Wind 2

von Yupag Chinasky

Dieser Wunsch spiegeln sich möglicherweise in seinem Gesicht, denn als die Frau zurück kommt und sieht, dass er immer noch halb angezogen neben der Wanne steht, die löchrige Hose, die er zur Behandlung seiner Knie ausgezogen hatte, liegt auf dem Boden liegt, schaut sie ihn fragend und wissend zugleich an. Was denn los sei, ob er nicht in das Wasser wolle oder ob er immer in seinen Kleidern baden würde, wie diese Mohammedaner. Oder ob der Herr vielleicht ganz andere Wünsche habe, sie lacht, diesmal etwas meckernd, aber dafür müsse er erst einmal in das Wasser und jetzt solle er endlich anfangen. Ihre Anweisung unterstreicht sie mit einer herrischen Handbewegung, mit einem eindeutigen „ na los doch“, geht alsdann geht in die Küche und holt den ersten Eimer mit kaltem Wasser und schüttet ihn in die Wanne. Sie prüft die Temperatur auf eine Weise, die ihn an Babys erinnerte. Sie bückt sich sehr tief und hält den Ellenbogen in das Wasser. Er ist fasziniert, von dem erneuten tiefen Einblick, den sie bietet und sucht mit seinen Blicken das kleine goldene Kreuz. Aber in Wahrheit interessiert ihn das Kreuz überhaupt nicht, er schaut sie an, wie ein Mann eine Frau anschaut, die er begehrt und sie, als sie sich wieder aufrichtet und diesen Blick bemerkt, schaut zurück, mit einer ganz leichten Arroganz, die zu überwinden, kein Problem ist. Sie schaut ihn an, wie eine schöne Frau, die weiß, dass sie begehrt wird. Nun endlich fängt er an, sich auszuziehen, streift den Pulli ab, dann das Hemd, als nächstes zieht er die Schuhe und die Socken aus und wirft alles neben die Hose. Die Frau sieht zu, wie er sich auszieht, neugierig, direkt, ungeniert, auch wieder so wie ein Mann, der eine Frau beim Ausziehen beobachtet. Ihm ist die Situation etwas peinlich, es ist eine neue, ungewohnte Rolle, in der er sich befindet, er ist derjenige, der den Striptease macht, er ist derjenige, der angegafft wird. Zugleich fühlt er sich jedoch geschmeichelt, dass diese Frau ihn mit so großem Interesse anstarrt. Als er nur noch die Unterhose an hat, hält er trotzdem mit seinem Strip inne. Eigentlich müsste er sich nicht mehr zieren, nach soviel anschaulicher Intimität, die bereits zwischen ihnen stattgefunden hat. Die Frau wird sich doch durch einen nackten Mann nicht schockieren lassen, denkt er und auch er hat ja so seine Erfahrung, auch ihn sieht nicht die erste Frau nackt. Aber er ziert sich doch, weil bei ihm etwas auferstanden ist, das er nicht oder noch nicht zeigen will, weil er sich nicht ganz sicher ist, wo und wie diese Nacht enden wird. Sie bemerkt sein Zögern und erkennt schnell den Grund. Wieder ertönt ihr heiseres, kehliges Lachen. Ja, jetzt müsse er wohl auch noch die letzte Hose herunter lassen. Er könne nicht vermeiden, dass sie dann alles sieht und ob das vielleicht schlimm sei. Ob er ein pubertierender Knabe sei, obwohl er gar nicht danach aussehe. Das, was da zwischen seinen Beinen wächst und was er verbergen will, sei doch etwas schönes, etwas was sie sehr möge, Er solle nicht wieder anfangen, sich wie eine alte Jungfer anzustellen, diese Rolle würde höchstens ihr zustehen. Wenn er noch lang herummache, würde das Wasser kalt. Und wieder die Handbewegung, die diesmal mit „also jetzt aber hopp, hopp“ gedeutet werden kann.

Er ziert sich nicht weiter, lässt auch die letzte Hülle fallen, hält jedoch beide Hände weiterhin schamhaft vor sein mäßig erigiertes Glied und steigt in die Zinkwanne. Das ist nicht ganz unproblematisch, die Wanne ist tief und schmal und kurz und seine Knie schmerzen. Er wackelt und muss sich dann doch mit beiden Händen am Rand abstützen, um sich endlich in das warme, wunderbar temperierte Wasser plumpsen zu lassen. Seinen etwas tolpatschig wirkenden Einstieg hat die Frau ungeniert und mit sichtlichem Interesse beobachtet, sich aber eines Kommentars enthalten. Stattdessen beginnt sie, wieder ohne zu fragen, seine Haare zu waschen und seinen Rücken einzuseifen. Er solle sich entspannen, sich erholen, wer weiß schon, wozu er seine Kräfte noch bräuchte, an diesem Abend, der ja erst begonnen habe und erst in der Nacht, nach dem Grillhuhn, fährt sie lachend fort. Ihre Andeutungen und Erwartungen sind sind alles andere als versteckt und lösen bei ihm eine gewisse Furcht aus, trotz seiner Erregung, die mittlerweile abgeklungen ist und seinem Verlangen, dass vor dem Einstieg in das Bad so mächtig aufgeflammt war. Er gibt keine Antwort, sein Lächeln ist jedoch etwas verlegen und leicht gequält. Aber noch ist die kritische Phase nicht erreicht, in der er gefordert wird und er erholt sich in der Tat, planscht ganz vergnügt und entspannt im Wasser herum, obwohl er, groß und alles andere als schmächtig, kaum Platz in der engen Wanne hat. Ein Gefühl der Dankbarkeit für seine Gastgeberin und ihren Vorschlag mit dem Bad kommt in ihm auf, als er die letzten Dreckkrümel sucht, um sie abzurubbeln und als er ihr das sagt, strahlt sie und fragt ihn, wie er denn die Wanne fände und ob er schon jemals in einer solchen gebadet habe. Er denkt nach und meint dann, erinnern könne er sich nicht, aber vielleicht als Baby oder als kleines Kind. Ja, seine Eltern hatten solch eine Wanne und damals, in seiner frühen Jugend, gab es kein Badezimmer und irgendwie muss der doch auch sauber gehalten worden sein, sonst wäre er doch nicht das geworden, was er ist. Dir Frau lacht und er bestätigt, ja, doch, er habe schon einmal so gebadet, aber das sei sehr lange her.

