wäsche waschen. Sie griff als erstes ein braunes Leinenhemd das ihrem Vater gehörte und tunkte es in das Wasser.

Es dauerte nicht lange bis die nasse Wäsche aufgehangen war damit sie trocknen konnte. Maren hatte ihren Vater noch nicht zurückkommen sehen, daher setzte sie sich auf den Boden und blickte in den wolkenlosen blauen Himmel. Der Tag wirkte so friedlich, die Welt schien in Ordnung, doch es gab noch immer die Nacht. Sie schloss die Augen und ließ sich zu Boden gleiten. Ein Windhauch streifte ihr Gesicht, spielte mit ihrem Haar und ließ die Felder rascheln. Die Vögel zwitscherten, Alec und Eara liefen umher, schrien und quietschten vergnügt und hier und da wieherte ein Pferd. Maren schlug die Augen wieder auf. Sie fand keine Ruhe, nicht bevor sie ihren Traum verstand. Vorher würde diese friedliche Welt sie verrückt machen.
Sie stand auf. Wo sollte sie nur beginnen? Dann fiel ihr Blick auf Mareneh, nein, nicht auf Mareneh, sondern auf das was dahinter lag, das Meer. Der Wind frischte auf, führte sie in die Richtung des Meeres. Maren folgte ihm, überließ das laufen ihren Beinen. Sie lief an den Stadtmauern vorbei zu einem Abhang hinter der Stadt, an dem sie stehen blieb. Vor ihr erstreckte sich die riesige Wassermasse aus ihrem Traum, aber hier verschlang sie keine kalte dunkle Welle, die sie in den Tod reißen wollte. Das Meer lag still da, wurde von der Sonne bestrahlt und kräuselte sich nur ein wenig im Wind. Es wirkte hell und warm, eher einladend als gefährlich und hatte somit keine Ähnlichkeit mit ihrem Traum. Maren war fasziniert von der Schönheit des Meeres, weshalb sie sich fragte warum sie nie zuvor auch nur einmal hier war. Ein kleiner Weg führte den Abhang hinunter zu einem kleinen Sandstrand, der in das Meer mündete. Maren folgte dem Weg, sie wollte dem riesigen Wasser näher sein.
Sie stand allein am Strand und betrachtete das Wasser, hörte das Rauschen der Wellen, es berührte sie tief in ihrem herzen und beruhigte sie. Nein, so wie in ihrem Traum war das Meer nicht. Es würde sie nicht in seine tödlichen tiefen ziehen, da war sie sich sicher. Maren lächelte über sich selbst. Wie paranoid sie gewesen war. Sie hätte diesem Traum nicht so viel Aufmerksamkeit schenken sollen, es war alles in Ordnung.
Maren wollte sich gerade umdrehen und gehen, doch sie konnte nicht, ihr Körper gehorchte ihr nicht. >Was?< „Hab ich dich endlich da wo ich dich haben will“, sagte eine Frauenstimme hinter ihr. „Zwanzig Jahre ist es nun her. Ich muss zugeben es hat länger gedauert als ich gedacht habe.“ Die Fremde strich mit ihren langen Fingern über Marens Rücken, sie schauderte. „Du bist über die Jahre kaum gealtert“, stellte die Fremde fest. Marens Herz schlug ihr bis zum Hals. Was ging hier vor? Sie verstand überhaupt nichts, außer das sie nicht diejenige sein konnte von der die Fremde sprach.
