In den Bergen, wo die Sonne erst ganz spät untergeht, lebte einmal ein böser Zauberer. Er konnte zu anderen Menschen in Kontakt treten, auch wenn sie weit weg waren und er konnte sie beeinflussen. Das genoss er, denn es gefiel ihm, wenn es anderen schlecht ging und er Menschen von ihrem Weg abbringen konnte. Es war das eigentliche Ziel, die Menschen so weit zu beeinflussen, dass sie nicht mehr wussten, was sie im Innersten wollten, sie seine Marionetten waren.Er wohnte in einer Hütte in den Bergen und seine Existenz war den wenigsten bekannt.Die meisten hielten das Gerede über ihn nur für eine Sage. In der Stadt am Rande der Berge lebte ein 15-jähriger Junge, er war unzufrieden mit sich und der Welt.Er hatte wenig Erfolg in der Schule, er mochte sich nicht und er hatte nicht das Gefühl, einen Platz in der Welt zu haben. Der Junge war oft traurig deswegen, und die Traurigkeit wich bald Wut und dann Hass. Wie konnte es sein, dass andere es so leicht hatten. Und sie trauten sich so viel zu. Er selbst traute sich nicht viel zu, er fühlte sich als Versager.Abends, wenn die Sonne unterging und die Nacht heraufzog, hielt der böse Zauberer Ausschau nach Menschen, die er beeinflussen konnte. Er wollte unbedingt ein neues Opfer, denn er ernährte seine Seele von dem Leid und den Tränen, die er verursachte. Da entdeckte er in seinem Zauberspiegel den Jungen, der ganz traurig und hasserfüllt war. Er trat in Kontakt zu ihm und sagte in seine Gedanken. „Junge, eigentlich bist du jemand besseres. Die Leute wollen das nur nicht sehen, sie erkennen deinen Wert nicht. Ich erkenne ihn. Du bist viel besser als die anderen alle zusammen. Schau nur, was du alles kannst und wie gut du aussiehst. Schau nur, wie dumm dagegen die anderen sind und wie einfach. Die kapieren doch alle nichts. Es ist nicht gerecht, dass du so wenig Erfolg hast und andere so viel. Da geht was nicht mit rechten Dingen zu.“ Der Junge dachte „Ich bin so ein Versager und ich habe so eine Wut. Natürlich ist es nicht gerecht, dass es andere so leicht haben und ich habe es so schwer. Ich glaube, ich bin etwas Besseres zu den anderen, sie sehen es nur nicht. Alle machen mir Druck, ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“ Der böse Zauberer freute sich, dass der Junge ihm vertraute. Der Junge schlief ein, aber er träumte nicht gut. Denn im Traum erschien ihm der böse Zauberer. Er sagte ihm: „Schau, ich kann dir alles geben: Erfolg und die Menschen werden endlich erkennen, wie wertvoll und bedeutend du bist. Als Ausgleich dafür gibst du mir einen Teil deiner Seele. Es wird kein Schaden für dich sein. Schau dich an, du schaffst es nicht allein.“ Der Junge war unsicher, doch er willigte ein, er wünschte sich nichts sehnlicher als Erfolg zu haben und bedeutend zu sein.



Sein Wunsch ging in Erfüllung, denn der böse Zauberer hatte Macht. Der Junge freute sich über die Erfolge, die er feierte. Er bekam viel Lob, Anerkennung und die Aussicht auf viel Geld. So ging er irgendwann als junger Mann an die Universität der großen Stadt in der Nähe und war überzeugt, dass er ein erfolgreiches Leben führen würde. Doch die Abmachung hatte einen Nachteil. Der junge Mann fühlte kaum mehr etwas. Er war nicht mehr in der Lage, zwischen guten und schlechten Gefühlen zu unterscheiden. Er verletzte sich selbst und viele andere Menschen. Sein Leben schien ihm sinnlos. Und das war nicht alles. Eines Nachts, als der Vollmond am Himmel stand, verwandelte sich der junge Student in einen Werwolf. Er ging völlig aufgelöst und voller Wut durch die dunklen Gassen und konnte keine Worte finden, nur noch ein Geheul drang aus seinem Mund, der zu einem Maul geworden war. Als die Menschen ihn am Marktplatz sahen, bekamen sie es mit der Angst zu tun und beschlossen, das Ungeheuer, das er in ihren Augen war, zu töten.

Sie kamen mit Äxten und Messern auf ihn zu. Der junge Mann, der ein Werwolf war, versuchte, in eine dunkle Gasse zu flüchten, doch die Menge folgte ihm.

Da sah der Werwolf eine offene Haustüre in einem alten kleinen Haus und er ging hinein.

Innen saß neben dem roten Schein eines Feuers ein alter Mann. Der Werwolf befürchtete, den Mann erschrocken zu haben und so vielleicht auch in Gefahr zu sein, doch der Mann zeigte keine Angst. Er sagte: „Wen haben wir denn hier? Willst du dich nicht vorstellen?“

Der Werwolf fand plötzlich seine Sprache wieder und sagte: „Ich wollte Sie nicht erschrecken, ich habe nichts Böses vor, doch ist eine Menge an Menschen hinter mit mir her. Ich komme aus der Stadt am Rande der Berge und bin der Sohn des Bäckers.“

Der alte Mann musterte ihn. „Mir scheint, dich beschäftigt und belastet etwas. Komm ans Feuer, willst du es mir erzählen?“

Der junge Mann berichtete dem Mann am Feuer seine Geschichte. Der Alte schien nicht überrascht. Er sagte dem jungen Mann. „Schau, mein Sohn, jeder Mensch hat Fähigkeiten und Talente. Wenn du nicht erfolgreich warst, heißt das nicht, dass du nichts kannst und keine Talente hast. Die Fähigkeiten, die in der Schule und in der Arbeit gefragt sind, sind nicht alle, die es gibt. Lerne, dich zu entdecken. Jeder ist wertvoll. Niemand ist ein Versager.“

Der junge Mann fragte, ob der alte Mann die Magie des bösen Zauberers wegnehmen könnte. Der Alte antwortete: „Erlösen kann dich nur die Liebe zu dir selbst.“

Der junge Mann bedankte sich und ging hinaus. Die Menge hatte sich inzwischen aufgelöst und es war niemand mehr auf der Straße. Er schaffte es heil bis zu seinem Haus.

Der böse Zauberer hatte von seinem Spiegel aus beobachtet, was geschehen war und er war erbost. Er hätte es gut gefunden, wenn der junge Mann getötet worden wäre und ein Leben verbracht hätte, von dem er nicht viel gehabt hätte.

Doch der Zorn des bösen Zauberers hielt den jungen Mann nicht auf. Er lernte eine Frau kennen, die sich in ihn verliebte, sie liebte sein Innerstes, ihn als Menschen und gab ihm das Gefühl, wertvoll zu sein und kein Versager. Da löste sich die Magie des bösen Zauberers auf und der junge Mann konnte mit seiner Freundin wieder ein normales Leben führen.

Der junge Mann zog mit ihr zurück in die Stadt am Rande der Berge und wurde von dem Zauberer nie wieder angegriffen.


© Simone Seebeck


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