Er ist gerade dabei, seine geschundenen Knie zum wiederholten Mal zu inspizieren, Knie, die wehtun, obwohl sie ohnehin aus dem Wasser ragen, als er sieht, wie die lila Bluse auf dem Fußboden landet. Er blickt auf und sieht, dass die Frau angefangen hat, sich auszuziehen. Sie steht mit nacktem Oberkörper vor ihm, hat in der Tat sonst nichts unter der Bluse an, nur das kleine Kettchen mit dem Kreuz und er kann nun das bewundern, was er bisher nur in Ausschnitten zu sehen bekommen hat. Ihr blanker Busen ist nicht zu groß und nicht zu klein und ziemlich straff, genauso, wie er sich unter der Bluse abgezeichnet hatte, genauso, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Überrascht ist er, wie groß die dunkelbraunen Höfe um die Brustwarzen sind und wie steil diese nach oben ragen. Er sieht nun das, was er schon die ganze Zeit hatte sehen wollen, seit er die Frau zum ersten Mal in der Tür gesehen hatte, obwohl er da ja ganz andere Probleme und Wünsche gehabt haben müsste. Die Frau sieht natürlich auch sofort wieder, wo er hinschaut, ist aber wieder in keiner Weise verlegen. Im Gegenteil, sie drückt ihre Brust nach vorne, macht ein Hohlkreuz, was ihr aber mit ihrer kompakten, gedrungenen Gestalt nicht so recht gelingen will. Sie lacht, alles andere als verlegen und schaut sich ein wenig triumphierend um, erst zu ihm, dann an sich herunter und erklärt, dass sie auch baden werde, dass es zu schade sei, das Wasser nur einmal zu benutzen und dann wegzuschütten. Es sei ja noch ziemlich sauber, weil die Vorreinigung doch sehr gründlich gewesen sei und wenn er fertig sei, solle er raus und sich abtrocknen. Dann streift sie den kurzen, weißlichen Rock ab und dann ihre Schlüpfer, einen besseren Ausdruck gibt es für das, was sie unter dem Rock trägt nicht. Sie bückt sich und zieht diese voluminösen weiss-grauen Schlüpfer über die Knie und dann über die Füße und als sie sich wieder aufrichtet und nun ganz nackt ist, stellt er fest, dass auch der Rest ihres Körpers so ist, wie er sich unter der dünnen Kleidung abgezeichnet hatte, wenig Taille, dafür etwas Bauch, ausladende Hüften, ein strammer Hintern und die stämmigen Beine, die er zum größten Teil ja bereits kannte. Das einzig Unerwartete, das er, ein wenig geschockt, aber höchst interessiert anstarrt, ist der dichte, schwarze Busch zwischen den Beinen, der all das verdeckt, was er vielleicht auch noch gerne gesehen hätte. Geschockt und amüsiert ist er von der rosa Duschkappe, die sie sich aufsetzt und in die sie sorgsam ihre üppigen Haare steckt. Diese Kappe ist wohl ein Relikt aus einer frühen Zeit, denkt er, so etwas kann man doch nur noch im Museum sehen, genauso wie diese sagenhaften Schlüpfer.

Die Frau ist immer noch nicht verlegen, trotz ihrer Nacktheit, trotz seines intensiven, unverholenen Glotzens. Sie hebt sogar beide Arme hoch, hält die Hände über den Kopf, beginnt sich zu drehen und zu tänzeln, reckt die Brust wieder weit vor und wackelt mit dem strammen Hintern, ein wenig Bauchtanz, ein wenig Striptease. Dabei lacht sie, ihr kehliges, zufriedenes Lachen, schaut ihn mit ihren Lachfältchenaugen an und fragt, ob sie nicht immer noch schön sei und ob sie ihm nicht gefalle. Sie sei doch eine Klassefrau und bis auf das bisschen Bauch, sei doch noch alles tadellos. Ohne seine Reaktion abzuwarten, ihr reicht wohl sein interessierter, zustimmender Blick, fährt sie fort, dass auch er noch durchaus ansehnlich sei, jedenfalls nach dem zu urteilen, was sie bisher gesehen habe. Er sei bestimmt okeee, sie dehnt das e, wenn er auch wenig prüde und schüchtern sei, aber das könne sich ja noch im Laufe des Abends ändern. Dann senkt sie die Arme wieder und unterstreicht mit eine paar scheuchenden Bewegungen der Hände, dass er endlich raus solle, aus der Wanne, weil sie auch noch ein wenig Wärme haben wolle. Er steht auf, verlässt die Wanne und die Wärme, doch bevor er geht und sich in das dünne Handtuch holt, das sie ihm auf dem Sofa bereit gelegt hat, hält ihn die Frau fest, hält sich an seinen Schultern fest, die fast einen halben Meter höher als die ihren sind. Er denkt, jetzt geht es los, jetzt fängt sie an, mit küssen und schmiegen, mit dem Liebesspiel, noch bevor sie selber gebadet hat. Aber sie hält sich nur an ihm fest, um sicher in die niedrige Wanne steigen zu können, denn kaum steht sie im Wasser, lässt sie seine Schultern los, setzt sich hin und stößt, als sie mit ihrem halben Leib in das Wasser taucht, kleine Schreie der Lust und des Wohlbefindens aus.

