Noch bin ich entschlossen den Kampf aufzunehmen. Vor mir steht der Gestaltwandler. Gerade eben hat er sich aus den Tropfen meines Hustens, der mir trocken aus der Lunge fuhr, zurück verändert. Eigentlich hatte er mich an mein Bett gefesselt, doch mein Geist verwandelte sich in einen weißen Adler und flog aus den ledernen Schlingen auf diesen staubigen, von spitzen Felsen umgebenen, Kampfplatz. Die drei Sonnen brennen mir unerbittlich auf die Seele und versengen meinen Verstand. Zwei der feurigen Planeten sind die Augen meines Gegners. Die Sonne am Himmel stürzt sich zuerst auf mich. Funken sprühen wie Giftpfeile. Sie treffen auf mich und verwandeln sich sofort in schwarze Käfer, die das Blut aus meinen Federn saugen. Ich schüttele sie ab und versuche nach rechts auszuweichen. Doch ein rostig brauner Zaun hebt sich aus dem Rasen wie eine Sprengfalle. Ich kann gerade noch stoppen, da verbrennen mich auch schon die ersten Strahlen der Sonnen. Die ersten Eruptionen kann mein Körper noch abhalten. Aber als der heiße Ball meinen Schädel trifft, wirft er mich aus der Bahn. Teile meines Schnabels werden als brennende Kometen ausgeworfen. Sie knallen auf den Boden und hinterlassen rauchende Einschläge. Mein Schrei teilt den Leuchtkörper in zwei Welten. Sofort erkalten die beiden Hälften zu rasenden Eisenkugeln, die mir beide Flügel abreißen. Jetzt kreise ich als torkelnder Korpus um die Mitte des Kampfplatzes. Die Leuchtkörper haben hinter mir riesige schwarze Löcher im Zaun hinterlassen, die sich sofort von selbst wieder schließen noch ehe mein Blick sich an die neue Situation gewöhnen kann. Zwei weiße Zwerge sägen mir die Krallen ab. Der Feind stößt ein verächtliches Lachen aus und verwandelt sich in eine verlockende Chance. Ich versuche sie zu ergreifen, habe aber keine Arme mehr. Die Hitze macht den Durst nach Erfolg immer unerträglicher. Mein Körper wackelt vor und zurück. Da werfe ich die Federn ab. Mein freier Geist entscheidet sich für einen anderen Weg. Der Gestaltwandler schlägt sofort zu. Er verwandelt sich in eine Zukunft. Ich erblicke mich selbst als alter Mann. Ärzte kümmern sich rücksichtsvoll um mich. Mein Leib ist zerfallen und in alte Fetzen gehüllt. Haut pellt sich in Zentimeter großen Stücken von meinem Rücken. Als Abwehr werde ich zu der Vergangenheit und beschenke mich mit süßen Erinnerungen. Ein Kind springt, die Arme freudig wedelnd, einen Strand entlang in das glitzernde Wasser. Ich hüpfe mit einem Sprung in das Meer und tauche unter. Immer tiefer versinke ich in den Grund. Ich schwimme an leuchtenden Korallen vorbei. Die Sonnenstrahlen fallen von oben durch die Wasseroberfläche wie durch die Gläserbilder eines gotischen Domes. Ein Hai taucht plötzlich aus den unergründlichen Tiefen auf. Er öffnet sein Maul, wirft seine Haut ab wie eine Schlange und verwandelt sich in einige riesige Staatsqualle, die mich mit ihren Tentakeln zu fassen versucht. Ich weiche aus und suche in einem Schneckengehäuse Schutz. Als ich wieder austrete befinde ich mich auf einer Wiese aus Nadeln. Soweit das Auge reicht streift es nur metallische Fläche mit unerträglichen Spitzen. Am anderen Ende auf einer schwebenden Insel steht die Frau meines Lebens nackt und winkt mir aufreizend zu. Ich nehme den Schmerz auf mich und setze den Fuß auf die Stacheln. Meine Füße werden aufgespießt. Ich aber reiße mich von den metallischen Spitzen los. Teile meiner Beine bleiben in Fleischfetzen zurück auf der Nadelwiese. Ich renne los. Immer mehr Bereiche meines Körpers bleiben hängen und werden mir abgerissen. Hier ein Arm, dort ein Teil meiner Innereien