Als irgendein Supermann mal wirklich zornig war, da flog er fort, durchbrach die Schallmauer, er überschritt die Lichtgrenze und danach flutschte er durch die Zeitbarriere. Erstaunt über seine Wut, fand er sich in der Urzeit wieder. Was er dort erblickte verschlug ihm die Sprache. Voller Ekel erklärte er seinen sämtlichen Vorfahren den Heiligen Krieg – das heißt, er erklärte ihn nicht lange, er erschlug sie einfach!

Was war geschehen? Ursprünglich wollte er ja nur seinen Eltern verzeihen, die ihrerseits nun wieder ihren Eltern verzeihen sollten, usw. Eine endlos lange Kette aus (anfangs) krummen Touren, aus Erniedrigungen und (später) Lust- und Raubmorden, aus Vergewaltigungen, aus Mutterliebe und Leidenschaften (durchgängig), aus Pflichterfüllung und Brutpflege entstand - Bis er endlich durch die Zeitbarriere glitt und in grauester Vorzeit gelandet war.

Dort gab es das wenigste Mitleid. Die praktische Grausamkeit regierte alles Lebendige. Da wusste der Supermann, woher das mit den Eltern gekommen war und er verzieh ihnen. Dann verzieh er ihnen wieder nicht, dann verzieh er sich selbst und dann wieder nicht, usw. Schließlich musste er sich eingestehen, daß er kein Gott war und einfach komplett durchgedreht hatte. Für so viel Pfuiteufel war er schlichtweg zu schwach gewesen. Das konnte nur ein Monster aus Nicht-Fleisch-und-Blut aushalten!

Der Supermann weinte sich, durch das Chaos das er angerichtet hatte, in seine Zeit zurück. Das ging ganz automatisch! Wie in einem Sog befindlich wurde er – als würde er durch ein Schwarzes Loch gedreht – in seine, ihm bekannte Gestalt zurückverwandelt.
Doch da war keine! Wieder in seiner Epoche gelandet, stellte er fest, daß es ihn gar nicht gab! Er war einfach nicht da!

Seine Eltern waren nicht da, seine Großeltern auch nicht. Es hatte keine Kriege gegeben, keine Morde, keine Vergewaltigungen, keinen Samenstau, keine Mutterliebe – nichts! Nur wildes Land. Die aufgeschlagenen Geschichtsbücher waren leer! Unbeschriebene Seiten erstrahlten in herrlichem Weiß. Nur die Tränen des Supermannes färbten sie ein wenig feuchtfarben. Um das nicht definierte Sein herum spürte er einen Ansturm von Garnichts. Amorphe Tohuwabohu-Strömungen beflügelten den beseelten Raum, ohne ein schlüssiges Ergebnis zu erzeugen. Es war wie das gewaltige Herbeiwünschen eines Irgendjemand, vieler Irgendjemande. Doch die amorphen Irgendjemande waren – unfähig zu morden, zu vergewaltigen, zu lieben, Brutpflege zu betreiben und Kriege zu führen – nicht auffindbar.

Auch verhinderte Epidemien, Pandemien, Pogrome und Orgien waberten durch das Nichts, auf der Rückseite der Zeit entlang. Wie lange, dünne, durchsichtige Knochenfinger stocherten sie durch die Membran der Diesseitigkeit, um es dem Verursacher des Nichtseins, der Ereignislosigkeit ereignisgeschwängerter Wunschwelten heimzuzahlen. Und schließlich bekamen sie ihn, den nichtexistent Existierenden in der 0-Zone (dem Bereich zwischen „Realität“ und „Wirklichkeit) zu fassen. Sie zerrissen ihn in der Luft! Da purzelten fröhlich die ganzen Geschichten der Geschichte wieder aus ihrem Reservoire höherer Planungen und füllten herrlich bunt das Dasein aus.

Und keiner verzieh keinem! Kain erschlug Abel, Kleopatra liebte Caesar (sie tat zumindest so). Caesar eroberte die Welt um sie an Attila, Stalin und Hitler weiter zu reichen. Dadurch wurden die Eltern, die Großeltern, die Ur- usw., bis hin zum Homo erectus, der gerade am Feuer saß um seinesgleichen zu fressen, frei von Schuld. Die Abende gestalteten sich wieder romantisch, die Dates waren wieder heiß und die Erde ein Wohlgefallen. Hosianna!

Der Supermann materialisierte sich aus seiner Zerrissenheit in der Luft, wie eine fleischliche Fatamorgana, zurück in den Standpunkt des Betrachters, von dem aus er sich an allem Kommenden erfreuen wollte wie ein riesenkleines Kind. Er nahm sich vor wieder Werbung zu gucken und die Nachrichten nicht so ernst zu nehmen. Dann ging er zu seinem Psychotherapeuten und machte diesen mit der Behauptung, daß es auf der Welt absolut nichts zu verzeihen gäbe verrückt. Das fand er witzig! So witzig, daß er ihn heute noch manchmal in der Anstalt besucht, wo der arme Kerl an einem imaginären Gitter rüttelt, um einen imaginären Ort zu verlassen, den es nur dann nicht gibt wenn man aufhört zu denken.


© Sur_real


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