Während jetzt die Frau fröhlich in der Wanne sitzt, trocknet er sich ab und sucht danach seine Sachen zusammen, die auf dem Fußboden verstreut sind. Als er sich anziehen will, ruft sie ihm zu, er solle damit noch warten, weil er sich sonst gleich wieder ausziehen müsse, wenn sie mit dem Baden fertig sei. Er solle lieber her kommen und ihr den Rücken waschen. Den letzten Satz versteht er, den ersten nicht so ganz und schaut sie deswegen wohl ziemlich dämlich an. Sie lacht und fragt, ob er schwer von Begriff sei, es sei doch klar, was sie gemeint habe. Er grinst und tut so, als ob er verstanden habe, wahrscheinlich hat er auch das verstanden, was er wollte, jedenfalls hält er inne. Er fühlt sich unwohl und beobachtet und auch irgendwie verspottet. Er fühlt sich alles andere als einer, der kurz davor ist, das Paradies zu betreten. Er fühlt sich eher wie einer, der auf einem Präsentierteller steht und von einer neugierigen Herde begafft wird oder wie das Objekt in einer Peep-show. Auf jeden Fall gefällt ihm die Rolle nicht, die er spielen soll, zumal ihn die Frau immer noch direkt und ungeniert betrachtet und schließlich resümiert, er habe sich doch ganz gut gehalten. Sie taxiert mich wie auf einem Sklavenmarkt oder in einem Männerpuff, denkt er. Bevor er aber doch anfängt, ihr den Rücken einzuseifen, zieht er sich wenigstens seine Unterhose an, so ganz nackt, nein, das will er nicht sein und das sagt er ihr auch, das müsse sie nun mal erdulden, den Anblick seiner Unterhosen. Dann ist die Genierphase überwunden und er fragt sie, überflüssigerweise, weil sie ja die unmögliche Haube auf hat, ob sie nicht doch die Haare waschen wolle und er ihr dabei helfen solle, doch sie verneint. Es würde zu lange dauern, bis sie wieder trocken sind und dann kämen sie ja zu gar nichts mehr. Schon wieder so eine Andeutung, die er so auslegt, wie sie vermutlich auch gemeint war. Es bleibt beim Einseifen des Rückens und als er fertig ist, nimmt er seine Parka, hängt sie, anstelle eines Bademantels, locker über die Schulter und setzt sich auf das Sofa. Dann beobachtet er die Frau in der Zinkwanne, eine Rolle, die ihm viel besser gefällt als umgekehrt. Sie sitzt ganz entspannt da, hat die Beine angezogen und leicht gespreizt und fängt an, sich mit einem Waschlappen bearbeiten. Erst den Unterleib und die Beine, dann die Füße, die sie einzeln hoch streckt und schließlich die Arme und die Brüste, an denen sie eine ganze Weile, er meint, länger als nötig, herumdrückt und herumreibt. Das Gesicht spart sie bei der Reinigung aus, vielleicht ist ihr das Wasser doch zu dreckig. Er beobachtet ihr Tun und merkt, wie sein Blut langsam in Wallungen gerät und als er merkt, wohin es wallt, ist ihm das peinlich und er zieht sich die Parka enger um die Schulter und hält sie mit einer Hand zu, wie einen Morgenmantel ohne Gürtel. Doch die Frau ist anscheinend ungerührt, denn sie hat wieder angefangen, belanglose Fragen zu stellen, ob er ein Auto habe, ob das Bier in Deutschland wirklich so gut sei und ähnliche, doch auf einmal, ganz unvermittelt, will sie wissen, ob er Geld dabei habe und ob er ihr etwas geben könne, für das Bad und für das Essen. Er schluckt. Klar hatte er vor, ihr etwas zu geben, für den Aufwand, die Bewirtung und Beherbergung, aber es stört ihn, dass sie so direkt danach fragt. Er antwortet zögerlich, ja, er habe Geld, wie viel sie denn wolle. Sie antwortet mit einer Gegenfrage. Was ihm eine Nacht im Grand Hotel denn Wert sei, inklusive Allem. Sie lässt offen, was sie unter Allem versteht. Er schluckt abermals und besteht darauf, dass sie seine Frage beantwortet. Was sie sich denn vorstelle, was denn in diesem Hotel der übliche Preis sei. Sie lacht und sagt, er habe ganz gut verstanden und sie würde mit dem Thema weiter machen, wenn es soweit sei, rechtzeitig bevor er sie wieder verlassen würde. Sie habe ja nur wissen wollen, sie gluckst, ob er potent sei, in jeder Hinsicht potent, sie lacht schallend. Dann steht sie auf und bittet ihn um das Handtuch. Vielleicht hat sie nur eines, vielleicht stört es sie nicht, dass er es bereits benutzt hat und es nun feucht ist. Im Gegenteil, als er es ihr zureicht, hält sie es sich ins Gesicht und schnüffelt daran. Herrlich, sie gluckst wieder, es riecht nach Mann, ich habe schon so lange keinen Mann mehr gerochen. Dann steigt sie elegant aus der Wanne und reibt sich mit dem feuchten Handtuch sorgfältig alle Tropfen von ihrem Körper.

Während er ihr auch dabei zuschaut, denkt er, dass sie sich nun gleich auf ihn stürzen und ihn in das Schlafzimmer zerren werde und dass er dazu, trotz seiner zwischenzeitlichen Erregung, eigentlich gar keine Lust habe, noch keine Lust habe, weil er auf einmal merkt, wie der Hunger in ihm nagt. .Als ob sie das geahnt hätte, verkündet sie, als sie in ihre Schlüpfer steigt, dass sie jetzt ein Huhn holen, es schlachten und zubereiten werde. Wenn es dann vor sich hin schmore, könnten sie es sich gemütlich machen und sich Appetit und Hunger holen, für das Festmahl, denn sie sei auch eine gute Köchin. Und während sie in die Bluse schlüpfte, versichert sie ihm nochmals, dass ihm das Huhn prima schmecken würde, nach dem Schrecken mit dem Wind und der ganzen Anstrengung. Und beim Hochziehen des geblümten Röckchens ergänzt sie, dass Essen und Liebe das schönste im Leben seien und als sie in die Sandalen schlüpfte, endet sie mit der Frage, ob er noch einen Schnaps wolle, zur Beruhigung der Nerven oder zur Anregung, je nachdem was er mehr brauche und ob er beim Schlachten zuschauen wolle. Er nickte, aber nur was den Schnaps betraf und statt auf ihre zweite Fragen einzugehen, meinte er, dass er lieber das Auto holen wolle, es werde ja bald dunkel und er wolle es nicht an der Straße stehen lassen. Dann wollte er wissen, ob er auf dem Hof abstellen könne, er habe aber gesehen, dass dort überall Scherben herumlägen. Überall ja auch nicht, erwiderte die Frau ein wenig beleidigt, während sie sich eine braune Strickjacke anzog, er müsse halt gucken, wo er die Karre hinstelle könne, aber auf dem Hof sei es auf jeden Fall sicherer, als auf der Straße, schon wegen des Hundes, der zwar manchmal schlafen würde, aber sonst doch ein guter Wächter sei. Ob sie zum Auto mitgehen solle, will sie wissen. Er sagt, das sei nicht nötig, es seien ja nur ein paar hundert Meter. Aber der Wind, hält sie ihm vor, der könne ihn wieder davon fliegen lassen und nur sie könne ihn festhalten, dabei stapft sie mit ihren kompakten Beinen auf den Fußboden und lacht.

Sie gehen nach draußen. Der Regen hat nachgelassen und auch der Wind ist nicht mehr so mörderisch, trotzdem sagt sie noch einmal, er solle aufpassen, dass ihn der Sturm nicht wieder umhaue. Er ist wegen des Huhns doch ein wenig neugierig geworden und geht mit ihr um das Haus herum und schaut zu, wie sie in den mit Maschendraht abgesperrten Hühnerhof tritt und beobachtet, wie sie routiniert ein laut gackerndes, mit den Flügeln schlagendes Huhn einfängt, hört noch, wie sie ihm zuruft, das hier sei besonders fett, sieht auch noch, wie sie auf einen Hackklotz zu geht, das flatternde Huhn in der einen Hand und mit der anderen nach einem Beil greifend. Aber dann dreht er sich um und geht rasch davon, er will nicht mit ansehen, wie dem armen Tier der Kopf abgehackt wird. Das Auto steht noch genauso da, wie er es verlassen hat. Bevor er die paar Dutzend Meter zu dem Haus fährt, will er noch einen Blick auf dieses Dorf werfen, dessen Bewohner so unfreundlich zu seiner Gastgeberin sind. Aber er sieht nicht viel, ein paar verstreute Häuser, eine Art Kiosk oder Handlung, eine Straßenkreuzung, von einem Hotel oder Gasthaus keine Spur. Er will schon zurück, da fällt ihm noch rechtzeitig ein, in dem Geschäft zu fragen, ob es Bier oder Wein gibt. Das junge Mädchen hinter der Theke bejaht, sie habe beides, Wein und Bier, allerdings nur Rotwein, wie sie auf seine Nachfrage bedauernd feststellt. Er nimmt zwei Flaschen von der besten und zu gleich einzigen Sorte und dazu noch zwei Flaschen Bier. Bier gibt es nur in Literflaschen, genauso wie den Wein. In einem Korb sieht er noch ein Brot liegen und kauft es auch.

