Ich liege im hohen Gras, über mir schweben die weißen Wolken hinweg und bilden immer neue Figuren. Das Wasser der Weser fließt langsam vor sich hin und das Rauschen lässt mich langsam weg dämmern. An mir fährt ein Schiff vorbei. Das Geräusch ist mir vertraut, aber muss dieser Mistkerl von Kapitän ausgerechnet jetzt zeigen, dass seine Schiffshorn funktioniert?
Noch schlimmer ist, dass dieses nerv tötende Geräusch immer lauter zu werden scheint.
Genervt schlage ich die Augen auf, um dem Kapitän eine wütende Geste und einen tötenden Blick zuwerfen zu können. Mein armer Kleiderschrank wäre fast vor Schreck auseinander gefallen.
Es ist sechs Uhr morgens an einem Montag. Da meine Bettdecke sich noch schön warm und kuschelig an mich schmiegt beschließe ich ausnahmsweise (ja nee ist klar), die Schlummertaste meines Weckers zu drücken und mich für drei mal 10 Minuten noch wieder entspannt in die Federn fallen zu lassen.
Irgendwann muss ich dann leider doch hoch. Ins kalte Wohnzimmer mit Küchenzeile oder anders gesagt, der Raum in dem die Kaffeemaschine wohnt. Nach vier Tassen Kaffee, zwei Folgen der Wiederholung vom „Strafgericht“ von 2002 und zwei Zigaretten bin ich in der Lage meinen müden Körper unter die angenehm warme Dusche zu stellen und mich für die Arbeit bereit zu machen.
Ich lasse mir gerne Zeit morgens. Hektik verdirbt mir die Laune. Das war schon immer so und wird sich auch nicht mehr ändern. In meinem Alter hat man schließlich das Recht auf Eigenheiten.
Mir ist durchaus bewusst das andere Menschen in der Zeit, in der ich wach werde, bereits die Welt retten könnten, aber was soll ich mich da auch noch einmischen, die schaffen das schon noch alleine und wenn sie Fragen zum Plan haben, wissen sie ja, das sie mich immer in der Nähe der Kaffeemaschine finden können. Falls sie mich da nicht finden bin ich gerade Zigaretten holen.
An diesem Montag entscheide ich mich für ein dunkles Outfit, schließlich bin ich in Trauer. Ich trauere um den Freitagnachmittag und dem gesamten Samstag. Dem Sonntag weine ich keine Träne nach der olle Sack hat mir hinterrücks einen Kater auf den Hals gehetzt, der sich erst gegen Abend endlich aus der Wohnung schmeißen ließ.
Früher war das alles einfacher, da hat man sich Freitagabend getroffen, ist Sonntagabend nach Hause gekommen und hat sich am Montag ohne Probleme aus dem Bett gerollt. Hach war das schön, als man noch jung war. Ich darf das sagen, immerhin werde ich demnächst 27 Jahre alt.
Ich fühle mich echt gerädert. Fahre auf dem Parkplatz der Firma und finde mal wieder nur einen Parkplatz zwischen den Reihen, aber um mal ehrlich zu sein sind das 1. Die Besten, da der Weg bis zum Firmengelände Minimum 20 Schritte geringer ist und 2. Um einen ordentlichen Parkplatz zu bekommen ich um mindestens halb acht Uhr morgens anfangen müsste und da steh ich ja noch unter der Dusche.
Ich ignoriere die Treppe, die ich eigentlich nehmen müsste und begebe mich zu meinem liebsten Arbeitsgerät, dem Fahrstuhl und fahre in den zweiten Stock.
Als ich mein liebstes Arbeitsgerät verlasse, begrüßt mich als allererstes mein liebster Arbeitskollege, auf den ich mich schon den ganzen morgen gefreut habe. Die Kaffeemaschine. Aus der Spülmaschine entnehme ich meine wie durch ein Wunder saubere Hello-Kitty-Tasse und mach mir meine Arbeitskaffee-Mischung fertig. Das Rezept verrate ich hier lieber nicht, da es schon ein wenig speziell ist, sich aber bewährt hat, wenn der Kaffee während der Arbeit mal kalt geworden ist.
Auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz laufe ich durch die üblichen drei Büros, um mir die erste Arbeit für den Tag zusammen zu klauben.
In jedem Büro läuft das tägliche Ritual ab. Ich rufe „Guten“ und bekomme ein „Morgen“ zurück. Das war ein hartes Stück Arbeit, dieses Ritual den vorwiegend männlichen Kollegen anzutrainieren, die sind ja bekanntlich nicht so geübt darin sich neuen Situationen zu stellen. Aber da ich eine geduldige Frau bin, habe ich nie aufgegeben und mein Erfolg gibt mir Recht. Ein paar wenige Rebellen antworten mir aufgrund der Uhrzeit zu der ich auftauche mit „Mahlzeit“.
