Mit einem eleganten Sprung landete ich auf dem Kopf eines Mannes, der sich gerade durch die Menge schlich. Mir war langweilig geworden auf Dionys Kopf. Er tat immer nur das Selbe. Und das was er tat, verdarb mir am Ende sogar den leckeren Geschmack seiner Kopfhaut. Ich schüttelte mich, während ich mich durch den Dschungel aus Haaren kämpfte.
Irgendwo musste hier doch ein schönes Plätzchen zum Picknicken sein. Ungewollt trat ich aus dem Haardschungel heraus. Fast wäre ich runtergefallen, als plötzlich ein unverhoffter Ruck erfolgte. Ich schimpfte mir eins. So konnte das nicht weitergehen. Erst ein Tyrann mit Mordlust und jetzt ein Clown oder was? Irgendetwas musste ich tun. Auf dieses ständige Wandern hatte ich keine Lust mehr. Ich war doch kein Wanderesel. Laut vor mich hin schimpfend setzte ich meine Suche fort. Nach einer Weile gelangte ich zum Ohr. Vor lauter Erschöpfung ließ ich mich in die Ohrmuschel fallen.
Ich war viel zu müde um weiterzugehen. Vielleicht konnte ich ein kleines Schläfchen machen. Gähnend kroch ich ein bisschen weiter ins Ohr, damit ich mich mit dem Haaren dort zu decken konnte. Leises Vogelgezwitscher drang zu mir durch. Verträumt sah ich aus der Öffnung des Ohres heraus und betrachtete meine Umgebung. Und erschrak fast zu Tode, als ich die Häscher des Tyrannen vor mir sah und sie gerade ein Messer auf den Jungen richteten.
Sofort war ich wieder auf meinen Beinchen und lief wie der Wind nach vorne zum Haaransatz, um auch ja nichts zu verpassen.
„Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!“, herrschte ihn der Tyrann an.
Ich spürte, wie der Mann vorsichtig zurückwich.
„Die Stadt von Tyrannen befreien!“, sagte dieser mit erhobener Stimme und klopfte sich gegen die Brust.
„Das sollst du am Kreuze bereuen.“, stieß der Tyrann wütend aus.
Wäre ich nicht so klein gewesen, hätte ich dem Manne gerne eins übergezogen. Dank ihm wanderte ich in den Knast? Doch halt, was sprach er da?!
„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit und bitte nicht um mein Leben: Doch willst du Gnade mir geben, ich flehe dich um drei Tage Zeit, bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen, ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“
Augenblick mal, der rettete sich seine eigene Haut, aber ließ einen anderen ins Messer laufen?! Boah, war der dreist. Ich konnte es kaum glauben. Wütend und empört versetzte ich dem Mann einen Tritt in die Kopfhaut. Doch der merkte überhaupt nichts!
Stattdessen ging das Geschehen munter weiter. Und zu meinem Erstaunen war der Tyrann einverstanden mit der gestellten Bitte. War ich etwa im falschen Film?!
„Drei Tage will ich dir schenken; doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, eh‘ du zurück mir gegeben bist, so muss er statt deiner erblassen, doch dir ist die Strafe erlassen.“
Oh, backe. Meine Augen wurden ein Millimeter groß. Darauf wollte der sich nicht ehrlich einlassen? Vor Spannung zitterte ich am ganzen Körper. Ich wollte nicht elend auf einem Leichnam verhungern. Verärgert und ängstlich sprang ich zurück ins Ohr und versuchte dem Manne, er schien Damon zu heißen, wie ich im Hintergrund mitbekommen hatte, meine Meinung darüber zu überbringen. Natürlich verstand er mich nicht. So ein Mist!
Nervös wie ich war, sauste ich sofort wieder zum Haaransatz. Dieser wippte im Laufen hin und her. Wahrscheinlich war der gerade auf dem Weg zu dem Freund, von dem er gesprochen hatte. Oh Mann, der arme Knabe. Also ich hätte das nicht für den getan. Dieser leichtsinnige Bursche. Fühlt sich nur toll, weil er die Welt retten will, wie ein kleines Kind, das seinen Vater für einen Superhelden hält. Kaum beim Freund angekommen, nach einer wilden Tour durch das ganze Dorf, bei dem mir unendlich schlecht geworden war, kam Damon auch schon auf das Thema zu sprechen.
„Der König gebeut, dass ich am Kreuz mit dem Leben bezahle das frevelnde Streben. Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; so bleib du dem König zu Pfande, bis ich komme zu lösen die Bande.“
Seine Wortwahl war schon mal gut, fand ich. Aber trotzdem würde ich mich nie auf so etwas einlassen. Und ich hoffte es auch für den Jüngling. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf und das Herz rutschte mir in die Knie, als ich den Freund sah, wie er Damon still umarmte und sich dann auf den Weg zum Tyrannen machte.
Vor Schreck hatte ich mich fast übergeben müssen. Ich war definitiv im falschen Film. Vielleicht träumte ich ja! Ja, das war es. Ich träumte.