Er fährt diesmal vor das Gatter, öffnet es und stellt das Auto direkt vor das Haus, ohne weiter auf die Glasscherben zu achten. Der Hund bellt, aber als er aussteigt, winselt er freudig, ein Hund, der schnell lernt und leicht Bekanntschaften schließt. Die Frau hat rasch gearbeitet, denn als er in die Küche kommt, ist das Huhn bereits fertig gerupft und zerteilt und wird gerade in eine große, eiserne Kasserolle gelegt, Kartoffeln und Gemüse sind vorbereitet. Das Ganze wird von einem traurigen Sänger in der Flimmerkiste beobachtet, der einen ebenso traurigen Tango zum Besten gibt. Er stellt die Getränke und das Brot auf den Tisch. Die Frau freut sich, es sei muy bueno, dass er an so etwas gedacht habe, denn Wein habe sie nie im Haus, Wein würde sie nur trinken, wenn sie jemand dazu einlädt, aber wann würde sie schon mal jemand einladen. Auch das Brot sei gut, für das Frühstück, denn sie habe nur noch altes, trockenes im Haus und das könnten jetzt die Hühner bekommen. Während sie sich weiter mit dem Huhn beschäftigt, das bestimmt kein Brot mehr bekommen wird, zieht er den Korken aus einer der Weinflaschen. Zum Glück hat er immer ein Taschenmesser bei sich, eines dieser praktischen Helferlein, ohne die ein Mann nicht auskommt. Während er die Gingläser mit Wasser ausspült denkt er, dass also auch die Übernachtung im Grand Hotel mit Frühstück beschlossene Sache ist, genauso wie das Bad beschlossen war, noch ehe er irgend etwas sagen konnte und bei den sonstigen inklusiven Vergnügungen wird er vermutlich auch gar nicht gefragt. Aber wo hätte er auch hin sollen? Zum Weiterfahren ist es zu spät und auf eine ungemütliche Nacht im Auto kann er gut verzichten, vor allem bei der Alternative, die ihm hier lacht, nein danke. Dann fällt ihm ein, dass er noch einiges aus seinem Koffer braucht, zumindest seine Zahnbürste und eine andere Hose. Er geht noch einmal zum Auto. Der Hund kennt ihn und winselt freudig. Er stellt den Koffer auf den Fußboden, öffnet ihn und kramt nach der Ersatzhose, die er zu dem Festmahl anzuziehen gedenkt, dabei stößt er auf eine Tafel Schokolade und legt sie auf den Tisch, der perfekte Nachtisch.

Dann ist es soweit. Das Huhn schmort. Es besteht kein Grund mehr, die warme Wohnung zu verlassen. Das Auto steht vor der Tür und wird von dem freundlichen Hund sicher bewacht. Der gemütliche Teil des Abends kann endlich beginnen, mit einem Glas Wein, ganz wie in einem Kitschroman. Die Frau hat ihre Schürze wieder abgelegt, sich an den Tisch gesetzt und bewundert die Schokolade. Er nimmt eines der Gläser, füllt ein wenig Wein ein und kostet ihn. Er schmeckt ganz gut, sagt er zu der Frau, die ihre Hand ausstreckt und auch einen Schluck haben will. Er füllt beide Gläser und gibt ihr eins, dann hält er seines bedeutsam in die Höhe und schickt sich an, eine kleine Rede halten, sich für alles zu bedanken und auf das Wohl seiner Retterin trinken. Aber die Frau unterbricht ihn. Solch ein Gelaber könne sie jetzt nicht gebrauchen, sie hätten genug getrödelt, jetzt wolle sie zur Sache kommen. Er denkt, sie redet vom Weintrinken, denn sie leert ihr Glas mit einem Zug. Aber sie denkt an etwas anderes und will endlich dieses andere und bevor er die neue Lage so richtig begreift, steht sie auf, fasst ihn an einer Hand und zieht ihn in das Schlafzimmer, das er bisher noch nicht betreten hat. Er kann noch rasch einen Schluck Wein trinken und das Glas auf den Boden neben dem Bett stellen, dann wird er auch schon auf das Laken gedrückt und die Frau fängt an, ihn auszuziehen, schnell und systematisch, die Schuhe, die Socken, den Pulli, die zerrissene Hose und ohne zu zögern auch die Unterhose. Bevor er sich rühren, bevor sich in ihm etwas regen kann, bevor er dasselbe tun kann, was sie mit ihm macht, ausziehen, küssen, grabschen, sich aufgeilen, hat sie sich ihre paar Kleidungsstücke schon selbst abgestreift, die lila Bluse, den bunten Rock, die Liebestöter, alles wirft sie hastig und in großer Eile auf den Fußboden und stürzt sich erneut auf ihr Opfer, diese Gottesanbeterin, diese Spinnenfrau, die drauf und dran ist, ihr Spinnenmännchen zu verschlingen, kaum dass es seine Pflicht erfüllt hat. Diese Frau, weiß was sie will und das was sie will, muss rasch geschehen. Sie geht ohne Umschweife, direkt und forsch zur Sache.

