In einem hübschen Städtchen im Lande Nirgendwo kamen an einem Tag alle Diebe zusammen, um auf einem großen Kongress zu beraten, wie sie sich besser gegen den Zugriff der Staatsgewalt schützen könnten. Es wurde viel geredet, und wie immer auf Kongressen, eigentlich viel zu viel.

Deshalb setzten sich drei von ihnen, der Ladendieb, der Taschendieb und der Strauchdieb nach dem Ende der Versammlung in ein Wirtshaus und vereinbarten nach etlichen Flaschen gut gereiften Burgunders, einen Club zu bilden. Sie wollten sich gegenseitig beschützen, vor allem aber ihre Diebeszugskonzepte verfeinern und ausweiten. „Man muss mit der Zeit gehen und globaler denken“, sprach einer, und die anderen nickten wohlgefällig.

Der Ladendieb kündigte an, dass er in Zukunft nicht mehr nur Dinge in Läden stehlen wollte. Nein, er plante, zukünftig gleich den ganzen Laden zu stehlen. Schließlich nenne man ihn ja Ladendieb und nicht Imladendieb. Und weil er dann gerade dabei war, wollte er seine Diebeszüge auch noch auf die Häuser ausdehnen, in denen die Läden lagen. Dann – warum auch nicht! – auch noch auf die Straßen, die vor den Läden vorbeiliefen. Und alle Plätze, Brücken, Türme, selbst die schmalsten Gassen der Stadt; und am Ende wolle er auch noch der Vollständigkeit halber die Stadttore mit einpacken.

Die anderen Diebe klatschten Beifall, und alsbald hob der Taschendieb sein Glas und ergriff das Wort, indem er den Plan bekannt gab, ab sofort nicht nur fremde Taschen leeren zu wollen, sondern auch die Taschen selbst, die in die Hosen eingenäht waren, die in die Hosen eingenäht waren, danach gleich noch die Hosen und weil es sich so erfreulich gestaltete, gleich auch noch die Menschen, die in den Hosen steckten. Da er ein großzügiger Mensch sei, erklärte es sich sogar bereit, auch noch die paar Menschen zu stehlen, die keine Hosen trugen sondern Kleider, was sich am Ende auf ein paar ältere Damen und ein halbes Dutzend Transvestiten beschränkte.

Das erfreute die Runde. Und jetzt meldete sich der Strauchdieb zu Wort. „Sträucher zu klauen ist ja ganz nett“, meinte der, „aber was ist mit dem Rasen um die Sträucher herum? Mit den Bäumen, die in ihrer Nachbarschaft wachsen? Mit den Blumen, die die grüne Pracht der Wiesen schmücken? Da werde ich zukünftig nicht mehr davor halt machen. Ich werde alles mitnehmen, was grünt und wächst“.

Als die drei ihre Pläne in die Tat umsetzten, war die Stadt bald im Nichts verschwunden. Alle Bauwerke, alle Straßen, alle Pflanzen waren verschwunden und nur noch Hunde, Katzen und Geflügel irrten durch die leere Weite, wo vordem die Stadt gelegen hatte. Ihrer erbarmte sich der Hühnerdieb, der zufällig zu ihnen stieß, er stahl die Hühner, aber dann auch gleich noch den Hahn, die Hunde, die Katzen und am Ende noch ein paar umherstehende Rindviecher, um ja keine Benachteiligung für diese trägen Tiere aufkommen zu lassen.

Jetzt war nur noch die Erinnerung an ihr früheres Tätigkeitsgebiet vorhanden. Und die nunmehr vier Diebe ergriff ein unerwarteter heftiger Katzenjammer „Es waren doch schöne Tage, die wir in dem Städtchen verbrachten“, jammerten die vier.

„Ja, jeder Tag, der mit einem Diebstahl begann und mit einem endete, war ein schöner Tag! Es war nicht nur eine einträgliche sondern auch eine amüsante Beschäftigung, der wir nachgingen in jener Zeit!“

Sie saßen mit gesenkten Köpfen da und gedachten traurig der schönen Tage, in denen sie sich noch auf bescheidene Diebeszüge beschränkt hatten. Da kam der Tagedieb vorbei und befreite sie von ihrem Kummer. Auch er war einer von der eher unbescheidenen Sorte, er nahm nicht nur die Tage, sondern auch noch die Jahre, die Stunden, die Minuten und die Sekunden mit.

Jetzt wäre es für die Diebe Zeit gewesen, zu ihren früheren Tätigkeiten zurückzukehren. Aber es gab ja kein Früher und kein Gestern mehr, die Zeit hatte der Tagedieb ja gestohlen – unterteilt in handliche und leicht fortzuschaffende Tagesportionen.

Diesmal war wirklich alles schief gelaufen.


© Peter Heinrichs


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Kommentare zu "Diebe haben's schwer"

Re: Diebe haben's schwer

Autor: possum   Datum: 26.01.2019 1:25 Uhr

Kommentar: Lieber Peter, dein Werk habe ich schmunzelnd genossen mit Witz und Ironie fantastisch verfaßt! Liebe Grüße!

Re: Diebe haben's schwer

Autor: mychrissie   Datum: 27.01.2019 12:42 Uhr

Kommentar: Vielen Dank für Deinen Kommentar, liebe possum,

neuerdings träume ich solchen Unsinn morgens im letzten Halbschlaf. Ich kann mir diese Fantasien sogar merken und aufschreiben. Komisch, als Kind habe ich in Bildern geträumt, jetzt träume ich fast nur noch in abstrakten Wortklängen.

Liebe Grüße ans andere Ende der Welt, Peter

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