Es gibt so Tage an denen ist irgendwie alles doof. Komischerweise tritt dieses Phänomen häufig an einem Montag auf. Gibt es dazu eigentlich Studien? Es tritt aber auch gerne am Donnerstag auf oder am Freitag. Manchmal auch an allen drei Tagen.
Ich hab da so eine Theorie, der Montag ist eh aus Prinzip schon der unbeliebteste Wochentag und hat aufgegeben an seinem Image zu arbeiten. Der Dienstag erfreut sich der Tatsache dass der Montag überlebt wurde. Der Mittwoch ist Bergfest und ein Grund zum Feiern. Ab Donnerstag geht die Woche seinem Ende zu und der nimmt einem dies persönlich übel und haut dir mit der Faust ins Gesicht, weil er an ADS leidet und dringend einen guten Therapeuten bräuchte. Der Freitag hingegen gönnt dir das Wochenende nicht und Aussagen wie: „ heute mache ich mal früher Feierabend, ist ja schließlich Freitag“ nimmt er als Ansporn und wirft dir ganz hinterlistig die dicksten Felsbrocken in den Weg, die du „mal eben“ (ich bin überzeugt, dass dies die ersten Worte meines Chefs waren) lösen musst. Ehe man es sich versieht ist das Feierabend Bier schon vor dem eigentlichen Feierabend fällig.
Bevor hier der falsche Eindruck entsteht möchte ich eindringlich betonen, dass ich meine Arbeit durchaus gerne mache. Also am Dienstag und Mittwoch. Ich bin eine kleine, an meiner Körpergröße gemessene Schreibkraft, in einem Export-Büro. Das bedeutet für Nichtwisser, das ich gefühlt jeden Tag die Firma rette und die Sachbearbeiter dafür das Lob einheimsen. Das ist nicht schlimm. Es gibt nach einer Abwesenheit ja keine bessere Bestätigung als ein ehrliches „endlich sind Sie wieder da“.
Meine Kollegen würde ich trotzdem niemals eintauschen wollen. Wo hat man sonst - als nicht Psychologie-Studentin - die Möglichkeit sich mit einem Querschnitt durch die gesamte Bevölkerung der Menschheit auseinander setzen zu können. Okay zugegeben, was fehlt sind Arbeitslose und Hartz IV Empfänger, aber dass kann man, dank der hochqualifizierten Senderchefs, im täglichen Fernsehprogramm nachholen.
Ich setze mich also an die Arbeit. Schreibe Rechnungen, mache Zollpapiere fertig und mache noch andere komplizierte Dinge für die eine abgeschlossen Ausbildung entgegen dem momentanen Trend tatsächlich vom Vorteil ist. Dann passiert etwas was ich hasse. Ich habe eine Nachfrage an den Sachbearbeiter, dem ich hauptsächlich zuarbeite. Ich nehme mir widerwillig die eine Stunde Zeit ihn zu fragen, da ich sonst den Vorgang nicht abschließen kann, um mir wichtige Daten zu holen. Er erklärt mir alles, vom Anlegen eines Auftrages bis hin zur Entdeckung dass die Erde rund ist. Das ist okay bin ja eine geduldige Frau. Ein anderer Kollege grinst mir freundlich und wissend um meinen inneren Konflikt zu und ich erwidere dieses mit dem bekannten verzweifelten zurücklächeln. Die benötigten Daten bekomme ich auch… irgendwann.
Als ich eingestempelt habe, habe ich wie jeden Tag ausgerechnet, wie lange ich arbeiten muss. In der Erkenntnis, dass ich einfach zu kaputt bin und eine halbe Stunde früher Feierabend mache. Nach einer Stunde NACH Arbeitsende gehe ich endlich nach Hause.
Ich bin vollkommen müde, matschig und sehe auch leider so aus. Fantasiere von meinem Sofa und überlege was ich mir noch schönes zu Essen machen kann. Auf dem Heimweg halte ich bei meinem Lieblingssupermarkt und kaufe Lebensmittel die man wenig kreativ im Kochtopf zusammen kippen kann. Da die Zigaretten auch nicht mehr bis morgen reichen würden, kaufe ich mir auch diese.
Und dann kommt die eine Situation, die den normalen Alltag aufbricht und einen zu einem geschmeichelten Lächeln verführt. Diese wunderbare, allerliebste und seit dem Tag in meinem Testament verewigte Kassiererin fragt mich nach meinem Ausweis. Mich seit fast zwei Jahren als alte Schachtel geltende.
Spontan gebe ich den Gedanken auf mir die erste Antifalten-Creme zu kaufen und fühle mich gut und beflügelt und SCHEISSE JA… jung.
Also merke, egal wie alt du dich in den Ende „Zwanzigern“ fühlst. Es gibt immer eine Kassiererin oder Kassierer mit schlechter Gabe der Alterseinschätzung, die per Gesetz verpflichtet sind, dich nach deinem Ausweis zu fragen.
Und diese wenigen privilegierten Menschen retten die sogar einen Montag.


