Wer ist der Wäschedieb...?

( eine Alltagsgeschichte )

Bärbel Kunze wohnte mit ihrem Mann Fred in einem Hochhauskomplex.
Sie wohnte im linken Flügel des Komplexes und ihre Wohnungstür trugdie Nummer achtundzwanzig.
Bärbel war klein und pummelig. Sie hatte rote Haare, die sie immer kurz geschnitten trug. In ihrem runden Gesicht war ihre rote Nase etwas Markantes. Ihre roten Wangen und ihre gebräunte Haut verliehen ihr einen südländischen Touch.
Sie hatte in allen Dingen „ das Sagen“ und Fred hatte sich immer
unterzuordnen.
Fred war groß und spindeldünn. Er hatte hervorstehende Backenknochen und sein Hals war mit vielen Falten durchzogen.
Seine blauen Augen blickten öde in die Welt. Er war im ganzen Hochhauskomplex sehr beliebt, was man von Bärbel nicht sagen konnte. Fred Kunze war immer freundlich und zu jedem hilfsbereit. Für die Kinder im Hochhauskomplex hatte er immer Süßigkeiten parat. Man sah ihn immer als Ersten die Straße reinigen.
In Bärbels Gesprächen drehte sich alles um die Rente und über all
die Ereignisse in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Sie kannte alle Leute und sie redete alle mit Du an. Ihre akute Neugierde und ihre Schwatzhaftigkeit stieß bei vielen Leuten auf Unverständnis.
Bärbels Aussagen waren oft die gleichen. Alle Leute würden eine höhere Rente bekommen als sie und ihr Mann. Des weiteren war ihre Meinung, die da oben sollte man in die Taiga schicken. Ein anderer Gesprächsstoff war ihr nicht zu Eigen.
In diesem Jahr war der Frühling drei Wochen eher gekommen.
Die Kunze hing ihre Wäsche schon am 3. März auf dem
gemeinschaftlichen Wäscheplatz auf. Zu ihrer Wäsche gehörten vier Bettbezüge, zwei Kopfkissenbezüge und sechs Handtücher.
Bärbel ließ ihre Wäsche immer mehrere Tage hängen, obwohl diese
oft schon knochentrocken war. Einmal ließ sie ihre Wäsche sieben
Tage auf der Wäscheleine hängen. In diesem Zeitraum wurde die Wäsche zweimal nass geregnet, und einmal sogar vom Hagel heimgesucht.
Bärbel hatte als Begründung für das lange Hängen der Wäsche,
die Wäsche müsste richtig auslüften.
Fred durfte ihre Wäsche nicht abmachen, und wenn sie jemand daraufansprach, sagte sie: „ Der hat zwei linke Hände, und einmal er die Wäsche von Frau Schmidtbauer abgenommen.“
Die Kunze sagte in diesem Zusammenhang weiter: „Den Ärger, den
ich da bekommen habe, der gehe auf keine Kuhhaut.“ Sie brachte noch einen ganzen Schwall von hässlichen Worten zum Ausdruck. Zum Abschluss ihrer Rede sagte sie auf Fred zeigend, der taugt nur zum Bier holen, und da macht er auch öfter großen Mist.
Nun begab es sich, und zwar „ aus heiterem Himmel“, das sie in der Nacht zum 5. März ins Krankenhaus musste, denn ihr Blutdruck war sehr angestiegen.
Fred Kunze ließ die Wäsche von seiner Frau hängen, denn er hatte ja das Verbot von ihr bekommen.
Nun hing die Wäsche schon über eine Woche auf der Leine. An den Handtüchern hatten Leute, vielleicht auch Kinder, ihre Hände abgetrocknet. Braune und schwarze Schmutzspuren waren auf den Handtüchern zu sehen.
Mutter Krause, die ihren Müll zur Abfalltonne bringen wollte, sah die schmutzige Wäsche hängen. Mutter Krause hieß mit Vornamen Hilda.
Hilda hielt einen losen Kontakt zu Bärbel Kunze. Beide hatten sich vor fünf Jahren im Robert-Koch-Krankenhaus kennen gelernt.
Hilda Krause war damals bettlägerig, und Bärbel ging ihr in allen
Dingen „zur Hand.“ Mutter Krause wurde von Mietern des Hochhauskomplexes, schlicht und einfach nur „ Muttchen“ bzw. „ unser Muttchen“ genannt. Hilda nahm die Wäsche ab und die schmutzigen Handtücher steckte sie in die Waschmaschine. Am nächsten Tag faltete, glättete und bügelte sie Bärbels Wäsche. Hilda legte danach die fertige Wäsche auf den Wäschehocker.
Sie ging mehrere Male zur Familie Kunze, doch sie traf niemanden an.
Fräulein Meyer, die im Erdgeschoß wohnte, klärte Hilda auf.
Das Fräulein sagte: „ Frau Kunze ist im Krankenhaus, und Fred ist bei jeder Gelegenheit in der Eckkneipe zum fliegenden Holländer.
Tags drauf stürzte Hilda so unglücklich, dass der Krankentransport
sie ins Krankenhaus brachte.Mutter Krause hatte sich den rechten Arm gebrochen. Der Chefarzt meinte, mit neunundachtzig kann das unter Umständen durchaus passieren.