Widerwillig kniff ich mir in das Beinchen. Doch das Bild blieb. Verdammt... Ich hörte Damon leise vor sich hin reden, während er sich auf den Weg zu seiner Schwester machte. Dort gefiel es mir sehr. Ich hatte viel zu naschen. Allerdings waren wir schon vor dem dritten Morgenrot wieder auf dem Weg nach Hause, in die Hand des Tyrannen.
Ich spürte, dass Damon sich sehr sorgte. Recht so. Was machte er auch so einen Mist. Doch dann kam etwas Unverhofftes: es schüttete wie aus Eimern, so dass ich klatschnass wurde. Nichtsdestotrotz hielt uns das nicht auf. Erst als wir Geröll von den Bergen auf uns zu fallen sahen und die Brücke direkt vor unseren Augen zusammenbrach, war guter Rat teuer. Damon geriet in helle Aufregung.
Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket und die Stimme, die rufende, schicket. Da stößet kein Nachen vom sichern Strand, der ihn setze an das gewünschte Land, kein Schiffer lenket die Fähre, und der wilde Strom wird zum Meere. Die Worte passten gut.
Der unaufhaltsame Regenfluss und der Einsturz der Brücke hatten mir zugesetzt. Langsam verspürte ich Angst um mein Leben. In Gedanken erinnerte ich mich noch einmal an alle die Personen, die ich besucht hatte und denen ich aus schweren Situationen heraus geholfen hatte. Ich kleine Laus. Und nun nahte mein Ende. Plötzlich ging es steil bergab. Ich schrie und klammerte mich an zwei Haaren fest. Damon hatte sich auf die Knie geworfen und weinte und flehte.
Die Hände zum Zeus erhoben, sprach er die Worte: „Oh hemme des Stromes Toben! Es eilen die Stunden, im Mittag steht die Sonne, und wenn sie niedergeht und ich kann die Stadt nicht erreichen, so muss der Freund mir erbleichen.“
Ich wurde noch verrückt bei diesem Irren. Gedankenverloren steckte ich meinen Fühler in seine Haut und trank einen Schluck. Es schmeckte ein bisschen salzig. Mist, er verdarb mir mit seinen Tränen mein Blut. Die Hälfte spuckte ich wieder aus und putzte mir gründlich die Zunge mit einem Stück Haut. Fürchterlich dieser Damon! Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, und Welle auf Welle zerrinnet, und Stunde um Stunde entrinnet. Verwirrt drehte ich den Kopf. Wo kam diese Stimme her, die so zauberhafte und dennoch bedrohliche Worte sprach?!
Ich drehte mich mehrmals im Kreis, bis mir klar wurde, dass die Worte von Damon kamen. Ich setzte ein ausdruckloses Gesicht auf. Hätte ich mir ja denken können, dass nur er so etwas faselt. Aber halt! Was machte er denn nun? Ich schrie wie wild, bis ich gurgelnd Wasser schluckte. Der Irre war einfach in den reißenden Strom gesprungen.
Wollte der uns beide etwa jetzt schon umbringen? Er teilte die brausende Flut mit seinen gewaltigen Armen. Ab und zu kam er prustend nach oben und holte schnell Luft, bevor er und ich wieder untertauchten. Ich versuchte gleichermaßen diese Momente zu nutzen, um der Luft nicht adieu zu sagen. Ein Gott schien Erbarmen gehabt zu haben mit mir kleiner Laus (und natürlich Damon), denn wir kamen heil am anderen Ufer an.
Bevor ich jedoch einen Jubelschrei verlauten lassen konnte, eilte Damon schnellen Schrittes auf unebenen Boden weiter, so dass ich viel zu sehr damit beschäftigt war mich festzuhalten, als an irgendeinem Schrei zu arbeiten. Eigentlich hatte ich gar keine Lust Hoppe, hoppe Reiter zu spielen, aber hier draußen in der Wildnis wäre ich bestimmt sofort verhungert, denn ich mochte kein Tierblut. Also musste ich wohl oder übel bis zum nächsten Dorf oder einfach Menschen warten. Leichter gesagt als getan. Denn ausgerechnet jetzt sprang eine raubende Rott, oder einfach eine Räuberbande, aus des Waldes nächtlichen Ort und versperrten uns den Weg.
Sie schnaubet Mord. Ach kommt schon, hatte ich rufen wollen, besinnte mich aber in der letzten Sekunde eines Besseren, denn es hätte ja sowieso nichts gebracht.
Damon blieb wie angewurzelt stehen, denn eine Keule wurde auf ihn gerichtet. Mich kotzte dieser ganze Mist an! Erst wurde ich dem Tode nahegeführt, dann wurde ich seekrank, musste schwimmen lernen und schließlich sah ich mich gezwungen einer Räuberbande in die Augen zu gucken.
„Was wollt ihr?“, ruft Damon vor Schrecken bleich, „Ich habe nichts als mein Leben, das muss ich dem Könige geben!“
Oh, oh, gleich rastet er aus. Kaum hatte ich das gedacht, entriss er dem ersten Mann die Keule und richtete sie auf die Männer. Diese wichen jedoch nicht zurück zu meinem Bedauern.
„Um des Freundes willen erbarmet euch!“ Daraufhin erschlug er drei der Männer, die anderen flohen.
