Den letzten Sonnenstrahlen am Abend folgend, gelangte sie auf dem Weg bis an jene Stelle, wo die lila Blumen still wuchsen. Ein paar nur pflückte sie; nur kaum mehr als eine Handvoll. Und um sie zirpten die Grillen ihre abendlichen Lieder, die ersten Bienen summten um ihre Blumen, sie summte dazu ihr Trostlied. Dann wandte sie sich ab, die Elfengleiche, trat zurück auf den Weg, Strohsandalen knirschten zu den Kieseln unter ihr. Die Grillen endeten ihr Lied, kurz blieb sie stehen und warf schaudernd ihren Blick nach allen Seiten, doch der Rabenflügelschatten war schon vorbeigeflogen. So ging sie weiter, überquerte den Weg und lief dann am Rand des Feldes, wo der Wald beginnt, der Saum ihres Kleides streifte Gräser und Erde. Ihre Finger streiften Blätter und Stämme, nicht den Weg zu verlieren. Im Wald huschten kleine Tiere umher, im Schatten und Schutz von Büschen und Bäumen. Geraschel. Vielleicht ein Eichhörnchen, im Baum über ihr. Leises Scharren. Oder – die Waffe eines Bogenschützen, die Hände des Verrräters? Die dunklen Gedanken abschüttelnd, raffte sie ihr Tuch enger um die Schultern und beschleunigte ihre Schritte. Doch ein Echo ihrer Sandalen auf dem Boden hörte sie nun hinter sich. Ein Blick zurück - ...niemand. Aus dem Boden kroch schon nächtliche Kälte und lies sie erneut schaudern. Noch einmal sah sie sich um, doch sah sie nur Schatten in Schatten. Kurz schloss sie die Augen, um ein Zittern zu unterdrücken, atmete tief die feucht-kalte Waldluft und setzte sich erneut in Bewegung. Langsam zuerst, dann, als sie wieder im Nacken die Blicke der Verfolger zu spüren glaubte, schneller, bis sie schließlich rannte. Immer am Rand des Waldes entlang, wo die Felder beginnen. Die letzten goldenen und roten Sonnenstrahlen zogen sich zurück, mit ihnen ging der letzte Rest von Wärme. Die Elfengleiche rannte am Rand des Waldes, ihre Schritte verscheuchten die kleinen Tiere, ihr Atem blieb als weiße Wolke in der Luft. Im schnellen, dumpfen Rythmus ihrer Sandalen im Moos glaubte sie eine Armee auf ihren Fersen, aber unter den Zweigen der Eberesche, wo sie keuchend stehen blieb, war sie allein. Keine Grille sang mehr und nicht ein Eichhörnchen war zu hören. Sie vernahm nur ihre eigenen Atemzüge und den pochenden Rythmus ihres Herzens. Von den Zweigen des stolzen Baums hingen verwelkte Ketten aus Blumen und anderes Feenhandwerk in der Stille und im Wind, der leise wehte und den Eindruck erweckte, der Wald würde atmen. Als sich der Herzschlag der jungen Flüchtenden beruhigt hatte, trat sie durch die Blumen- und Eichelketten in den Wald ein. Unter ihren Füßen brachen Zweige, ansonsten herrschte vollkommende Stille. Schon nach wenigen Schritten war der Boden komplett von Nadeln bedeckt, Sträucher waren gewichen und zwischen den stillen Bäumen tanzte nur hier und dort lautlos ein Sonnenstrahl. Einmal noch warf die Elfengleiche einen kurzen Blick zurück zu der Eberesche, die den Anfang ihres Waldpfades markierte, aber keiner ihrer Verfolger war zu sehen. Dann schritt sie zwischen den hohen, schlafenden Eichen hindurch in die unnatürliche Stille dieses Waldes. Sie trat mit Bedacht auf, als würde sie Fallen erwarten, und ging zügig voran. So dauerte es auch nicht lange, bis sie an jener Lichtung ankam, die seit sie die lila Blumen gepflückt hatte, ihr Ziel gewesen war. Auch hier waren es Eichen, die einen unregelmäßigen Kreis bildeten. Im Halbschatten der weiten, zum Himmel gestreckten Äste lagen Erhebungen, kleine, unscheinbare Hügel. Sie schritt schnellen Fußes über die Lichtung, hin zu diesen scheinvergessenen Gräbern; in den Feuerfarben der allerletzten Abendsonne glänzte ihr schwarzes Haar. Vor den Hügeln schließlich sank sie auf die Knie. Die lila Blumen, die sie während ihrer panischen Flucht umklammert hatte wie Ertrinkende ein Stück Treibholz umklammern, legte sie nieder - zu Ehren der Toten. Eine Träne fiel zur Erde. Es war das mittlere Grab, das sie beweinte, doch Blumen hatte sie auf jedes gelegt. Hinter ihr verschwanden letzte Strahlen der Sommersonnwendsonne, kündigten den Anbruch der kürzesten Nacht des Jahres an. Während die Trauernde am Boden kniete, ertönte hinter ihr aus dem Wald ein leises Rascheln, das sie nicht bemerkte. Dann noch ein Rascheln, wie von Kleidern, dann das laute Brechen eines Zweigs. Sie hob den Kopf und warf einen furchtsamen Blick über ihre Schulter in das tiefe Dunkel des Waldes. Ihre tränenverschleierten Augen weiteten sich. Mit einer Hand tastete sie hinter sich, wie nach der Hand eines Geliebten, doch fühlte nur feuchte Erde zwischen ihren Fingern. Sie ballte ihre klamme Hand zur Faust, hob den Blick und summte kaum hörbar wieder das Lied der Grillen und Bienen, dort am Weg, bei den Blumen in Lila. Wenige dumpfe, schwerfällige Schritte waren zu hören, dann verhallten sie und mit ihnen das Trostlied; und atemlose Stille hrerrschte wieder über den Gräbern.
Und am Himmel lächelte der Mond traurig hinter seiner Maske aus Wolken.


© Stefanie T.


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