Als Zorn den Mustang in Lukas Garage abgestellt hatte und die beiden sich vor dem Tor eine Zigarette anzündeten, fragte Lukas: “Und hast du jetzt noch Zeit, oder wie sieht das aus?”

“Ja. Zeit hab ich schon. Muss aber ja auch noch zum Supermarkt. Aber du weißt ja. Die haben ja noch länger auf.”

“Ja geil. Kommste dann noch mit da hinten zu meinen Kumpels?”

“Was ist da denn?”

“Die machen ein bisschen Musik. So draußen vor dem Cafe da vorne. Haste bestimmt Freude dran. Ich geb auch n Bier aus!”

Weil Lukas noch nie, in all den Jahren nicht, das Angebot auf ein Bier in Aussicht gestellt hat, sagte Zorn zu.

“Na? Freibierfan?”, sagte Lukas mit einem Augenzwinkern.

“Klar bin ich n Freibierfan. Wer denn nicht?”

Die beiden spazierten los.

Zorn zündete sich noch eine Zigarette an und Lukas warf einen Blick auf die Schachtel.

“Ich hab ja nie verstanden warum du diese Red Devil’s rauchst. Die schmecken doch total scheiße…”

“Ich find die gut.”

“Kann ich mir nicht vorstellen.”

“Du sagtest die schmecken scheiße, diese Meinung hast du dir doch irgendwie gebildet!”

“Ja. Ich hab gehört die schmecken scheiße. Ist nichts für mich glaub ich.”

“Du hast die noch nie Geraucht, und willst mir erzählen, dass die scheiße schmecken? Hier nimm eine und mach dir mal eben selbst ein Bild!”

Zorn gab Lukas eine seiner Zigaretten, die dieser auch ohne zu zögern entgegennahm und anzündete.

Nach zwei Zügen meinte Lukas: “Doch gar nicht so scheiße. Irgendwie sogar ein bisschen gut.”

“Eben. Wart mal eben. Ich muss mal kurz pieseln.”

Zorn ging in die Seitenstraße neben der Sparkasse um sich zu erleichtern.

“Knabe! Nie neben eine Bank!”, rief Lukas plötzlich.

“Was ist?”

“Nie neben einer Bank pissen! Wegen den Überwachungskameras. Die nehmen dich auf und dann musst du die Reinigung bezahlen.”

“Wer hat dir denn den Scheiß erzählt?”

“So ein Arbeitskollege.”

“Der ist auch nicht ganz der hellste oder?”

“Doch.”

“Ok. Nun lass mich mal eben pissen.”

“Ok.”

Nachdem Zorn sein kleines Geschäft erledigt hatte gingen die beiden noch ein paar hundert Meter die Straße hinunter bis sie auf Lukas Freunde trafen, die sich vor einem Cafe mit transportablem Klavier und diversen anderen Instrumenten aufgebaut hatten und dort gemeinsam musizierten.

“He Lukas alter Haufen! Schön das du gekommen bist. Aber wir wollen gleich schon wieder weiter!”, rief der Pianist während er munter vor sich hinschwitzend in die Tasten haute um den Song ‘Clocks’ von Coldplay gar nicht mal so schlecht zum besten zu geben.

“E-Dur, Trude! Wir spielen das Stück in E-Duuur!”, rief der Bassist der kleinen, hübschen Gitarristin mit den blonden Dreads zu.

Die beiden funkelten sich an und Zorn hatte den Eindruck, sie würden sich entweder hassen oder nachher noch zusammen in die Kiste steigen. Aber er tendierte eher zu letzterem. Irgendwie hatte er in letzter Zeit einfach kein Glück bei den Frauen die er toll fand.

Als der Song vorbei war und die zahlreichen Gäste begeistert Applaus und Kleingeld spendeten, fingen Trude und der Bassist tatsächlich einen kleinen Streit ums Abbauen der Instrumente an.

Der Bassist setzte sich nämlich erstmal auf den Boden und nahm ein paar Schlucke aus seiner Bierflasche, was Trude dazu veranlasste, ihn mit den Worten ‘Bau ab!’ anzubrüllen, was der Bassist mit einem ebenso gebrüllten ‘Bau du ab!’ beantwortete.

“Hier, ich helf dir mal Trude, ich bin Profi”, bot Zorn seine Hilfe an, um ein Gespräch mit ihr anzufangen.

“Ich heiß gar nicht Trude. Ich heiß Hannah. Aber der Idiot nennt mich immer Trude. Keine Ahnung warum.”

“Hannah. Freut mich. Ich bin Benjamin. Mich nennen aber alle immer nur Zorn. Kann mir also vorstellen, wie du dich fühlst”, meinte Zorn, während er ihr Verstärkerkabel sorgfälig aufwickelte und in ihrem Koffer in das richtige Fach einpackte.

“Du kennst dich echt aus, äh… Zorn? Benjamin? Benni? Wie darf ich dich nennen?”

“Bleib ruhig bei Zorn. Auf keinen Fall Benni. So nennt meine Mutter mich immer. Ich hasse Benni!”, lachte Zorn.

“Ok. Hallo Zorn.”

“Hallo Hannah.”