Na klasse, ich saß schon wieder auf einem Mörder. Das wurde langsam echt lästig, denn die ekeligen Bilder bekam ich aus meinem Spatzenhirn (wenn es überhaupt so groß war) nie wieder raus. Und die Sonne versendet glühenden Brand, und von der unendlichen Mühe ermattet sinken die Kniee.
„O hast du mich gnädig aus Räubershand, aus dem Strom mich gerettet ans Heilige Land, und soll hier verschmachtend verderben, und der Freund mir, der liebende, sterben!“
Ich hasste diesen blöden Redner Damon. Konnte der nicht endlich mal seine Klappe halten?! Er machte alles nur noch schlimmer als es sowieso schon war. Und horch! Da sprudelt es silberhell, ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, und stille hält er, zu lauschen; und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, und freudig bückt er sich nieder und erfrischt die brennenden Glieder. Wenn du das so gut kannst, dann mach es doch selbst und erzähle diese Geschichte weiter, keifte ich Damon an, aber natürlich verstand dieser Holzkopf mich wieder nicht.
Also machte ich einfach mal so weiter wie vorher. Ja, es stimmte. Eine Quelle entsprang auf einmal direkt neben uns und Damon kühlte sich seine schmerzenden Glieder. Und ich musste wieder einmal fürchten zu ertrinken. Nur mit Mühe konnte ich mich am Haaransatz festhalten. Gerade als mich meine Kräfte verließen, erhob er sich wieder.
Zwei Wanderer kamen vorbei. Und zwei Wanderer sieht Damon die Straße ziehn, will eilenden Laufes vorüber fliehn, da hört er die Worte sie sagen: „Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“
Ich seufzte und dankte schweigend Damon. Ich hoffe, dass es verständlich war, was der Fusselkopf (ich warf einen bösen Blick in die Augen von Damon) gesagt hat.
Vor Angst um den Freund schoss Damon wie ein Pfeil weiter und jagte über Stock und Stein. Da schimmern in Abendrots Strahlen von ferne die Zinnen von Syrakus, und entgegen kommt ihm Philostratus, des Hauses redlicher Hüter, der erkennet entsetzt den Gebieter: „Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr, so rette das eigene Leben! Den Tod erleidet er eben. Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er mit hoffender Seele der Wiederkehr, ihm konnte den mutigen Glauben der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“
Konnte dieser „wie-auch-immer“ nicht den Mund halten? Er zerstörte mir das eventuelle Happy End. Doch schnell merkte ich, dass sich Damon davon nicht aufhalten ließ.
„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, ein Retter, willkommen erscheinen, so soll mich der Tod ihm vereinen. Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht er schlachte der Opfer zweie und glaube an Liebe und Treue!“
So wollte ich das haben. Jubelnd sprang ich zweimal in die Luft und klatschte in die Beinchen. Damon, Damon! , schrie ich ohne Unterlass, auch wenn ich wusste, dass er es nicht hörte. Ich schrie einfach für mich selbst.
Und die Sonne geht runter, da steht er am Tor, und sieht das Kreuz schon erhöht, das die Menge gaffend umstehet; an dem Seile schon zieht man den Freund empor, da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: „Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“
Nein, nein, nein. Ich will ein Happy End. Damon, hör‘ auf dich zu opfern.
Das Volk ergreift Erstaunen, während sich die beiden Freunde in den Armen liegen und vor Schmerz und Freude weinen. Ich sehe kein Auge mehr tränenleer, jeder ist von diesem Moment angetan. Und zum Könige bringt man die Wundermär‘; der fühlt ein menschliches Rühren, lässt schnell vor den Thron sie führen, und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, ihr habt das Herz mir bezwungen; und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn – so nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!“
Ich fing an zu jubeln.
Da war es mein Happy End. Sehr schön! Müde geworden von diesen spannenden Tagen hüpfte ich zu einem der Bauern über, um eine neue Geschichte zu erleben.


© GoldenShadow


3 Lesern gefällt dieser Text.





Beschreibung des Autors zu "''Die Lausschaft'' (abgeleitet von ''Die Bürgschaft'' von Friedrich Schiller)"

Schon einmal "Die Bürgschaft" aus der Sicht einer kleinen Laus gelesen? Nein?! Na, dann wird es aber Zeit!

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "''Die Lausschaft'' (abgeleitet von ''Die Bürgschaft'' von Friedrich Schiller)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "''Die Lausschaft'' (abgeleitet von ''Die Bürgschaft'' von Friedrich Schiller)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.