Bärbel kam nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause, und ihre
erste Frage an ihren Mann war, was macht unsere Wäsche?
Fred stand wie ein begossener Pudel da, und er zuckte mit den Achseln.
Die Kunze fragte, in einem lauten Ton, warst du wieder in deiner Stammkneipe? Fred stand regungslos da und er schaute auf seine Füße. Es kam kein einziges Wort über seine Lippen. Er wäre am liebsten im Boden versunken. Seine Frau hielt ihm eine Standpauke, die viele Mieter mithören konnten. Danach eilten beide zum Wäscheplatz, doch von ihrer Wäsche war weit und breit nichts zusehen.
Frau Kunze schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen und rief: „Da waren auch die Bettlaken dabei, die ich von Oma zum 25jährigen Hochzeitstag geschenkt bekommen habe.“ Sie setzte sich niedergeschlagen auf die hölzerne Kindereisenbahn, die unmittelbar am Wäscheplatz stand. Die Tränen rannen wie Bäche über ihr rundes Gesicht. Fred schaute in die Parterrefenster des Hochhauskomplexes, als ob er dort hinter einem Fenster seine Wäsche entdecken könnte.
Bärbels Freundin, Susi Felsenstein kam über den Wäscheplatz, sie
war einkaufen. Als Susi die Beiden niedergeschlagen sah, fragte sie: „ Ist euch eine Laus über die Leber gelaufen?“ Anschließend meinte Susi noch, in euren Gesichtern spiegelt sich immer so eine Hilflosigkeit wider.
Die Kunze sprang hoch, wie von einer Tarantel gestochen. Sie schrie mit weinender Stimme: „ Unsere Wäsche haben die gestohlen, und die Bettlaken waren noch von meiner Oma.“
Ihre Freundin Susi fragte die Beide in ruhigen Ton, wart ihr schon
auf dem Polizeirevier? Was beide verneinten.
Auf dem Polizeirevier angekommen, trafen sie auf den Nachbarn Ullrich.
Ullrich war vom Dienstgrad her ein „ Oberwachtmeister“ und er war auf dem Revier tätig. Der Polizist nahm ihre Anzeige entgegen. Beiläufig sagte er, es ist ja kein Wunder, dass eure Wäsche gestohlen wurde, diese hängt ja oft wochenlang auf der Leine.
Frau Kunze wollte widersprechen, doch Fred griff an ihren rechten
Arm. Die Tage vergingen und von der Wäsche keine Spur.
Mittlerweile war das Osterfest heran gerückt und Bärbel Kunze hatte ihre Wäsche für immer abgeschrieben.
Muttchen Krause wurde Ostersonnabend zeitig früh aus dem Krankenhaus entlassen. Zu Hause angekommen, stellte sie ihre Krankenhaustasche ab, und nahm Bärbels Wäsche und ging zu ihr.
Dort angekommen klingelte und klopfte sie, doch niemand öffnete.
Mutter Krause stellte die Wäsche vor die Tür von Kunzes. Die Wäsche befand sich in zwei Plastikbeuteln. Frau Krause legte auf jeden Beutel zwei Schokoladenostereier. Diese hatte sie im Krankenhaus von ihrer Bettnachbarin Bettina Schmalfuss bekommen.
Muttchen Krause machte sich auf den Nachhauseweg.
Es war gegen 22.00Uhr als das Ehepaar Kunze feuchtfröhlich von einer Geburtstagsfeier nach Hause kam.
Grölend und fluchtend erklommen die Beiden Treppe für Treppe, ehesie an ihrer Wohnungstür ankamen.
Fred stolperte über eine der stehenden Plastiktüten und die Ostereier kullerten raus.
Bärbel rief laut lachend: „ Mensch Fred, willst du die Erde küssen oder ist das deine erste Probe für den Circus Sarasani.“ Sie hielt lachend ihren Bauch fest.
Fred richtete sich am gedrechselten Treppengeländer wieder auf. Er
murmelte, die hat immer gut lachen.
Schwankend und nach Gleichgewicht ringend stellten sie fest, dass in den Tüten ihre Wäsche war.
Die Kunze rief, Gott sei Dank und Fred versuchte die Wohnungstür zu öffnen, jedoch das gelang ihm nicht.
Sie setzen sich auf eine Treppenstufe und beide schliefen ein. Es war
schon gegen vier Uhr als der Busfahrer Klaus Grämlich die Treppen
heraufkam. Der Busfahrer staunte nicht schlecht und er weckte die Beiden.
Darauf sagte Frau Kunze, ich glaube wir haben hier besser geschlafen als in unseren Betten. Worauf der Busfahrer meinte, dann könnt ihr ja eure Betten verkaufen.
Fred nahm die beiden Wäschetüten und sie betraten ihre Wohnung.
Beide freuten sich riesig, als sie ihre Wäsche wieder sahen. Bärbel
ließ sich freudig dazu hinreißen laut zu rufen, solch gepflegte Wäsche hatte ich noch nie!


© Jürgen


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