Ich schlug die Augen auf und sah um mich herum nichts als Schwärze. Kein Zweifel, ich hatte wieder jenen Traum, den ich seit mehreren Wochen immer wieder träumte. In ihm war ich in diesem stockfinsteren Raum, der nur von einer schwachen Lampe erhellt wurde, die diffuses Licht verbreitete. Alles in einem Abstand von mehr als zwei bis drei Metern war in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Ich saß in einem schwarzen Polsterstuhl und trug einen ebenfalls schwarzen Nadelstreifenanzug. Unter dem Anzug trug ich ein blutrotes Hemd. Neben mir stand ein uraltes Grammophon das eine langsame Jazzmelodie spielte. Jedes Mal löste dieser Traum in mir ein unbestimmtes Unbehagen aus. Und es schien auch nicht abzunehmen, je öfter ich den Traum träumte. Nein, im Gegenteil. Es schien immer stärker zu werden. Nun erschien am anderen Ende des Raumes dieser Typ, eine Art kleiner Dämon, der einen Zweireiher trug. Er hatte grotesk lange Arme und eine rote Haut. Auf seinem überdimensional großen Kopf befanden sich zwei kleine Hörner. Er tanzte seltsam, überhaupt nicht im Takt mit der Musik und kam langsam auf mich zu.
„Wer bist du?“, fragte ich mit einem seltsamen Zittern in der Stimme. Anstatt zu antworten hörte der kleine Dämon auf zu tanzen und verzog seinen Mund zu einem breiten Grinsen, das seine spitzen Zähne enthüllte.
„Ich sehe, du bist bereit.“, sagte er.
„Was soll das heißen? Bereit wofür?“ Das war das erste Mal, dass der Dämon mit mir redete. Er umrundete langsam meinen Stuhl.
„Damals, auf dem Bahnhof. Hast du damals nicht eine übermächtige Angst gespürt? Eine Angst, die alles in dir zu verschlingen drohte?“ fragte der Dämon. Ja, er hatte recht damals wurde ich von einigen betrunkenen Jugendlichen auf einem Bahnsteig überfallen und zusammengeschlagen. Ich hatte wirklich schreckliche Angst gehabt.
„Was soll das? Woher weißt du davon“
Der Dämon blieb stehen und stand nun wieder direkt vor mir. Er beugte sich zu mir herüber bis sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war.
„Das tut nichts zur Sache.“, sagte er „Hättest du nicht gerne einen starken Geist, der diese Angst vergessen würde?“ Was sollte das den heißen? Wer war dieser Kerl bloß?
„Wer bist du?“, wiederholte ich meine Frage.
„Wer ich bin?“, fragte der Dämon „Ich bin der Wahnsinn, der in jedem von uns schläft. Und du, du bist geeignet. In dir war der Wahnsinn schon immer stärker als in anderen, nicht war?“ Der Dämon kicherte verrückt.
„Was soll das? Was willst von mir?“ fragte ich erschrocken.
„Aber, aber. Wozu die Furcht? Ich möchte dir doch nur helfen. Ja, ich möchte dir helfen. Um auf dieser Erde zu überleben brauchst du Macht, ungeheure Macht, die es dir erlaubt deine Ängste zu vergessen.“ Der Dämon packte mich an der Hand und zog mich aus dem Stuhl hinter sich her .
„Was soll das? Wohin bringst du mich?“, rief ich.
„Ich bringe dich zu der Macht. Zu unendlicher Macht.“
Ich zögerte und spürte doch mit einem Mal einen unglaublich starken Drang, dem Dämon zu folgen.
„Unendliche Macht, sagst du?“
Der Dämon blieb stehen und sein Grinsen wurde noch breiter.
„Ja, unendliche Macht. Also komm schon mit. Wahnsinn und Verzückung erwarten dich.“
Ich warf einen letzten Blick zurück auf den Raum mit dem Grammophon, das noch immer die langsame Jazzmelodie spielte. Dann folgte ich dem Wahnsinn in die Dunkelheit.


© Versschleifer


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Kommentare zu "Der Dämon"

Re: Der Dämon

Autor: Sammy   Datum: 01.10.2013 16:43 Uhr

Kommentar: Gute Geschichte,

super Idee, genauso umgesetzt. Skurill, seltsam, ein bisschen unverständlich - und das Ende bleibt offen. Vor allem durch Details wie das Grammophon noch besser, das mehrmals erwähnt wird.

Trotzdem sind mir einige kleine Sachen aufgefallen:

Am Anfang ist es stockdunkel und er sieht(?) nichts als Schwärze - doch dann wird der Raum plötzlich von einer Lampe erhellt?

ein paar fehlende Kommas, z.B.: ...stand ein uraltes Grammophon[,] das eine langsame Jazzmelodie ...

falsche Zeitform: [Ja, er hatte recht[,] damals wurde ich von einigen betrunkenen Jugendlichen auf einem Bahnsteig überfallen und zusammengeschlagen. Ich hatte wirklich schreckliche Angst gehabt.]
Richtig: Ja, er hatte recht, damals war ich von einigen betrunkenen Jugendlichen auf einem Bahnsteig überfallen und zusammengeschlagen worden. Ich hatte wirklich schreckliche Angst gehabt.
An dieser Stelle muss es Plusquamperfekt sein, da die Handlung noch vor der Haupthandlung stattfand, die an sich auch schon in der Vergangenheit spielt. Beim zweiten Satz hast du das auch richtig gemacht.

Auch wenn sich das jetzt nach ein bisschen viel Kritik anhört - die Geschichte ist wirklich spitze. ;)

LG
Sammy

Re: Der Dämon

Autor: noé   Datum: 05.12.2013 11:33 Uhr

Kommentar: Also, MICH stören die von Sammy erwähnten kleinen Unebenheiten überhaupt nicht am Genuss dieser Szene. Ich wünschte mir mehr davon.
Adventgrüße von noe
NB: Schade, jetzt darf ich mich nur noch auf EINEN weiteren Text freuen...

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