Von romantischer Annäherung, von gradueller Steigerung der Begierde, von allmählich aufkeimender Erotik hat diese Frau aus der Pampa wohl noch nie etwas gehört. Sie ist wild und gierig, als ob sie monatelang keinen Mann mehr gehabt hätte. Sie will kein Schmusen, keine Liebkosungen, keine spielerische Annäherung, keine erotische Raffinesse, kein Getändel, keine Sanftheit, kein Vorspiel. Sie ist absolut egoistisch und es scheint ihr völlig egal zu sein, ob er, auf den es doch auch ankommt, überhaupt auf ihr direkte Spiel eingehen will oder ob er schon bereit ist oder doch noch eine Weile braucht, um auf Touren zu kommen. Er fühlt sich regelrecht vergewaltigt von diesem unbeherrschten Kraftpaket. Kaum dass sie neben ihm liegt, umfasst sie ihn mit ihren Armen, schlingt ihre Beine um die seinen, drückt ihren Körper an ihn und durch den Druck fangen die Wunden an seinen Händen und Knien an zu schmerzen und dieser Schmerz trägt sicher mit dazu bei, dass bei ihm keine rechte Freude an dem Spiel aufkommen will. Sie merkt, wie er zurück zuckt und ringt sich doch noch zu einer Art Vorspiel durch. Sie küsst ihn mit gieriger Verzweiflung. Doch auch bei dem Kuss gibt es keinen Hauch von Zärtlichkeit. Kaum hat sie ihre Lippen auf seine gepresst, öffnet sie diese und steckt ihre Zunge weit in seinen Mund, führt sie tief hinein, fast bis in den Rachen, wühlt und tobt, keucht und sabbert und dann ist die heiße Kussphase auch schon zu Ende und ihr Mund löst sich wieder, ohne dass er in Aktion hätte treten könne, ohne dass er in ihrem Mund irgend etwas hätte bewegen können. Statt zu küssen, flüstert sie nun unverständliche Worte und zerrt an ihm, bis er sich auf die Seite legt. Dann bedrängt sie ihn erneut mit ihrem Leib und drückt ihren dichten Busch an seinem Bauch. Noch ehe er die neue Lage so richtig begreifen kann, noch bevor er selbst etwas substantielles zu der anstehenden Vereinigung beitragen kann, bis auf ein paar zaghafte Streicheleinheiten auf ihrem Rücken und einen schüchternen Griff an ihre Brust, fasst sie nach seinem besten Stück, packt es reichlich brutal, knetet, reibt und zerrt und steckt es, noch bevor es überhaupt zur vollen Größe aufblühen konnte, in ihren dichten Busch und fängt auch schon an, zu stoßen und zu schieben, wild zu drücken und sich rhythmisch hin und her zu bewegen. Das alles geschieht zunächst in der wenig Lust vermittelnden Seitenlage, bis auch sie merkt, dass es anders vielleicht besser geht und nimmt einen Stellungswechsel vor, der ihre Dominanz noch besser zur Geltung bringt. Sie rutscht erst von ihm weg, dreht ihn um, nicht er dreht sich um, sie dreht ihn um, dann legt sie sich auf ihn, sucht und findet auch wieder etwas, das sie in sich hineinstecken kann, wenn auch nicht viel und fährt sofort fort, ihr neue Unterlage mit voller Inbrunst zu beackern, mit kleinen, raschen, an Kaninchensex gemahnenden Stößen ihres Unterleibs, während sie ihre Brust auf seine drückt und ihre Arme sich um seinen Oberkörper krallen. Alles geht von ihr aus, jede Bewegung, jede Initiative, jede Aktion. Er liegt still da, rührt sich kaum, passt sich nur ihrem Tempo und ihrem Rhythmus mit kaum fühlbaren Beckenbewegungen an. Er wundert sich und fürchtet zugleich, dass sein halb aufgerichtetes Glied, das durch ihre Hektik kaum an Größe gewonnen hat, aus diesem tobenden Unterleib rutscht und seine Blamage vollkommen macht. Seine Untätigkeit irritiert aber die Frau anscheinend nicht, denn rasch stellt sich bei ihr der Orgasmus ein, sie zuckt und zittert und stöhnt und stößt kleine Schreie aus. Dann hat sie ihren Höhepunkt auch schon erreicht, schüttelt sich wild, wirft den Kopf in den Nacken und stößt nun die großen Schreie der Lust aus. Es sind stöhnende, fast verzweifelte Schreie, die sich aus ihrem Innersten lösen und im Schlafzimmer, ja im ganzen Haus nachhallen und wohl auch draußen zu hören sind, denn sie werden von dem Hund mit intensivem Jaulen und Bellen und von den Hühner mit aufgeregtem Gegacker beantwortet, nur der Hahn schweigt. Auch der Mann unter ihr schweigt, der trotz oder wegen der geballten Lust und der gierigen Extase dieser ausgehungerten Frau kaum in der Lage ist, einen eigenen Höhepunkt zu erreichen. Doch zu Glück, noch ehe ihre wilden Lustschreie ganz verklungen sind, geht ein leises Beben, ein kurzes Zucken durch seinen Leib, seine Hände krallen sich nun auch um ihren Rücken, seine Atemfrequenz nimmt zu und dann ist dieser Höhepunkt, der seinen Namen kaum verdient, auch schon erreicht und sofort überschritten. Kaum hat sich sein schwaches Fleisch ein wenig aufgebäumt, fällt es wieder in sich zusammen, kaum hat das Mannesorgan seine Pflicht getan, ist der Akt für Mann und Maus erledigt. Obwohl die Unersättliche merken muss, wie es in ihr abschlafft, wie der Atem ihres Beischläfers wieder ruhiger wird, wie seine ohnehin spärlichen Bewegungen noch lendenlahmer werden und bald ganz nachlassen, wie seine Arme sich von ihr lösen, wie unter ihr einfach kein Verlangen mehr zu spüren ist, gibt sie noch nicht auf. Sie drückt und presst weiter mit Becken, Schenkeln und Brüsten. Dann versucht sie eine andere Taktik, löst sich von ihm, streichelt seinen Körper mit ihren Händen, hält seinen Kopf, beginnt noch einmal zu küssen, diesmal sanfter, ja fast zärtlich und stößt bei all diesem Tun gurrende Laute aus. Als er trotz der inbrünstigen Bemühungen, trotz ihres klaren, eindeutigen Wunschs nach mehr, nicht reagiert, sich nicht regt, nur stock und steif da liegt, leider nicht steif, wo es in dieser Situation erforderlich wäre, verkrampft sich ihr Körper wieder, krallen sich ihre Hände, alle Zärtlichkeit abschüttelnd, erneut in sein Fleisch, graben sich in seine Schultern, in seine Oberarme. Ihr Gesicht verzerrt sich, Wut springt ihn aus ihren Augen an, sie fängt an zu schimpfen und zu schreien, dass sie mehr wolle, mehr Glück, mehr Liebe, dass er ein erbärmlicher Schlappschwanz und Versager sei, der abhauen solle, der in ihrem Bett nichts verloren habe. Endlich muss sie akzeptieren, dass der Akt vorbei ist, dass nichts mehr geht und nichts mehr kommt, dass sie nichts mehr erwarten und er ihr beim besten Willen nichts mehr geben kann. Sie löst sich stöhnend von seinem Körper, rollt von seinem Leib, liegt neben ihm, dreht ihm sofort den Rücken zu, wühlt sich in das Laken, beißt in das Kopfkissen und fängt an zu schluchzen und zu weinen.

