Liebe Studierende und Freunde des Längs-, Quer- und Diagonaldenkens,

bald sind Semesterferien. Deshalb möchte ich heute kein schwerwiegendes Thema zur Diskussion stellen, sondern mich einem eher lustigen Thema widmen, bevor wir uns in alle Winde zerstreuen.

Bei diesem lustigen Thema handelt es sich um das 5-jährige Kind eines Universitätskollegen, das mich immer wieder in Erstaunen versetzt, wenn ich dort einmal zu Besuch weile. Nicht nur, weil dieses kleine Mädchen bereits eine sprachliche Ausdrucksweise an den Tag legt, die man eigentlich nur bei älteren Kindern erwartet, sondern auch, weil die Logik dieses Mädchens zugleich verblüffend, witzig und einfallsreich ist.

Neulich besuchte ich diesen Kollegen wieder einmal und brachte einen Kuchen als Gastgeschenk mit. Die Kleine fragte mich: „Onkel Anatol, woraus besteht eigentlich Kuchen?“ Exakt konnte ich ihr das natürlich nicht sagen, da Backen und Kochen keineswegs zu meiner Kernkompetenz gehört; also antwortete ich: „Nun ja, ich schätze mal, ungefähr zur Hälfte aus Mehl“. Doch schon unterbrach mich das Kind mit dem Einwurf: „Das kann nicht sein, Onkel Anatol, wenn die Hälfte vom Kuchen aus Mehl wäre, dann wäre ja nur die Hälfte aus Kuchen“.

Ein andermal war ich Zeuge, wie sie jubelnd aus der Schule kam und mich auf der Straße fast umrannte. „Heute haben wir die 6 gelernt“, rief sie mir schon von weitem zu. Als sie näher kam, sagte ich: „Das ist toll, wenn Du jetzt die 6 kannst, dann kannst Du ja auch bald 6 und 6 zusammenzählen“. „Nein“, antwortete sie, „die 12 haben wir noch nicht gehabt“.

Manchmal ist es auch in abstruser Weise lustig, was sie hervorbringt. Als ich neulich von einer wissenschaftlichen Konferenz aus Biarritz zurückkam, die – ich muss es ehrlich zugeben – zu 50% aus Erholung am Strand bestand, schaute sie mich groß an und meinte: „Onkel Anatol, ich finde, dass Du hübsch bist“. Das überraschte mich, weil ich mein Aussehen eher kritisch beurteile. Sie ergänzte ihre Aussage durch den Zusatz: „Du bist so schön braungebrannt“. Aber sofort ließ sie noch einen Nachsatz folgen: „Weißt Du, Onkel Anatol, alte Männer sehen nicht so hübsch aus, wenn sie schweinchenrosa sind“.

Neulich hatte sie sogar einmal bei mir übernachtet, weil sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter auf Geschäftsreise waren und die Großmutter krank zu Bett lag. Da Kochen – wie schon oben erwähnt – nicht gerade mein Ding ist, legte ich ein paar Fischstäbchen in die Pfanne, dazu reichte mein Kochgeschick noch.

Sie schaute mich an und meinte geheimnisvoll: „Onkel Anatol, hörst du, was die Fischstäbchen leise flüstern?“ Ich schüttelte den Kopf. Da beugte sie sich mit konspirativem Gesichtsausdruck zu mir und sagte leise: „Sie flüstern: Wir sind Zauberfischstäbchen, wer uns nicht im Wohnzimmer auf der Couch beim Kinderfernsehen isst, muss sofort sterben“. Und umgehend fügte sie dazu: „Aber eigentlich ist man gar nicht tot, wenn man stirbt“. „Was denn dann?“, war mein Einwand. Sie lachte und meinte: „Nein, erst danach!“

Übrigens hat dieses kleine Mädchen auch schon eine poetische Ader, neulich sass sie mit mir beim Frühstück und versuchte verzweifelt ein Stück Butter auf ihrer Brezel zu halten, das immer wieder herunterfiel.

Ich sagte: „Nimm doch das Messer, das geht besser“.
Sie schaute mich groß an und meinte: „Das ist aber kein schönes Gedicht, das muss doch anders gehen. Und dann skandierte sie:

Nimm doch das Messer,
Dann geht es viel besser.
Denn mit dem Messer
geht vieles noch besser.

Als ich sie etwas später heimbrachte und sie hinten im Auto sass, sang sie lauthals Kinderlieder, während ich mich mit einem Kollegen neben mir auf dem Beifahrerplatz verständigen wollte. Ich verstand kein einziges Wort und rief nach hinten zur Rückbank: „Schätzchen, sei doch bitte mal still, man versteht ja sein eigenes Wort nicht“. Ihre lapidare Antwort: „Muss man doch auch nicht, man weiß doch, was man gesagt hat“.

Auch was Wortschöpfungen angeht, ist sie kreativ, einen Springbrunnen bezeichnet sie als „Wassersprung“ und in einem besonders frohen Moment rief sie aus: „Ich bin so glücklich, ich bin ein richtiger 'Glücksrabe'!“

Solche Erlebnisse, die beweisen, wie kreativ Menschen, speziell junge Menschen sein können, wenn sie nicht ständig durch kleinherzige Regeln eingeschränkt werden, sind für mich mehr als ein Ausgleich für die Anstrengungen der wissenschaftlichen Arbeit. Kinderlachen ist für mich mehr als ein Geräusch, es ist der Klang der Zukunft.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen erholsame Ferien und frische Energie für das kommende Semester.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, dass sie später, wenn Sie selber Kinder haben, auf eine einfallsreiche Bemerkung von diesen niemals den Satz aussprechen: „Aber das ist doch Unsinn, in Wirklichkeit ist das so...!“ Die Wirklichkeit ist weniger wert, als wir alle glauben.




© Peter Heinrichs


1 Lesern gefällt dieser Text.

Unregistrierter Besucher


Beschreibung des Autors zu "Über die Freude, die kindliche Kreativität erzeugen kann (Episode 26)"

Ein neuer Vortrag des legendären Professors Anatol Schwurbelzwirn. Diesmal verfolgt er keine skurrilen Theorien, sondern versbschiedet seine Studenten lediglich mit einer fröhlichen kleinen Geschichte.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Über die Freude, die kindliche Kreativität erzeugen kann (Episode 26)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Über die Freude, die kindliche Kreativität erzeugen kann (Episode 26)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.