Irgendwann wurde in der Schule geflüstert, dass unsere Klasse nach Helgoland fahren sollte. Wer diesen Vorschlag damals machte ist mir heute nicht mehr in Erinnerung. Kann sein, dass wir eine Arbeit darüber geschrieben haben und wollten uns das direkt vor Ort anschauen, auch weil die Insel eine nicht unerhebliche Geschichte im Deutschen Reich spielte. Vielleicht auch deswegen, weil ja eine Klassenfahrt meist in einem Schuljahr sowieso vorgesehen war und da lag es sehr nahe Helgoland einen Besuch ab zu statten. So hat man sich auch schon ein Jahr zuvor den Limes angeschaut, den Römischen Grenzwall oder das was davon noch übrig war im Taunus. Helgoland war dann doch eine etwas größere Nummer, weil Übernachtung dazu kam und wenn man schon mal in der Gegend ist man den Hamburger Hafen gleich mitnehmen wollte.

Früh morgens um 7.00 Uhr ging’s dann los. Einen kleinen Rucksack vollgepackt für ca. 3 Tage „Abenteuer“. Unser Lehrer Herr H., ein sehr patenter Mensch, hatte alles im Vorfeld der Reise organisiert, die damals noch sehr lange dauerte. Die Bahn war wie auch heute noch, nicht die Schnellste. Es dauerte bis man im Norden Deutschlands ankam mit all den Zwischenaufenthalten, wie das An- und Abkoppeln der Wagons, Wechsel der Lok etc. Für das Schauspiel verging schon mal die ein oder andere halbe Stunde. Gegen Abend waren wir erst in Cuxhaven gelandet.

Mädchen und Jungen wurden separat in Herbergen untergebracht. Die beiden Herbergen lagen ca. 1km von einander entfernt. Die Verantwortung, dass da kein Unsinn passiert, lag bei unseren Lehrer und das dieser kein Arschloch war zeigte auch, dass er die schlechten Schüler mit den guten im Schulunterricht zusammensetzte. Man sollte von einander lernen. Herr H. war ein Ausnahmelehrer. Er verstand es bei den Schülern Vertrauen zu bekommen, indem er ihnen diese Möglichkeit gab. Unser Lehrer griff nur ein, wenn derjenige völligen Quatsch erzählte.

Gegen Abend unternahmen einige von uns einen Abendspaziergang, um die Gegend kennen zu lernen, was natürlich verboten war aber wo kein Kläger da kein Richter. Denen schloss ich mich an. Ich weiß nicht mehr so genau wie lange wir durch die Gegend schlenderten. Wir besuchten natürlich zuerst das Quartier der Mädels, die aus dem Fenster schauten und uns zuriefen und winkten. Niemand von ihnen durfte noch am späten Abend hinaus auch wir ja nicht aber es ergab sich die Möglichkeit dazu die einige und ich eben auch ausnutzten. Die Versuchung war groß und die Abenteuerlust natürlich auch!

Unsere Quartiere lagen am Rand von Cuxhaven. Man konnte die Schiffe von weitem sehen. Bis zum Hafen waren es einige Kilometer die niemand laufen wollte. Wir stromerten erst einmal auf dem Deich entlang ganz in der Nähe unserer Unterkunft. In weiter Ferne entdeckte jemand von uns ein rotes Licht. Als wir uns dem näherten sahen wir, dass es eine rote Laterne war, die in den Abendstunden sich von der Menge anderer Lichter ab hob. Die Straßen waren menschenleer und es standen auch keine Autos, wie heute überall auf den Gehwegen etc. herum. Wir überlegten was wir machen wollten. Irgend jemand mußte dort hinunter laufen und schauen was das ist. Das Los fiel auf mich ( ich hatte das gefakte kürzere Streichholz gezogen :-/) und falls es eine Kneipe war, sollte ich gleich 6 Flaschen Bier mitbringen. Jeder gab mir eine Mark, was wohl für eine Flasche, so dachte man, reichen würde. Man rundete sicherheitshalber auf 10 DM auf, so, dass da nix schief laufen konnte, denn in Großstätten könnte es ja sein, so dachten wir naiv, dass es etwas teurer war als zu Hause bei uns im Städtchen, in dem man schon für 6DM eine ganz Kiste bekam. Ich also vom Deich runter, die Straße entlang bis zur roten Laterne.