“Und wie kommts, dass du dich mit dem Abbauen von Instrumenten so gut auskennst?”, grinste sie ihn an, denn er hatte bislang immer noch lediglich das Kabel aufgerollt und eingepackt.

“Ich war mal für ein Wochenende Roadie auf nem Schiff”, erklärte er.

“Echt? Welche Band?”

“Kennt keine Sau. Weiß gar nicht, ob es die überhaupt noch gibt. Die Jungs kommen aus meiner Heimatstadt.”

“Wo kommst du denn her?”

Plötzlich kam Lukas mit dem längst überfälligen Bier an, drückte es Zorn in die Hand und sagte: “Hier! Bier! Prost!”

“Prost. Danke.”

“Ah, wie ich sehe hast du Hannah kennengelernt!”, meinte Lukas und fügte verschwörerisch flüsternd hinzu: “Singleeeee…”

Lukas ging wieder, um sich weiter mit dem Pianisten zu unterhalten, doch das Flüstern war grade Laut genug gewesen, dass sowohl Zorn als auch Hannah das Wort verstehen konnten und Hannah wurde rot.

“Wem galt der Hinweis jetzt wohl? Dir oder mir?”, fragte Zorn um ein wenig von der Peinlichkeit des Augenblicks abzuschütteln und um einfach weiter mit Hannah zu sprechen. Das Piercing, das sie im Nasenrücken trug, und ihre stechenden hellblauen Augen hatten ihn voll in den Bann gezogen.

“Ich glaub wohl uns beiden… Lukas ist nicht so der subtile Typ.”

“Das hab ich auch schon festgestellt. Wir sind Nachbarn. Also… Du bist nicht mit eurem Bassisten… zusammen?”

“Mit Locki? Nie im Leben. Ich kann den Kerl nicht ab. Das ist so ein scheiß Musikstudent, der glaubt er kann alles, nur weil er bei so nem tollen Professor Noten von der Tafel abschreibt! Ich kann den Kerl nicht ab! Wie kommste denn auf so ne Idee?”

“So nach dem Motto, ‘Was sich liebt…’ und so. Konnte das echt nicht so genau einschätzen.”

Hannah fing an zu lachen und nahm sich einen Schluck Bier aus Zorns Flasche.

“Du bist in Ordnung Zorn. Kommst du noch mit? Wir ziehen gleich zur nächsten Kneipe, spielen da noch ein paar Songs und dann wollten die Jungs noch auf ein Metal-Konzert in irgendeinem Keller, aber ich würd lieber noch irgendwo was trinken gehen…”, sagte Hannah mit einladendem Tonfall.

Zorn musste nicht lange über seine Antwort nachdenken.

ende


© Matthias Doden


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Beschreibung des Autors zu "Hannah"

Teil 4 der "Hannah-Storyline"

"Zorn" ist der Spitzname der Hauptfigur meiner Kurzgeschichtenreihe "Bis zum Gehtnichtmehr".
"Hannah" und viele andere Kurzgeschichten und Comics um Zorn und seine Freunde finden sich auf
http://biszumgehtnichtmehr.wordpress.com/
Würde mich sehr über Meinungen freuen.

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Kommentare zu "Hannah"

Re: Hannah

Autor: axel c. englert   Datum: 13.05.2014 19:05 Uhr

Kommentar: Hallo!
Deine Geschichten haben eine eigene Handschrift!

LG Axel

Re: Hannah

Autor: Matthias Doden   Datum: 13.05.2014 19:13 Uhr

Kommentar: Ich hoffe, eine gute! ;)
Vielen Dank(?)!

Re: Hannah

Autor: Matthias Doden   Datum: 13.05.2014 19:24 Uhr

Kommentar: Übrigens: Wer alle Palindrome in diesem Text findet, gewinnt meinen nie enden wollenden Respekt. ;)

Re: Hannah

Autor: axel c. englert   Datum: 14.05.2014 2:16 Uhr

Kommentar: Ich hab ein paar Palindrome gefunden:

„Hannah“
„Otto“ in Motto
„Bau ab“
„Bau du ab“
„Na Freibierfan“
„Knabe nie neben eine Bank“
„Nie neben ein“
„E – Dur T“(rude)
„Neben“
„Nun“
„“Garag“ (e)


LG Axel

Re: Hannah

Autor: Mark Gosdek   Datum: 14.05.2014 5:16 Uhr

Kommentar: Die Geschichte liest sich wahr. Sehr gut. Mark

Re: Hannah

Autor: noé   Datum: 14.05.2014 8:48 Uhr

Kommentar: Fas-zi-nie-rend!
noé

Re: Hannah

Autor: Matthias Doden   Datum: 14.05.2014 9:27 Uhr

Kommentar: Axel, das wichtigste hast du übersehen: "Hannah" ;)
Mark, Noé: Danke euch!

Re: Hannah

Autor: noé   Datum: 14.05.2014 9:30 Uhr

Kommentar: Hat er nicht! hat er als erstes genannt!
noé

Re: Hannah

Autor: Matthias Doden   Datum: 14.05.2014 10:21 Uhr

Kommentar: Guck... Hab ich übersehen :D

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