Liebe Studierende und Freunde des Diagonal-, Überkreuz- und Selbstdenkens,

Sie alle kennen Professor Gutbrod, der an unsere Universität gekommen ist, weil diese am Nordpol liegt, und er die Möglichkeit in Betracht zog, an diesem Ort auch irgend etwas für die Eisbären tun zu können. Ja, Professor Gutbrod ist sehr umweltbewusst und hat bereits fast seine gesamte Existenz auf eine nachhaltige, umweltfreundliche Lebensführung umgestellt.

Neulich kam ich in der Universitätsmensa bei einem veganen Gericht mit ihm ins Gespräch, und bei dieser Gelegenheit machte er mich mit seiner neuesten Idee bekannt, nämlich mit einer Problemlösung bezüglich des ausufernden Plastikabfalls.

„Wie wäre es, „fragte er mich, wenn man als erstes den Riesenwirbel aus Plastikteilen im Pazifik beseitigen würde?“

„Und wie wollen Sie das anstellen?“ fragte ich zurück.

„Wenn ich von Beseitigen rede, meine ich nicht so sehr, dass wir die einzelnen Plastikteile herausfischen und sie dann auf irgend einer Mülldeponie in einem Drittweltland abladen, von wo aus sie über kurz oder lang doch wieder in die Umwelt gelangen. Nein, ich denke daran, die Plastikpartikel miteinander zu verbinden, sodass sie eine stabile Grundlage für eine Insel bilden. Auf dieser könnte dann eine Erdschicht aufgebracht werden, und es entstünde ein stabiles fruchtbares pazifisches Inselparadies“.

Diese Idee leuchtete mir ein, ja, sie begeisterte mich. Wir taten uns zusammen, und überlegten, wie wir diese grandiose Idee am besten in die Tat umsetzen konnten. Das erste Problem bestand darin, die Verbindung der Plastikteile zu bewerkstelligen. Meine Idee, aus Flugzeugen Millionen Tonnen von Sekundenkleber über dem Wirbel abzulassen und die Plastikteile auf diese Weise zu verbinden, gaben wir schnell auf, da Gutbrod zu Recht vermutete, dass dieser Kleber im Wasser sich auf den Fischbestand negativ auswirken könnte. „Das Lösungsmittel in diesem Kleber würde das Unterwasserbiotop auf beträchtliche Weise schädigen“, meinte er. Diesem Einwand konnte ich nichts entgegensetzen.

Schließlich beschlossen wir, mit der Finanzierung durch eine Crowdfunding-Kampagne den gesamten Wirbel mit einem schwimmenden Schlauchkreis zu umgeben, den wir dann schrittweise immer enger zusammenziehen wollten, sodass die Plastikteile sich durch den Druck mit der Zeit ineinander verhaken und so verbinden würden.

Aufgebrachtes Erdreich würde ein weiteres dazu tun, diese kreisende Plastikinsel zu einem stabilen Gebilde zu formen.

Gesagt, getan. Die Idee begeisterte viele Millionen von Menschen, und so kam in kürzester Zeit genügend Kapital zusammen, um den Schlauch zu konstruieren und Schiffe zu chartern, die die Umgrenzung der Plastikinsel verlegen konnten. Kein einfaches Unterfangen, da der Plastikteppich mittlerweile bereits fast die Größe von Deutschland erreicht hatte.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es zwar gelingen kann, 40 Jahre lang eine stabile Mauer quer durch Deutschland zu bauen, jedoch eine wirklich lückenlose Grenze um Deutschland herum zu ziehen, ist uns bis heute nicht gelungen, weshalb wir es begrüßt haben, dass sich die Europäische Union rings um Deutschland etablierte. Wenn schon keine Grenze, dann zumindest ein Wall aus Freunden.

Zurück zum Pazifik. Nach einer gewissen Zeit war es uns dann doch gelungen, unsere Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Verschiedene Staaten spendeten fruchtbares Erdreich und Saatgut. Es entstand eine stabile Vegetation. Und schließlich wurde die Liste der Interessenten immer länger, die sich frühzeitig ein Grundstück auf der neuen Insel sichern wollten.

