Die Gefühle haben Schweigepflicht
Bruno de Bary

Fabian Silberblick beugte sich leicht über die Balkonbrüstung und schnupperte in die Nacht: herrlicher Pinienduft aus dem Wäldchen wurde von der Abendbrise herangeweht. Ein Käuzchen rief. Wellen plätscherten leise am Strand. Die Saison war vorbei, kein Diskolärm mehr aus der Stadt unten. Er blickte auf und sah die Kette der Lichter die ganze Bucht von Marbella umfassend. Er und Kati waren hier, während es in Berchtesgaden den ersten Schnee gab; das hatte ihm seine Mutter vorhin am Telefon gesagt. Es war der 22. November. Hier hing noch die Wärme des Tages in der Nachtluft, das Thermometer hatte 22 Grad gezeigt. Noch brauchte er die Strickjacke nicht. Er nahm ein Zigarillo aus dem Silberetui und steckte es genüsslich an.
„Komm her Schatzerl, schau dir das an.“ Frau Kati Döppenschmitt trat durch die Balkontür und lehnte sich eng an ihn. „Einfach genial, ohne Worte!“
Sie fuhr ihm durchs Silberhaar. „Hör mal.“ Sie hatten einen deutschen Sender an, Radio Malaga. „Die Gefühle haben Schweigepflicht …“ „Fabi, des is dein Song.“
„Du Mausi, geh rein, dreh's ab. Ich kann den Schmarrn nimmer hör'n. Und außerdem ...“
Fabian verschluckte den Rest. … ist es nicht von mir, sagte er im Stillen. Fast hätte er sich verraten. Niemand wusste das – seine Kollegen nicht, seine Mutter nicht, seine Ex-Kollegin Ellen Fischerbach, die Jodelschnepfe schon gar nicht, und Kati darf es nie, niemals erfahren. Ich werd's mit ins Grab nehmen dachte er.
„Also hör mal, Fabi, du bist ganz schön undankbar. Ohne die Kohle von der GEMA und von den verkauften CDs und den Tourneen wärst' jetzt net hier und hättst niemals diese nobelhobel Eigentumswohnung kaufen können!“
„Na freilich, des weiß ich ja selbst. Aber ich mach des Schlagergedöns jetzt schon über 20 Jahr lang mit. Jeder will's immer wieder von mir hör'n, als wär ich noch der Bursch von 25 Jahren. Geh, stell doch mal den Sender mit dem Schubidu-Jazz ein. Da kann ich so gut abschalten.“ Kati nahm die Fernbedienung. Fabian wandte ihr sein Gesicht zu und fasste sie enger um die Hüften. „Schau Kati, ich bin jetzt 48 worden. Vor 23 Jahren hab ich meinen Job bei der Volksbank geschmissen und bin ins Business eingestiegen.“
„Ich bin der König vom Zillertal, des war doch dein erstes Album, gell?.
„Genau. Aber des lief garnet. Die Plattenfirma hat meinen Vertrag net verlängert.
Ich bin durch die Diskos getingelt und hab die ganzen Hits von meine Kollegen gesungen, rauf und runter - anderthalb Jahr lang.“
„Und wann hast den großen Zampano kennen gelernt?“
„Meinst den Rolf Riegel? (Gott hab ihn selig, dachte er.) „Ja, genau den.“
„November 98. Nein, 99 war's.“
„Und der hat doch mit dir diese Single gemacht.“
„Genau, und des war mein Superhit. Und dann ging der Hype richtig los, und net zu knapp! Über 12 Jahre dudeln's des schon im Radio rauf und runter. Obwohl ich bis jetzt ja noch 15 Scheiben rausgehau'n hab.“
„Und die laufen ja auch net schlecht.“
„Na klar, wenn die Leut hörn, da hat der Fabian Silberblick wieder was Neues rausgebracht, ach das is ja der mit 'Gefühle haben Schweigepflicht'. Des is bestimmt auch was Gut's.“
„Du, dein' letzten Hit, auf den steh ich absolut. Genial. Der klingt aber irgendwie a bissel wie der Song von dem Roman König. Jedenfalls so am Anfang.“ „Gell, du meinst 'Ludmilla, Traum meiner schlaflosen Nächte'? Kein Wunder, das ist von Santa Maria (summt).
„Was? Geklaut!“ „Sei stat. Des darf mer. Bis 2 Takte sind erlaubt. Das ham's mal bei'm Plagiatsprozess festgestellt.“
„Weißt, von diesem Didi da, der wo letzte Woch da war, sagt mer auch, dass der ab und zu was klaut.“ „Ja, der Bohländer, des ist a offenes Geheimnis. Überhaupts des ganze Geschwerl vom Business. Die geh'n mir so auf den Sack, alle miteinand! Aber zur Einweihungsparty hab ich's ja einlad'n müssen.“
„Wart mal, da war doch der Herbie Chippendale, der Roman König, ja und des neue
Casting-Talent vom Bohländer, die, die … Susi Sabado glaub ich. Ist des ihr echter Name?“ „Naa, die heißt eigentlich Chantal Mayerhöfer, aber des is ja total ungeil, da kannst ja keinen Blumentopf net gewinnen.“
„Ja und dann war ja sogar noch der Jürgen Dreis da.“
„Der Dreis! Dieser abgefuckte Zuhältertyp, dieser Schmierlappen, der Suffkopp,des dreiste Arschloch kommt mir nimmer mehr ins Haus!“
„Meinst wegen den Rotweinflecken?“ „Schmarrn, weil er mich verarscht hat. Nach der zweiten Flaschen hat er sich meine Klampfen geschnappt und gesungen ...“
„Die Gefühle haben Schweigepflicht, was mein Herz erleidet, ahnst du nicht.“
„Es weint leise mitten in der Nacht und hat mich um den Verstand gebracht.“
„Grauslich falsch hat er's geplärrt und so saublöd gegrinst dabei!“