Mit der Zeit beruhigt sie sich halbwegs, hört auf zu heulen, dreht sich sogar wieder zu ihm hin, will wissen, ob jetzt wirklich nichts mehr ginge, ob sie es nicht doch noch einmal versuchen sollten. Bei diesen Worten wird sie zum zweiten Mal an diesem Abend zärtlich, fängt an, ihn zu streicheln, sich an ihn zu schmiegen, mit ihren Lippen seine Brust zu erforschen. Nein, er ist deprimiert, fühlt sich als Versager, schämt sich, zweifelt an sich selbst. Nein, jetzt gehe wirklich nichts mehr, vielleicht später, vielleicht morgen, jetzt aber nicht. Sie will immer noch nicht aus dem rosaroten Himmelreich in die triste Realität zurückkehren, fängt wieder an zu zetern und zu hadern, aber nicht mehr so laut und nur kurz. Dann wird sie ganz ruhig, hört auf zu schluchzen und zu schniefen, atmet tief durch und findet sogar ein paar Worte der Entschuldigung, weil sie so dummes Zeug geredet habe. Für das Gerede könne sie nichts, so sei sie eben, sie könne einfach nicht genug kriegen, wenn mal ein Mann bei ihr sei, dann würde das immer passieren, da könnte der Mann so gut sein, wie er wolle. Die blöde Sache hätte nichts mit ihm zu tun, nur mit ihren heftigen Emotionen, er sei ja ganz gut gewesen, nach dem Schock am Nachmittag und den vielen Verletzungen und weil er sie ja gar nicht kenne. Dann hört sie auf zu reden, richtet sich auf und befindet, dass sie jetzt eine Pause machen sollten, jetzt sei auch das Huhn fertig und sie könnten mit dem Essen anfangen und dann könnten sie es ja vielleicht noch einmal versuchen, wenn er sich erholt habe und gestärkt sei. Sie steht auf, nimmt einen verschlissenen, blauen Morgenrock, der an der Wand hängt und geht in die Küche. Er solle sich erholen, sie würde ihn rufen. Er ist froh, dass er etwas Zeit für sich hat, bleibt erschöpft liegen und fragt sich die ganze Zeit, warum es so schlecht gelaufen sei, warum er diese wilde Frau nicht bändigen oder befriedigen konnte und ob das Desaster vielleicht am Alter liegt. Dann schaut er sich in dem Zimmer um, dessen Einrichtung er bei dem stürmischen Betreten gar nicht richtig wahrnehmen konnte. Das Bett ist groß, ein Ehebett mit harten, durchgelegenen Matratzen, einem mittlerweile zerwühlten Laken, einer Decke, die neben dem Bett auf dem Fußboden liegt, daneben ein Kopfkissen mit Blümchenmuster, das dem auf ihrem kurzen Rock ähnelt. Über dem Kopfende des Betts hängt ein Teppich, ein gewebtes Bild. Es zeigt eine Bergszene mit einem kraftstrotzenden, röhrenden Hirsch. Es sind dieselben schmuddeligem Grün- und Brauntöne, wie draußen in der Pampa, in der Einsamkeit, in der diese liebeshungrige Frau zu leben gezwungen ist. Nachdenklich schaut er sich das Bild an, während er aufsteht und sich anzieht und fragt sich, was noch alles auf ihn zukommen würde, in dieser Nacht, außer dem geschmorten Hühnchen. Dann sieht er das noch fast volle Glas mit Rotwein auf dem Fußboden und trinkt es aus.

Das Hühnchen schmeckt ausgezeichnet, beide essen mit Appetit und Behagen. Die Frau hatte in den Schmortopf Kartoffeln und Gemüse dazu gegeben und einige Kräuter und Gewürze und so eine delikate Beilage mitsamt Soße gezaubert. Zudem hatte sie, wohl in der Zeit, als er noch im Bett lag, sogar einen Nachtisch zubereitet, eine Zabaione aus rohem Eigelb, viel Zucker und einem Schuss Rotwein, dekoriert mit seinen Schokoladestückchen. Leider ist er von dem er Nachtisch nicht so recht begeistert, er ist viel zu süß und er braucht etlichen Rotwein, um das Zeug hinunterzuspülen, aber er will ja nicht unhöflich sein. Sie trinken den Rotwein aus den Wassergläsern, aus denen sie auch schon den Gin getrunken haben, vermutlich die einzigen Gläser der Gastgeberin. Die angebrochene Flasche Malbec reichte gerade für das Huhn, für den Nachtisch öffnet er die zweite. Während der Pegel in der Flasche abnimmt, werden beide immer lauter, immer fröhlicher und bald plappern sie nur noch unsinniges Zeug. Als auch die zweite Flasche leer ist, kocht sie einen Kaffee und er füllt die Gläser mit dem gnadenlos harten Gin, Cognac oder Whisky gibt es in dem Grand Hotel leider nicht, er sei gerade ausgegangen, ruft die Frau gut gelaunt aus der Küche und anschließend sind sie vollends aufgekratzt und in bester Stimmung. Leider hält diese nicht sehr lange vor, denn auf einmal beginnt der Wein und das gute Essen und die angenehme Wärme im Raum und die mittlerweile vertraute Nähe und Zweisamkeit zu wirken und macht sie schläfrig. Zuerst wird die Frau müde. Sie hat sich breitbeinig auf das Sofa gesetzt, streckt alle Viere von sich, räkelt sie sich ziemlich ungeniert, ihr blassblauer Morgenmantel klafft auf, sie merkt es nicht oder es stört sie nicht und er sieht, mit neuem Interesse, ihren Busen und diesen unglaublich dicken, tiefschwarzen Busch. Dann gähnt sie mehrfach, reißt den Mund weit auf, ohne die Hand davor zu halten und stößt jedes mal einen satten, zufriedenen, irgendwie wollüstigen Laut aus. Nach jedem Gähnanfall wischt sie sich Tränen aus den Augen und hat anschließend gehörige Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Auch er fühlt, wie eine wohlige Müdigkeit in ihm aufkommt, ihn umgarnt, ihn einlullt, ihn zu vereinnahmen sucht. Aber noch ist es viel zu früh, um schlafen zu gehen, denn dann steht er mitten in der Nacht auf der Matte, er kennt sich doch. Und außerdem ist ja noch gar nicht geklärt, wo er überhaupt sein Haupt betten soll. Im Schlafzimmer? Lieber nicht. Dort schläft ja sie und er fürchtet, trotz der leise aufkeimenden Lust beim Anblick am Morgenrock vorbei, dass sie trotz der Müdigkeit das Spiel, wie angedroht fortsetzen könnte und sein Stehvermögen erneut prüfen würde und dazu fühlt er sich im Moment absolut nicht in der Lage, nach dem opulenten Essen und dem vielen Rotwein und Gin. Er fühlt sich nur schlaff und schläfrig und ist alles andere alles paarungswillig. Auf das Sofa kann er auch nicht, da hat sie sich breit gemacht und wenn er sie vertreibt, kommt sie womöglich genau auf diese Gedanken. Was soll er tun, um sich abzulenken und um die Zeit zu vertreiben? Da kommt ihm die Idee, die Frau und ihre Wohnung in ein paar Bildern festzuhalten. Jetzt bietet sich eine prima Gelegenheit, die will er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er nimmt den Fotoapparat aus der Parka, schaltet ihn ein und schaut prüfend auf das Objektiv. Dann drückt er ab und betrachtet das Monitorbildchen: das grüne Sofa, auf diesem mit breiten Beinen, den bläulichen Bademantel mehr als halb geöffnet, die müde Frau. Ein Bild einerseits voller Erotik, andererseits voller Tristesse und ohne jeden Charme. Trotzdem ein guter Schnappschuss, denkt er und stellt zugleich befriedigt fest, dass die Kamera den Sturz in den Busch ohne Schaden überstanden hat. Er steht auf und beginnt zu fotografieren. Als erstes noch ein paar Bilder von der dösenden Frau, dann den Wohnraum, die Küche und schließlich das Schlafzimmer mit dem röhrenden Hirsch und dem zerwühlten Bett, ein etwas zweifelhaftes Erinnerungsfoto, findet er.