© Sabrina Hemme


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Kommentare zu "... Tag gerettet"

Re: ... Tag gerettet

Autor: noé   Datum: 01.03.2014 18:47 Uhr

Kommentar: Gott-sei-Dank, gelle?
Weser? Große Schiffe - Bremerhaven/Deich?
noé

Re: ... Tag gerettet

Autor: Brasina   Datum: 01.03.2014 18:53 Uhr

Kommentar: Naja Weser bei Verden und somit große Schiffe gemessen an Privatbooten :) Gibt dort tolle und schöne Ecken direkt an Weser und Aller :)

Re: ... Tag gerettet

Autor: noé   Datum: 01.03.2014 18:56 Uhr

Kommentar: Ohhh-Keee...
Ich dachte schon... ;o))
noé

Re: ... Tag gerettet

Autor: Brasina   Datum: 01.03.2014 19:06 Uhr

Kommentar: neee neee :)

Re: ... Tag gerettet

Autor: noé   Datum: 01.03.2014 19:08 Uhr

Kommentar: Was sind wir doch wieder gesprächig, wi twee vondogen...
noé

Re: ... Tag gerettet

Autor: Mark Widmaier   Datum: 01.03.2014 20:54 Uhr

Kommentar: Der Text hat was...wunderbar geschrieben :-)

Re: ... Tag gerettet

Autor: Brasina   Datum: 01.03.2014 21:47 Uhr

Kommentar: Ich hab versucht einen normalen Tag an dem eigentlich nichts passiert auf eine humorvolle Weise zu beschreiben

Re: ... Tag gerettet

Autor: noé   Datum: 01.03.2014 21:49 Uhr

Kommentar: Ist Dir ja auch gelungen...
noé

Re: ... Tag gerettet

Autor: Brasina   Datum: 01.03.2014 22:31 Uhr

Kommentar: Danke. Das war der erste Text den ich jemals von mir einem öffentlichem Forum vorgestellt habe. Und war mir unsicher, wie dieser ankommen würde.

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