Als Zorn am nächsten morgen erwachte, merkte er, blitzgescheit wie er nun mal war, sofort, dass er sich nicht in seinem eigenen Bett befand.

Ohne die Augen zu öffnen, drehte er seinen Kopf auf dem weichen Kissen hin und her, da stieg ihm plötzlich ein leichter Geruch von Mandeln in die Nase und er schlug die Müden Augen langsam auf.

“Guten Morgen, Schlafmütze! Oder vielleicht besser guten Tag.”

“Moin. Äh… Wie gehts?”

“Gut! Ich beobachte dich schon ne Stunde.”

Zorn lag im Bett von Hannah, der hübschen blonden Gitarristin, die er am Abend zuvor kennengelernt hatte.

Jetzt war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt und er versank in ihren stechend blauen Augen.

Sie grinste ihn an und dabei kräuselte sich ihre Nasenspitze.

“Was ist los? Du bist so still”, sagte Hannah.

“Ich bin verliebt…”

Hannah lachte und sagte: “Das hast du gestern auch schon behauptet.”

“Nix, behauptet! Das stimmt echt! Ich sag sowas nicht einfach leichtfertig dahin.”

Zorn richtete sich im Bett auf und stieß sich den Kopf so hart, dass er für eine Weile das Interesse an dem Gespräch verlor.

Als er wieder zu sich kam, stellte er überrascht fest, dass Hannah rittlings auf ihm saß und sich an seinem Kopf zu schaffen machte.

Jetzt grade hatte er einen wunderbaren Einblick in ihr T-Shirt und auf ihren Busen darunter.

Wieder stieg ihm der Geruch von Mandeln in die Nase und er seufzte.

“He! Da bist du ja wieder, sorry, du hast dir am Regal den Kopf gestoßen. Wird wohl ne kleine Beule geben.”

“Nicht so schlimm. Ich bin ja hier in den besten Händen.”

“Ja, sieht so aus.”

Hannah wollte grade von Zorn runtersteigen, als er sie festhielt

“Bleib doch noch ein bisschen.”

Sie beugte sich mit ihrem Kopf zu seinen Lippen, küsste ihn sanft und lange und sah ihm dabei tief in die Augen.

“So. Mehr ist nicht drin. Ich muss in die Uni.”

“Ne! Lass mal ausfallen heute.”

“Geht nicht. Ich muss. Aber wenn du willst, kannst du heut Abend vorbei kommen.”

“Heut Abend muss ich arbeiten. Komm du doch da vorbei.”

“Wo denn?”

“Im Roten Korsar. In der Münzstraße. Bin ab sieben da.”

“Da arbeitest du?”

“Ja. Wieso nicht?”

“Das ist doch so ne Kaschemme…”

“Das Geld stimmt. Außerdem pass ich auch nicht in so ne hippe Szene-Kneipe.”

“Stimmt.”

“Wie, stimmt? Was soll das denn bedeuten?”

“Na, stimmt halt. Du bist halt mehr so der Bier-Typ.”

“Klingt irgendwie komisch, wenn du das sagst…”

Hannah war aufgestanden und hatte damit begonnen sich anzuziehen und Zorns im Zimmer verteilten Kleidungsstücke auf das Bett zu werfen.

Als sie damit fertig war, verschwand sie im Bad, kam aber kurz darauf wieder ins Schlafzimmer, lächelte ihn an und sagte: “Ich muss jetzt los. Wenn du willst, mach dir gerne noch nen Kaffee. Bis später dann.”

Sie küsste ihn noch einmal und ging.

Langsam kroch Zorn aus dem warmen Bett und zog sich an. Er wusste zwar, dass Hannah rauchte, war sich aber nicht sicher, ob sie dies auch in ihrer Wohnung tat, also unterdrückte er fürs erste das eigene Verlangen nach einer Zigarette.

Zorn schlurfte in die Küche, fand den Kaffee und bereitete sich eine Kanne vor. Viel zu viel eigentlich, aber das war bei ihm so zur Gewohnheit geworden.

Er goss sich eine Tasse ein, rührte Milch und Zucker unter, setzte sich an den Küchentisch und blickte aus dem Fenster hinaus auf die Straße.

Plötzlich knarrte hinter ihm die Küchentür.

“Ist noch Kaffee da?”, fragte hinter ihm eine schläfrige Mädchenstimme. “Ichz bin übrigens Vera. Hannahs Mitbewohnerin.”

Als Zorn sich umdrehte stand vor ihm, im Schlafanzug, die blonde Vera, die er in der vorangegangenen Woche im ‘Korsar’ kennengelernt und letztendlich auch mit nach Hause genommen hatte.

“Zorn? Was machst du denn hier?”, wollte die blonde Vera wissen.

“Wonach sieht das denn aus? Ich trink nen Kaffee. Und du?”

“Ich wohn hier!”

“Hab dich hier noch nie gesehen.”

“Ich dich auch nicht. Bist du jetzt mit Hannah zusammen oder was?”

“Ne. Zusammen wär wohl zu viel gesagt.”

“Was denn dann?”

“Bist du jetzt eifersüchtig oder was? Was soll n das ganze Kreuzverhör jetzt?”

“Nein! Du kannst doch machen was du willst!”

“Wenn das so ist, dann geh ich jetzt. Der Kaffee ist mittlerweile eh kalt.”

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ Zorn die Wohnung. Er ging zur nächsten Bushaltestelle und nahm die Linie 12 in Richtung Hauptbahnhof.

Warum müssen ausgerechnet die einzigen beiden Frauen mit denen ich in den letzten Monaten gevögelt hab zusammen wohnen? Das geht doch jetzt mal gar nicht klar!, dachte Zorn, während der Busfahrer, offensichtlich ein Spaßvogel, über den Lautsprecher bekanntgab: “Nächster Halt: Schloßplatz. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts!”

Das ganze in einem Tonfall, der durchaus an die Stimme von Joseph Goebbels erinnerte.

Zorn war sich bewusst, dass Vera mit Hannah sprechen würde und dass sie ihr erzählen würde, dass er mit ihr geschlafen hatte. Aber das spielte keine Rolle. Hannah war die Frau seiner Träume. Das musste sie einfach verstehen.

“Jetzt geht ihr alle mal ein bisschen weiter nach hinten durch, oder ich song hiergleich ‘Oh Happy Day’”, sagte der Busfahrer dieses mal mit osteuropäischen Akzent.

Zorn musste sich ein Grinsen verkneifen, zumal er neben einer alten Frau stand, die keine Miene verzog.

Er wusste nicht recht, was er jetzt tun sollte.

Am besten Frag ich später mal Willi. Der weiß immer Rat bei Frauengeschichten. Das macht die Lebenserfahrung, dachte sich Zorn.

Die alte Frau stieg am Aegidimarkt aus und an der nächsten Haltestelle würde er ihr es gleichtun.

ende


© Matthias Doden


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Beschreibung des Autors zu "Der Morgen danach"

Teil 5 der "Hannah-Storyline"

"Zorn" ist der Spitzname der Hauptfigur meiner Kurzgeschichtenreihe "Bis zum Gehtnichtmehr".
"So wie einst James Dean" und viele andere Kurzgeschichten und Comics um Zorn und seine Freunde finden sich auf
http://biszumgehtnichtmehr.wordpress.com/
Würde mich sehr über Meinungen freuen.

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Kommentare zu "Der Morgen danach"

Re: Der Morgen danach

Autor: noé   Datum: 15.05.2014 22:45 Uhr

Kommentar: Das abends zu lesen, ist richtig erholsam und relaxend. Gefällt mir.
noé

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