aus dem Bauch. Als ich die Insel erreiche habe ich alle Körperteile bis auf den Kopf geopfert. Er rollt blutend über frisch gewaschenen hellblauen Stoff. Über das frisch bezogene Bett streichen die heraus hängenden blutigen Adern die langen Beine und hinterlassen kaligrafisch perfekte chinesische Schriftzeichen auf ihrem Knöchel. Mein Auge rutscht aus der Höhle und wäre fast in die Wiese aus Nadeln zurück gefallen. Doch die kleinen Hände mit den dünnen Fingern und den gepflegten Nägeln fängt mein auslaufendes Auge auf. Zärtlich streicht ihre weiche duftende Haut über die Pupille. Dann zerquetscht sie behutsam den Augapfel langsam wie ein Joghurtgum zwischen ihren vollen roten Lippen. Ihre Zähne färben sich grün nach meiner Augenfarbe. Der perfekt geformte Oberkörper mit den anziehend rundlich proportionierten Hüften und dem flachen Bauch erhebt sich langsam aus den Kissen und lässt die Brüste vor meiner Nase schwingen. Meine Nasenhaare greifen nach den bunten fliegenden Hornissen, die anziehende Gerüche in meine Richtung wedeln.
Ich bin schon wieder auf meinen Feind hereingefallen und begebe mich in Askese. Hinter Windflüchtern an den Felsen am Strand meiner Hoffnung stehe ich nun auf einem hundert Meter hohen, morschen Pfahl. Die Plattform ist gerade so breit wie meine Fußsohlen und der Regen peitscht mir in das Gesicht. Das Holz knarrt bei jeder Regung. Dunkle Wolken ziehen von Meer aus auf mich zu. Graue Riesen mit Knollennasen und Rauschebärten peitschen das Wasser auf und werfen Blitze an meinen Pfahl, der davon bedrohlich wackelt. Meine Gebete werden zu einem gewaltigen Roboter, der die Felsenklippe bei Seite schiebt und sich abwechselnd in ein Schiff, ein Flugzeug und eine Kanone verwandeln kann. So attackiere ich die Wolkenfront, die sich sofort in riesige Bienen, Spinnen und Krankheiten verwandelt. Wir ringen eine ganze Lebensspanne. Die Schlacht zerstört mehrere Welten und springt von Kontinent zu Kontinent als der Kirchturm eines Tages aus der Ferne 12 Uhr schlägt. Ich schaue mich um und finde mich gefesselt in meinem Bett wieder. Schwere Krämpfe lassen mich zusammen fahren. Wie ein Wurm schiebt sich der Schmerz langsam von Organ zu Organ und verschlingt alles was ihm in den Weg kommt. Es schüttelt mich durch mit verrückten optimistischen Gedanken und Sehnsüchten. Dann wieder ergreift mich der Feind mit Hoffnungslosigkeit. Ich schwinge mich dagegen mit Ignoranz auf. Ich liebe den ganzen Schmerz so sehr, dass ich ihm einen gläsernen Altar errichte. Durch das Gegenmittel der Gleichgültigkeit lege ich mir den Panzer des Gleichmuts an. Die Attacken des Gegners bleiben wirkungslos und der Gestaltwandler wird aus puren Zorn zu Erde, die auf den Boden rieselt. Darauf wandere ich nun schon eine ganze Weile, da kann er machen was er will. Ich bekomme von seinen Angriffen nur am Rande mit. Das Abwehrschild des Vertrauens hält alles ab und lässt mich klar durch den Nebel tief blicken. Plötzlich wache ich auf und bin nicht mehr gefesselt. Die warme Decke schmiegt sich an meinen Körper. Frische Luft weht mir von einem beginnenden Frühlingstag entgegen. Seitdem ich mich erinnern kann bin ich das erste Mal sorglos. Zufrieden strecke ich mich und atme tief ein. Ich lasse das Geschehen Revue passieren. Dabei ertappe ich mich dabei, wie ich meinen Kopf über mich selbst und mein zittriges Schwitzen schüttele, obwohl mir ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Der Feind ist geschlagen? oder hat er sich jetzt in die Wirklichkeit verwandelt?


© mobla - André Ritter


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