„Ach Aline“, sagte sie zu Maren. „Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?“ Sie lief um die verängstigte Maren herum und blieb dann vor ihr stehen. „Hast du mich etwa vergessen?“, fragte die Fremde und blickte Maren in die Augen, mit ihren grünen stechenden Augen. „Ich bin es, Moana.“ Maren zitterte, irgendjemand musste ihr doch helfen können. Doch jetzt war sie sich ganz sicher, die Fremde, Moana, verwechselte sie mit einer anderen. Aline... Vor Schreck weiteten sich ihre Augen, Moana meinte ihre Mutter.
„Ach“, sagte Moana. „Erkennst du mich jetzt doch?“ Maren sah sie flehend an. Sie wusste nicht was die Frau mit ihr vorhatte, aber es konnte nichts gutes sein. Moanas Augen spien pures Gift. Dann fingen sie an zu leuchten, sie flammten förmlich auf.
Marens Körper krampfte sich zusammen. Der Schmerz explodierte in ihr. Sie schrie gequält auf. Die Luft wurde aus ihren Lungen gepresst. Verzweifelt rang sie nach Atem. „Na, bereust du es ihn mir weggenommen zu haben?“, fragte Moana, mit Genugtuung in der Stimme. „Jetzt wirst du dafür büßen.“ „Nein“, keuchte Maren. Sie musste ihr mitteilen, dass sie sich irrte. „Ich... bin nicht... die für die... du mich hältst.“ Moana lachte auf. „Natürlich Aline. Versuch dich nicht herauszureden, dein Schicksal ist besiegelt.“ Maren schüttelte den Kopf, so gut sie konnte. Leise stöhnte sie vor Schmerz, dann schluckte sie und sprach weiter: „Aline... war meine Mutter. Sie... ist schon lange... tot.“
Moanas Augen wuchsen zu einem lodernden Feuer heran. Marens Körper wurde in die Luft gehoben. >Hexerei!< Was auch immer ihre Mutter getan hatte, sie hatte eine Hexe verärgert. „Nein!“, schrie die Hexe. „Du bist die Falsche? Das kann nicht sein!“ „Doch“, keuchte Maren. Moana starrte sie mit großen Augen an, dann fluchte sie. „Das würde zumindest erklären warum das so lange gedauert hat. Ich dachte schon das es nicht funktioniert hat.“ Sie stockte kurz, als ihr etwas bewusst geworden war. „Wenn du ihre Tochter bist, dann bist du auch seine.“ Sie überlegte kurz, dann lächelte sie. „Das ist genauso gut.“
Maren schwebte über die Wasseroberfläche. „Dann wird mein Fluch eben dich treffen“, sagte Moana. „Dein Vater wird traurig sein, wenn du nicht zurück kehrst, aber mach dir keine Sorgen, ich werde da sein um ihn zu trösten.“ Der Schmerz in Marens Körper zog sich zusammen. Sie schrie aus Leibeskräften. Tränen stiegen ihr in die Augen und rannen über ihre Wangen. >Hör auf! Hör auf! Es soll aufhören!<, schrie sie innerlich. Der Schmerz wurde unerträglich. Es riss sie auseinander, fügte sich neu zusammen. Ihre Sicht verschwamm, wurde schwarz. Sie hörte nur noch ein plätschern, bis die unendlich weite, kalte Dunkelheit der Bewusstlosigkeit über ihr einstürzte und sie verschlang.