Doch dann, als schon alles – wie man volkstümlich sagt – in trockenen Tüchern zu sein schien, tauchte ein weiteres Problem auf. Die Insel begann immer schneller zu rotieren, eine Verankerung mit Hilfe von Stahlseilen am Meeresgrund war wegen der Wassertiefe unmöglich. Auch der vorübergehende Plan, den uns eine Schülergruppe per WhatsApp übermittelte, die Insel in ruhigere Gewässer zu schleppen, erwies sich als nicht durchführbar, da die Insel Plastilia, wie sie inzwischen getauft worden war, aufgrund ihres gigantischen Gewichtes nicht mehr von der Stelle zu bewegen war. Auch das Befestigen von Schlepptauen war wegen der mittlerweile hohen Rotationsgeschwindigkeit in der Praxis nicht realisierbar.

Aber dann stellte sich heraus, dass es ein noch weit ernsthafteres Problem gab. Bei einigen an den Arbeiten Beteiligten Handwerkern und Landwirten, die sich auf Plastilia aufgehalten hatten, zeigten sich Gleichgewichtsstörungen. Da diese jedoch nach der Rückkehr von der Insel schnell abklangen, waren sie zu Anfang nicht weiter beachtet worden.

Doch ein Daueraufenthalt, das zeigte sich dann recht schnell, war nur für schwindelfreie Personen möglich, alle anderen konnten sich auf dem rotierenden Eiland nur torkelnd fortbewegen. Tausende nahmen das in Kauf, was der Insel Plastilia den Spitznamen „Die Insel der schwankenden Siedler“ einbrachte. Die Menschen, die dort wohnten, wurden weltweit als „Taumler“ oder auch „Tumblers“ bezeichnet.

Welche Lehren können wir denn nun aus diesem Experiment ziehen? Mir fällt nichts ein als der eher hilflose Ratschlag: „Wenn Dein Leben zu schnell kreist, dreh Dich in die Gegenrichtung.“ Inwieweit, diese Weisheit Ihr Leben bereichert, liebe Studentinnen und Studenten, müssen Sie selbst entscheiden. Ein Kurzurlaub auf Plastilia wird Ihnen ein endgültiges Urteil deutlich erleichtern.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich schon auf Ihre Erfahrungsberichte.


© Peter Heinrichs


2 Lesern gefällt dieser Text.

Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher


Beschreibung des Autors zu "Über die Geburt einer Pazifikinsel (Episode 110)"

Der 110. Kurzvortrag des durchgeknallten Professors Anatol Hirnzwick

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Über die Geburt einer Pazifikinsel (Episode 110)"

Re: Über die Geburt einer Pazifikinsel (Episode 110)

Autor: Michael Dierl   Datum: 19.07.2021 12:25 Uhr

Kommentar: Eine seeeeeeeeeeeeeeeeeehr schöne Abenteuergeschichte. Nun ja, wenn man sich erst mal bewußt macht, dass bei der Dichte von Plastik es irgendwann möglich ist über das Meer zu laufen anstatt mit dem Boot zu fahren, was ja sehr unsicher ist und an die Flüchtlingsbewegung denkt, könnte es sein, dass nicht der Umweltgedanke im Vordergrund steht sondern die Zunahme von ein Mehr an Menschen aus der ganzen Welt, denn Pazifik und Atlantik wären dann auch eine Plastikfläche. Ich glaube mit dem Argument ließe sich eine bewußtere Umweltpolitik machen als derzeit mit der alleinigen Umweltpolitik. Der Mensch braucht eine persönlich größere und auch vorstellbare Gefahrenlage. Denn wenn's an's Gemüt geht wird radikal umgedacht! Kurz und bündig gesagt. Leider muß man erst mit dem Knüppel drohen bevor sich was tut! Tja, und eines Tages kommt ein findiger Chemiker mit dem Zaubertrick und läßt mit einem Schluck XXXXVVVLLLL das Wasser zu einem Gel gefrieren.

lg Michael

Re: Über die Geburt einer Pazifikinsel (Episode 110)

Autor: mychrissie   Datum: 20.07.2021 9:33 Uhr

Kommentar: Lieber Michael, ein ganz herzliches Danke für das Kompliment.

Diese Geschichte sollte aber zur realen Landgewinnung etwa so viel beitragen, wie das "Ministry of silly Walks" von Monty Python zur würdevollen Fortbewegung.

Sie entstammt einem Buch, dass ich während des Corona Lockdowns geschrieben habe. Es umfasst 111 Kapitel mit den abstrusen Gedanken eines durchgeknallten Professors. Ein paar davon findet man auch hier.

Ich plädiere für ein Ende der Ernsthaftigkeit! Wahnsinn ist die einzige vernünftige Alternative zur Realität!

Liebe Grüße, Peter

Kommentar schreiben zu "Über die Geburt einer Pazifikinsel (Episode 110)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.