Einige dieser Fenster leuchteten in weihnachtlicher Stimmung. Es war zwar Mitte Oktober und bis Weihnachten war noch ein bisschen weit hin aber hier war jemand schon etwas übereifrig dran sich diese Stimmung hinter die Fenster zu „nageln“. So dachte ich damals noch, als ich davor stand und mir das Haus betrachtete bevor ich hinein ging. Ein Schild über der Türe zeigte die 66 an aber sagte nix über dieses Haus aus. Zur Türe mußte ich ein paar ausgetretene Steintreppenstufen hoch latschen und beim Probieren, ob die Türe geschlossen, stellte ich fest, dass diese, oh Wunder, geöffnet war.

Ich also frohen Mutes rein und stand gleich vor einem Tresen, der verlassen vor mir thronte. Niemand da! Nur die goldene Anmeldeglocke, ein geschlossenes Buch, ein altes Telefon aus dem vorletzten Jahrhundert. Das Interieur glänzte im knallroten Look, wie auch die Teppiche und die weinroten Samttapeten und Vorhänge. Hinter diesem großen Tresen ging direkt eine Treppe nach oben und eine Türe nach links, sowie eine nach rechts. Es war ein Haus, dass mir recht seltsam vorkam. Niemand am Empfang und es roch übermächtig nach Parfüm.

Ich wollte gerade kehrt machen als eine fleischgewordene „Schönheit“ von links in mein Blickfeld wubbte, sich auf einen scheinbar, von mir aus nicht erkennbaren Hocker setzte, sich nach vorne beugte, so, dass der Inhalt von einem Megabusen fast aus dem Korsett flutschte aber es aus irgendeinem Grund nicht tat, sonst hätte es mich kleinen, schmächtigen Jungen, schätze ich, erschlagen. „Na, Kleiner, was willst Du denn hier zur späten Stunde, kam es über die aufgedunsenen, in fetten, knallrot angemalten Doppelbalken, die sich in einem aufgedunsenen Gesicht schwabbelnd bewegten, welches zu beiden Seiten kleine Bonsai-Kronleuchter an den Ohren trug. Ich schaute verdutzt in zwei paradiesisch, gefärbten Augenhöhlen dessen Regenbogenfarben-Anmut in übernatürlich glitzernden Funkeln mir entgegen wirkten. Ich bekam erst mal kein Ton heraus – würg, schluck! Dann fing ich an meine Gedanken zu sortieren und erinnerte mich was ich wollte. 6 Flaschen Bier hätte ich gerne für meine Schulkameraden draußen, sagte ich verlegen und legte die 6 DM auf den Tresen. Mir kam meine Stimme plötzlich doch sehr fremd vor. So hatte ich mich noch nie gehört! Dann aber faste ich mich doch recht schnell, weil ich bemerkte in was mich meine Kameraden da hinein schlittern liessen. Sie amüsierten sich bestimmt köstlich draußen, dachte ich, während dieses Ding mein Kleingeld zählte. Ich wurde schnell der Situation wieder Herr und fragte nun wie sich diese Kneipe nennt und ob das mit den 6 DM in Ordnung ginge!? Der schwabbelige Fleischberg auf der anderen Seite, ich schätze die Besitzerin des Etablissements, konnte es vor Lachen kaum fassen und fragte mich wo ich denn her käme und was ich so machen würde. Ja, es kam zu einem kurzen aber netten Gespräch, in dem das mächtige Wesen aus einer anderen Welt, was mich an Star Wars Jabba der Hutte erinnerte, meinte, wenn ich mal groß bin, könne ich ruhig wieder vorbei schauen aber für 6DM kann ich Dir keine Flasche Bier verkaufen. Wieviel hast Du denn noch so dabei, fragte es, das Ding? Ich antwortet, dass die Jungs da draußen mir 10 DM mitgegeben hätten. Naja, für 10 DM könne sie mir, wenn sie ein Auge zudrücken würde, gerade mal eine Flasche rausrücken. Ich war platt und sagte noch, dass dies ja Wucherpreise wären! Tja, antwortete sie, Cuxhaven ist nun mal viel größer als deine Heimatstadt aber es gäbe bestimmt dort auch solche „Geschäfte“ in dem man für eine Flasche Bier mehr als nur 10 DM bezahlen müsse.