„Ach komm Schatzi, des is Schnee von gestern, jetzt bleib'mer schön für uns zwei.“
„Recht hast, Kati. Aber – eigentlich sind mer ja fast drei.“ Fabian tätschelte die leichte Wölbung ihres Bauchs.
Er streckte seinen Kopf wieder in die laue Nacht hinaus. Aber er sah eigentlich nichts. Er musste daran denken, wie ihm Rolf damals im Studio das Blatt mit dem Song in die Hand drückte. Wie sie es aufgenommen hatten. Nach dem dritten Take war das Ding im Kasten. Eine Woche später hatte der Riegel diesen brutalen Unfall auf der A 26 bei Passau. Exitus, aus, vorbei, Sense. Und der Song war noch nicht bei der GEMA angemeldet. Naja, was hätte der tote Rolf Riegel noch von Tantiemen gehabt? Also hat er, Fabian, es gemacht. Und dann ging die ganze Chose los wie eine Rakete. Die goldenen und Platin-CDs, die hingen ja hinten im Wohnzimmer überm Sofa. Und das Bambi und die zwei Emmys und und und. In fast jeder Ausgabe von der BUNTEN, Neue Revue, Neue Post war er drin, natürlich auch alle Nas lang im RTL oder SAT1 oder mtv oder in youtube.
„Gell Kati, mir machen unser ganz privates Weihnachtsfest und Silvester? - Kati?““
Da kam Kati mit dem Abendessen heraus: auf dem Tablett Serrano Schinken mit Honigmelone, Weißbrot und spanischem Sekt, Cava von Rondell natürlich. Und
eine Petroleumlampe. „So jetzt wird’s a bissel frisch. Sei so gut, hol noch die Strickjacken.“
Sie hatten wirklich Hunger und aßen eine Weile schweigend.
„Also schau, Kati ...“ Ein Schluck Sekt. „Schau, nach meiner Abschiedstournee ...“
„Es war deine zweite.“ „Ich war dermaßen geschlaucht, bin halt net mehr der Jüngste … Ich werd an Strich zieh'n, mich aus dem ganzen Wahnsinnsbusiness verabschieden ...“ „Ohja, und ich werd bei der BRIGITTE aufhören, wenn des Kleine da ist.“ „... und ...“ Ein kräftiger Schluck. „... meine Memoiren schreib'n, mich um die Familie kümmern, um meine kleine Yacht.“
Wortlos streichelte er Kati über den Bauch und dachte dabei: Und auch du musst's garnet wissen, warum dein Papa so reich ist. Es geht keinen was an. Nur mich und den lieben Gott.


© Björn Scherer-Mohr


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Die finsteren Geheimnisse des Showbusiness

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