Kapitel 7
Im Körper eines Fisches

Allmählich verflog die dunkle Schwärze des Nichts und schon bevor Maren ihre Augen öffnete bemerkte sie das etwas nicht stimmte. Die Luft war getränkt in schwerer Feuchtigkeit, sie war nass. Der Schmerz in ihrem Körper war verschwunden, dennoch fühlte er sich merkwürdig an, so anders. Mit wild klopfenden Herzen öffnete sie ihre Augen. >Was? Wie?... Nein... Wo?< Hektisch huschte Marens Blick in alle Richtungen.
Sie lag auf einem Sandboden. Lange grüne Pflanzen, keine ihr bekannten, bewegten sich in einem nicht vorhandenen Wind. Doch etwas zog an ihrem Körper, berührte und umhüllte ihn. Monster, riesige Fische, sie waren so groß wie sie selbst, bewegten sich an ihr vorbei und würdigten sie keines Blickes. Maren sah hinauf in den Himmel, doch dort war keiner, sondern eine bläuliche Masse. Licht drang durch die Schicht und erhellte die Welt in der sie sich befand.
Langsam traf Maren die Erkenntnis, sie befand sich unter der Wasseroberfläche, unter den Fluten des Meeres. >Ich muss hier raus, nach oben<, schoss es ihr durch den Kopf. >Ich werde ertrinken!< Aber das tat sie nicht, sie atmete. Maren wollte aufstehen, konnte es aber nicht, sie wollte sich abstützen, es ging nicht. Dann versuchte sie zu schwimmen, ein verzweifelter Versuch, sie hatte es nie gelernt, doch dennoch funktionierte es. Maren blickte an sich herab, dort war nichts außer dem Boden mit seinen Sandkörnern. Sie sah hinter sich und erblickte eine schwarze Fischflosse die im Schein des Lichtes bläulich schimmerte. Es schien als ob sie zu ihrem Körper gehörte. >Was hat die Hexe mit mir gemacht?< Was sollte sie tun? Verzweifelt schwamm sie umher ohne zu wissen wohin.
„Hey du“, sagte eine weibliche Stimme hinter ihr. Maren drehte sich um, vielleicht konnte der Ursprung der Stimme ihr helfen. Verwirrt blinzelte sie. Vor ihr schwamm ein schöner gelboranger Fisch. Irritiert blickte Maren an dem Fisch vorbei. Woher war die Stimme nur gekommen? „Wo kommst du her?“
Marens Kiefer klappte nach unten. Hatte der Fisch gerade mit ihr gesprochen? Das konnte nicht sein, Fische konnten nicht sprechen, oder? „Was? Ich...“, stammelte sie. Vielleicht träumte sie ja. Genau, dass musste es sein. Bestimmt war sie auf der Wiese eingeschlafen, anders konnte es nicht sein. Hexen, Flüche, sprechende Fische, so ein Blödsinn. „Solche Schuppen habe ich noch nie gesehen“, plapperte die Fischdame weiter. „Sie sind sehr hübsch. Ich bin gerade auf der Suche nach einem geeigneten Partner. Haben auch Männchen solch schöne Schuppen dort wo du herkommst?“
>Alles nur ein Traum, nur ein Traum<, dachte Maren. >Ein Traum.< Doch es fühlte sich so echt, so real an, die Schmerzen, als die Hexe sie verflucht hatte, die Flosse an ihrem Körper und das Gefühl von Wasser auf ihrer Haut. Konnte es wirklich ein Traum sein? „Hallo? Alles in Ordnung?“
„Du... du sprichst“, brachte Maren fassungslos hervor. Empört starrte der Fisch sie an, zumindest sah es so aus. „Natürlich spreche ich“, sagte der Fisch. „Wieso sollte ich das nicht tun?“
„Du bist ein Fisch.“
Die gelborangene Fischdame schwamm um Maren herum, betrachtete sie von Kopf bis zu dem, was vor kurzem noch ihre Füße gewesen waren. „Für mich siehst du auch ziemlich fischig aus und du wirst wohl nicht leugnen können auch sprechen zu können.“
>Was?< Maren ging die Worte des Fisches noch einmal in ihrem Kopf durch. Schockiert weiteten sich ihre Augen. Die Hexe hatte sie zu einem Fisch gemacht. Doch wieso überraschte es sie? Ihre Füße waren zu einer Flosse geworden, natürlich war sie jetzt ein Fisch, wie hätte es anders sein können? Dennoch, es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Sie musste doch zurück, zu ihrem Vater, er würde sich schon Sorgen um sie machen.
Maren wandte sich von der Fischdame ab. Mit dem Bild ihres Vaters vor Augen, schwamm sie an die Oberfläche. Ihr Kopf brach durch die Wasserwand zurück an die frische Luft, zurück in ihre Welt. Sie blickte auf das Ufer, den Strand. Dort war niemand mehr, er war leer, die Hexe war verschwunden. „Nein, nein, nein, das darf nicht sein. Sie muss mich wieder zu einem Menschen machen. Ich habe ihr doch nichts getan.“ Maren begann zu keuchen, sie konnte nicht atmen. Sie hatte keine Lunge mehr, wie denn auch? Sie war ja jetzt ein Fisch. Etwas zog an ihrer Schwanzflosse, zurück unter die Wasseroberfläche.
„Willst du dich umbringen?“ Es war die Fischdame, die Maren schockiert anstarrte. „Nein“, flüsterte Maren. „Ich habe nicht damit gerechnet das ich keine Luft atmen kann.“ Bevor der Fisch noch etwas sagen konnte, schwamm sie davon. Maren wollte weg.
Sie wusste nicht wohin sie sollte, aber zurück, dass wusste sie, konnte sie nicht mehr.


© Lighania


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