Mir wurde so einiges klar und ich ärgerte mich, dass ich das nicht gleich gerafft habe aber mit 12 Jahren ließe sich das noch entschuldigen. Das kommt eben davon, dass man nur noch Karl May Bücher las und anderen Schinken seiner Eltern durchackerte, während das wahre Leben einen doch fremd war. So in der Art und Weise dachte ich zu diesem Zeitpunkt als ich auf die Flasche Bier wartete. Der lebendig gewordene Fleischberg, kam nach einigen Minuten wieder und brachte mir eine Miniflasche von Bier. Also, da war nicht mal ein halber Liter drin. Ich fiel aus allen Wolken als sie mir diese in die Hand drückte und meinte, teilt euch das gut auf denn viel ist da auch nicht drin. Das Glas ist dicker als man es vermutet! Noch nie im Leben bin ich so reingelegt worden und dieser Fleischberg hätte ja auch mal beiden Augen zudrücken können! Aber so ist eben das Leben! Wer nicht aufpasst wird eben bestraft und im ungünstigen Falle darüber hinaus verarscht.

Die Lacher, die mich danach draußen empfingen, habe ich lang schon vergessen. Es war eine Erfahrung, die man einfach irgendwann macht. Im Nachhinein ist eine lustige Geschichte draus geworden! Eine Geschichte die aufzeigt, dass nicht gleich die Welt untergeht wenn man verkohlt wird.

Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)

© Michael Dierl


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Beschreibung des Autors zu "Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)"

Da hab ich nicht schlecht gestaunt als ich vor einer solchen Person stand und das mitten in der Nacht um ca. 1 Uhr. :-) Trotzdem war diese Tante recht nett!

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Kommentare zu "Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)"

Re: Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)

Autor: Jens Lucka   Datum: 05.02.2022 17:46 Uhr

Kommentar: Haha... lieber Michael ! Ich wäre wohl gleich wieder rückwärts hinausgestürzt.
Solche verkohle Situationen hat wohl so Mancher durch, ob früher oder später.
Gerade bei solchen ,,Klassenfahrten" hat man so Einiges erlebt, Haha..
Kann ich voll nachvollziehen.

Gruß, Jens

Re: Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)

Autor: Alf Glocker   Datum: 05.02.2022 17:50 Uhr

Kommentar: Ächtz! Gar köstlich lieber Michael!

LG Alf

Re: Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)

Autor: Michael Dierl   Datum: 05.02.2022 18:19 Uhr

Kommentar: Hallo, ja, ich weiß es ist etwas zuuuuuuuuuuuu lang und tut mir auch leid für Euch die da durchgehalten haben! Aber ich lese eure langen Texte auch immer! Man muß oder besser sollte den Spannungsbogen eine Geschichte immer aufrechterhalten wenn diese wirklich gut werden sollte. Meine Essays in der Schule waren auch immer zuuuuuuuuuuuuu lang. Nicht, dass ich den Lehrer quälen wollte, denn dieser von dem ich hier schrieb hätte es nicht verdient! Mir fällt eben meist zu viel ein! Vielleicht wird die nächsten Geschichte etwas kürzer dann stürze ich gleich mit der Tür in's Haus! Sorry, nochmals lieber Alf und Jens! Ich lade Euch gedanklich auf ein Bier der Sorte Cuxhaven ein :-).

lg Michael

Re: Klassenfahrt nach Helgoland (ein Erlebnis für’s Leben)

Autor: Alf Glocker   Datum: 05.02.2022 18:38 Uhr

Kommentar: Danke für die Einladung!

Und: man muss schreiben was man schreiben muss!
Die Geschichte war witzig!

LG Alf

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