Liebe Studierende und Freunde des Längs-, Quer- und Diagonaldenkens,

schon früh in der Geschichte haben einzelne Menschen versucht, ihre gesellschaftliche Bedeutung durch eindrucksvolle Bauwerke symbolisch zu unterstreichen. Päpste durch mächtige Dome, Renaissancefürsten durch Türme, durch deren Höhe sie versuchten, einander an Wichtigkeit zu übertreffen. Am eindrucksvollsten sind aber zweifellos die Pyramiden, durch welche die Pharaonen sich Einzug in das ewige Gedächtnis der Menschheit zu verschaffen suchten.

Lassen Sie uns einmal der Frage nachgehen, ob dieser Versuch, mag er auch mehr oder weniger wirkungsvoll gewesen sein, überhaupt in sich logisch ist.

Fast immer galt – einmal vom Baumaterial abgesehen, das ja oft durch die verfügbaren Ressourcen vorgegeben war – die Höhe des Bauwerks als maßgeblich für die Bedeutung desjenigen, der den Bau in Auftrag gegeben hatte.

Leider werden Bauwerke desto instabiler, je höher sie aufragen. Das war der Grund dafür, dass die Baumeister die Pyramiden nach oben hin verjüngt haben. Der umgekehrte Weg, nämlich sie am Boden mit einer Spitze beginnen zu lassen und nach oben hin immer voluminöser zu gestalten, verbietet sich eher von selbst, den Grund dafür muss ich Ihnen sicher nicht ausführlicher erläutern.

Je höher ein sich nach oben verjüngendes Bauwerk wird, desto weniger Masse weist es auf, bis – nehmen wir immer noch die Pyramide als Beispiel – ganz an der Spitze ein einziger Baustein ausreicht, um das Werk zu beschließen.

Nehmen wir jetzt den gottgleichen Herrscher, für dessen Bedeutung die Pyramide zeugen soll. Das was ihn selbst am meisten ausmacht, ist ohne Zweifel das Organ, das ganz oben in seinem Körper platziert ist, nämlich das Gehirn. Für dieses Organ steht also symbolisch der armselige Schlussstein einer Pyramide, während der mächtige untere Teil des Bauwerkes, der ja sogar die so bedeutungsvolle Mumie einschließt, allenfalls symbolisch für den unteren Teil des Gottgleichen steht. Etwas lax ausgedrückt, zeugt also die Form der Pyramide eher für die Bedeutung der schmutzigen Schweißfüße des Pharaos, als für sein Denkorgan.

Spinnen wir den Gedanken weiter. Je höher die Pyramide sein soll, desto größer muss logischerweise auch das Fundament sein, auf dem sie fußt. Ab einer gewissen Bedeutung des Erbauers, also ihrer Höhe, wird sie die gesamte Fläche des Landes bedecken, dessen Herrscher im Gedächtnis seiner Bevölkerung bleiben will. Die kritische Frage muss an dieser Stelle schon gestattet sein, ob es diese Bürger wirklich zum andächtigen Gedenken motivieren wird, wenn ihre Heimat inclusive der Äcker und Erholungsgebiete flächendeckend mit Steinquadern zugemauert ist.

Wenn wir nach dem Grund für diese problematische Situation suchen, stoßen wir letztlich auf die Gravitation. Sie alleine ist es, die uns daran hindert, stabile Bauwerke zu errichten, die nach oben hin immer massenreicher werden und den Boden nur mit dem winzigen Fundament einer Spitze bedecken. Nur beim Menschen ist es der Evolution gelungen, der Schwerkraft insofern ein Schnippchen zu schlagen, als sie den Menschen nach oben hin immer bedeutungsvoller werden lässt. Bei den sogenannten „Großkopferten“ trifft das möglicherweise auch auf das Volumen zu.

Warum ist das so? Nun, beginnend bei den Füßen, können wir über die Ausscheidungsorgane zum Antriebsmotor des Organismus’, dem Herzen, hinaufgehen, bis wir zuletzt beim Hirn anlangen, welches uns als das „Königsorgan“ ja erst zu dem macht, was uns vom Rest der Natur unterscheidet.

Ob im positiven Sinn, lasse ich einmal dahingestellt. Denn letztlich ist das Organ, das den Menschen zur „Krone der Schöpfung“ erhebt, ja auch dasjenige, welches ihn befähigt, diese Schöpfung nachhaltig zu beschädigen, und das zweifelsfrei auch im Spiel sein wird, wenn die Menschheit sich am Ende selbst zerstört.

Denken Sie zum Schluss einmal darüber nach, ob nicht die scheinbar so empfindungsarmen Pflanzen sich diesem peinlichen Naturgesetz dadurch entzogen haben, dass sie ihr Gehirn – wie aktuelle Forschungen nachweisen – ja eher im Wurzelwerk haben. Ihrer Intelligenz ist somit an der Basis am höchsten.

Was hindert uns also daran, die Pflanzen zu würdigen, indem wir Pyramiden für sie erbauen, anstatt für die angebliche Krone der Schöpfung? Dabei kommt denen im Erdreich wuchernden Pilzkulturen sogar noch eine Sonderrolle zu.

Ich kann Ihnen zum Schluss noch ganz kurz meine Vermutung nennen, warum Pflanzen noch nie versucht haben, ihre Bedeutung durch Bauwerke zu unterstreichen: Pflanzen leben nur ungern auf zugepflasterten und bebauten Böden.

Machen Sie sich bis zum nächsten Mal einmal Gedanken zu diesem Thema.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.




© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Über Bauwerke, durch die sich Mächtige ins Gedächtnis der Menschen einschreiben wollen. (Episode 9)"

Ein weiterer Vortrag des legendären Spinners und Querdenkers Prof. Dr. Anatol Schwurbelzwirn an der auf dem magnetischen Nordpol liegenden Universität, die noch niemand aufgefunden hat, außer den dort Lehrenden und Studierenden, die jedoch zu absolutem Schweigen verpflichtet wurden, was die topographische Lage der sagenhaften Universität angeht.

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