Irgendwann merkt die Frau doch, was er da so treibt. Sie ist sofort hellwach und höchst interessiert. Warum er nicht schon früher seine Kamera gezeigt habe. Ob er jetzt Bilder von ihr gemacht habe. Ob sie die sehen könne. Er zeigt er ihr die Bilder auf dem kleinen Monitor. Sie ist entsetzt und begeistert. Ach Gott wie schrecklich, so müde, so zerzaust und der offene Morgenrock, ach wie schrecklich. Ob er nicht bessere Bilder von ihr machen könne. Sie so auf dem Sofa zu knipsen, dass hätte er nicht machen dürfen. Er fürchtet schon, zu weit gegangen zu sein, sie in ihrem Schamgefühl verletzt zu haben und murmelt etwas von Entschuldigung und steckt die Kamera wieder in die Parka. Nein, ruft sie, er solle nicht aufhören, sie doch nicht prüde und zu verbergen hätte sich nichts. Es sei nur wegen des alten Bademantels, der würde ihr nicht gefallen und weil sie eben so müde war, so hässlich, ungekämmt und ohne Schminke, einfach nicht schön genug. Sie sei doch nicht hässlich, oder? Sie sei doch immer noch ganz hübsch, oder? Er stimmt eifrig zu. Wenn er wolle, fährt sie fort, könne er ruhig mehr Bilder von ihr machen, aber ohne den Bademantel. Noch während sie das sagt, steht sie auf, zieht den zerschlissenen Mantel aus, wirft ihn auf den Fußboden und steht nun nackt und bloß vor ihm und fängt sofort an zu posieren. Er macht ein paar Bilder, dann sagt sie, er solle warten, geht in die Küche, kämmt sich, fährt die Lippen nach, wühlt in dem Kleiderschrank und zieht sich, er ist ehrlich erstaunt, sehr rasant wirkende Unterwäsche an, einen roten Tangaslip und einen sehr knappen, dazu passenden Push-BH. Sie sieht richtig gut aus, gar nicht mehr wie eine verdorrte Pflanze in der Einsamkeit der Pampa, fast wie eine Professionelle aus den einschlägigen Vierteln von Buenos Aires. Nun nimmt sie alle möglichen Stellungen ein, stehend, auf dem Sofa sitzend, auf dem Sofa liegend, sich auf dem alten Fußbodenteppich wälzend. Und er nimmt sie in all diesen Positionen auf, fotografiert sie von vorne, von hinten, von oben, von unten, frontal, von der Seite, en gros und en detail. Sie hat die Ideen, zieht sich verschiedene Kleidungsstücke an, enge Jeans, sogar eine Art Braukleid, dann wieder Gummistiefel und Latzhose. Sie weiß sich in allen Rollen zu präsentieren und genießt ihre Rolle als Fotomodell, als ob sie schon immer darauf gewartet hätte, eine Rolle, die sie sicher noch nie gespielt hat und vermutlich nie mehr spielen wird. Er genießt es, wenn sie schmollend, schmunzelnd, schmachtend, lachend in die Kamera schaut, läuft ihr nach, wenn sie durch das Zimmer hüpft, legt sich auf den Boden, wenn sie hin und her springt, baut sich frontal vor ihr auf, wenn sie sich dreht und wendet und die Arme hinter dem Nacken verschränkt. Er sucht Abstand, wenn er sie Format füllend aufnehmen will, wie sie herumtänzelt, dabei mit ihrem Hintern wackelt und den Busen hoch reckt. Und er rückt ihr dicht auf die Pelle, wenn nur ihre Augen, ihr Mund, dieser Reckbusen oder der Wackelhintern das Bild ausfüllen sollen. Sie hat die Ideen, sie agiert, er feuert sie lauthals an, noch mehr zu tun, immer mehr zu geben, immer mehr zu zeigen. Sie tut es, lacht dabei, ihr kehliges Lachen, ist ausgelassen und fröhlich. Ihm bleibt nur, abzudrücken, immer wieder abzudrücken und zu bedauern, dass er keine bessere Kamera dabei hat, eine mit der man wirklich gute Bilder machen könnte, nicht nur diese Schnappschüsse. Aber die Qualität der Bilder und die fehlende Profikamera stellen für die Frau überhaupt kein Problem dar. Sie weiß vermutlich nicht einmal, dass es bessere Kameras gibt oder dass man noch bessere Bilder machen könnte, denn zwischendurch, wenn sie eine Pause machen und er ihr die Bilder auf dem Monitor zeigt, ist sie stets aufs Neue selig und entzückt. Sie äußert sich in höchsten Tönen, mit spitzen, kleinen Schreien, auch wenn, wegen des schlechten Lichts, nur helle und dunkle Streifen und diffuse Schatten zu erkennen sind.

Während der Aufnahmen geraten beide in immer größere Erregung. Er wird immer hibbeliger, wenn sie sich rücklings, mit gespreizten Beinen auf einen Stuhl setzt, sich ausgiebig auf dem Sofa wälzt oder ihren Busen mit einer Art durchsichtigen Gardine kaum verhüllt. Sie erregt sich bei jeder neuen Pose, die er beklatscht, bei jeder Aufforderung, noch mehr zu geben und bei jedem Lob, wie gut, wie einmalig sie sei. Nachdem sie alle möglichen Posen durchgespielt haben, sind beide ein wenig außer Atem und auch ein wenig ratlos und wissen nicht so recht, was sie noch tun sollen. Die Frau schlägt sogar vor, in das kalte Wasser der Badewanne zu steigen und als Nixe zu posieren. Das kalte Wasser mache ihr nichts aus, versichert sie und er glaubt es sogar. Aber nach einem Blick auf den verbliebenen Speicherplatz muss er ihren Vorschlag bedauernd ablehnen, alle Speicherkarten, die er dabei hat, sind voll und er hat keine Möglichkeit, sie wieder leer zu machen. Sie versteht sein Problem nicht so ganz und schlägt vor, einfach den Film zu wechselt. Er quittiert ihren zweiten Vorschlag mit einem müden Lächeln, geht nicht weiter darauf ein und fängt auch nicht an zu erklären, dass bei digitalen Kameras alles anders sei. Aber auch sie hat anscheinend genug gegeben, denn unverhofft, noch echauffiert von dem unverhofften Glück, das ihr widerfuhr, immer noch ein wenig atemlos von dem wilden agieren, mit gerötetem Gesicht und flackerndem Blick macht sie einen ganz anderen Vorschlag. Komm, sagt sie, dann versuchen wir es noch einmal, fasst ihn bei der Hand, zerrt ihn erneut in das Schlafzimmer, drückt ihn wieder auf das breite Ehebett mit dem zerwühlten Laken. Er ist wieder überrumpelt, hat kaum Zeit, die Kamera auf den Fußboden zu legen und schon geht das ungestüme Spiel unter dem röhrenden Hirsch erneut los, dasselbe gierige Grapschen nach Männerfleisch, dieselben ungeduldigen Versuche, eine Wiedervereinigung zu erzwingen. Doch es gibt nichts zu vereinen, es gibt nichts, was sich in ihm regt, es geht einfach nichts mehr und durch diesen Überfall schon gar nicht. Das Strohfeuer der Erregung, das ihn beim Bademantelblick und dann bei ihren freizügigen Posen gepackt hatte, ist verlöscht. Er ist zu einem zweiten Ritt einfach nicht in der Lage, er ist schlichtweg überfordert und alle wilden, verzweifelten Anstrengungen seiner Nachtbraut, seiner heißblütigen Geliebten einer Nacht sind vergebens. Keuchend, erschöpft und frustriert lässt sie nach einer Weile von ihm ab, hört auf, ihn zu bestürmen und zu besteigen, vergisst sogar ihn zu beschimpfen. Mag sein, dass ihre Resignation schon zu groß ist, mag sein, dass sie nach dem Rotwein und dem wilden Fotografieren nun auch zu müde ist. Sie lässt jedenfalls von ihm ab, legt sich neben ihn und kurz darauf ist sie eingeschlafen.

Er hat natürlich schon wieder oder immer noch ein schlechtes Gewissen, fühlt sich als Spielverderber und Versager, als seniler Greis oder impotente Schwuchtel, jedenfalls als einer, der eine Frau nicht mehr befriedigen kann. Aber mehr noch als diese Schmach, treibt ihn die Versagensangst vor dem nächsten Mal um. Ihm wird schlecht bei der Aussicht, dass das ganze Spiel am nächsten Morgen noch einmal stattfinden könnte. Als er nun zur Ruhe kommt, schlägt sich die Angst auf Magen und Darm und es fängt in ihm an zu brodeln und zu rumoren. Solche psychosomatischen Effekte auf den Verdauungstrakt sollen ja alles andere als selten sein, hat er einmal gelesen. Doch dass sie so rasch, so heftig werden können, hätte er nicht gedacht. Da fällt ihm ein, dass ihn eigentlich schon die ganze Zeit eine leicht Unpässlichkeit geplagt hat. Schon während des Herumalberns und des Fotografierens hatte er gespürt, wie es in seinem Bauch grummelte, das Gefühl aber erfolgreich verdrängt. Sind die immer heftiger werdenden Konvulsionen doch auf das Essen zurückzuführen? War es das Huhn oder war es die unsägliche, beschissene Zabaione aus rohen Eiern, die er besser verschmäht hätte und die ihm sowieso nicht geschmeckt hatte. Rohe Eier denkt er, na klar, ich Idiot.. Er muss ganz dringend das Separée neben dem Hühnerstall aufsuchen. Das Huhn fliegt mit Radau durch seine Gedärme und will raus, raus aus dem mit Rotwein geschwängerten, durch die Zabaione versauten Gefängnis, egal, ob oben oder unten. Er steht eilends auf, sucht die Taschenlampe, schlüpft in die Hose und die Schuhe, streift den Pulli über und zieht, bereits im Freien, den Parka über. Er rennt an dem träumenden Hund und den schlafenden Schwestern seiner tobenden Henne vorbei und erreicht gerade noch rechtzeitig den Abtritt, um sein Geschäft lautstark, aber ordnungsgemäß und nicht vorzeitig zu erledigen. Danach bleibt er erleichtert in der stressfreien Zone sitzen, bis ihn die Kälte der Nacht und der Wind, der immer wieder durch die undichte Brettertür bläst, zurück in das Haus treiben. Erleichtert stellt er fest, dass die Frau immer noch tief und fest schläft, überlegt sodann, ob er sich nicht vorsichtshalber doch auf dem Sofa einquartieren soll, zieht es dann jedoch vor, sich in ein warmes Bett zu legen. Sie wird ja wohl mitten in der Nacht nicht noch einmal mit ihren unersättlichen Spielchen anfangen, denkt er und zieht die Parka aus. Dann liegt er neben ihr und will sich sogar an sie schmiegen, was gibt es schöneres wenn man aus der Kälte kommt, als ein warmer Frauenkörper. Er braucht dringend ein wenig Wärme, nach der langen Sitzung auf dem Abtritt, aber die Angeschmiegte wendet sich von ihm ab, vielleicht unbewusst im Schlaf oder weil sie keinen Eisblock neben sich haben will. Immerhin dreht sie ihm den drallen Hintern zu und er umfasst diesen mit beiden Händen und wärmt wenigstens diese an ihrem heißen Körper.

Trotz der Wärme und der entspannten Nähe kann er lange nicht einschlafen. Die Gedanken an diesen seltsamen Tag halten ihn wach. Was für ein Wind! Was für eine Gewalt der Elemente! Welch Glück, dass diese verdammte Böe nicht sein Auto während der Fahrt erfasst und irgendwo hin getrieben hat. Welch Glück, dass dieser verdammte Stachelstrauch ihn in seine Arme genommen hat. Er lauscht dem ruhigen, regelmäßigen Atem der Frau. Ab und zu zuckt ihr Körper, aber sie behält ihr Lage bei, der Hintern ragt in seine Richtung. Er kuschelt sich nun doch an sie, drückt seinen Leib an diesen Hintern, legt eine Hand auf ihren Bauch und seinen Kopf an ihren Nacken. Er fühlt die Geborgenheit der Zweisamkeit, aber schlafen kann er trotzdem nicht. Er ist es einfach nicht gewohnt, eine ganze Nacht bei einer anderen Frau zu sein, das kommt eigentlich nie vor. Kurze Begegnungen, ja, aber ganze Nächte, nein. Was für ein Glück, auch in dieser Hinsicht, diese Frau getroffen zu haben. Was für eine neue Erfahrung und natürlich, welch Geschenk des Himmels, ihre Hilfsbereitschaft und ihre Gastfreundschaft zu genießen, dafür kann man auch diese Belästigungen ertragen, diesen verzweifelten Hunger nach Liebe und so unangenehm kann Liebe niemals sein, als dass man sie nicht doch ersehne und etrüge. So zufrieden er mit dem Ausgang seines Unfalls ist, so froh er ist, eine Samariterin gefunden zu haben, so sehr er es schätzt, die Nacht bei einer Frau verbringen zu können, trotz ihrer Wildheit, ihrer unbeherrschten Gier, so unzufrieden ist er mit sich selbst. Die Gedanken, die ihm schon während der misslungenen Akte durch den Kopf gegangen waren, obwohl beim zweiten Mal sein Gehirn schon so umnebelt war, dass er kaum noch denken konnte, diese Gedanken, kommen nun, in der Phase der Ruhe und der Rückbesinnung, mit aller Macht zurück. Er hatte versagt, in den entscheidenden Momenten versagt, da gab es keinen Zweifel. Beim ersten Mal, als alles viel zu schnell ging und auch beim zweiten Anlauf, als er eigentlich bereit war und selbst wollte. Oder lag das Versagen doch am Alkohol? Hatte er einfach zu viel gesoffen und sich dadurch lahm gelegt? Oder war er mittlerweile zu alt für diese Art von Liebe? Oder es hatte nicht geklappt, weil er zu aufgeregt war, zu unkonzentriert, zu überrascht war? Oder waren es die Schmerzen an den Händen und den Knien, das verdammte Jod, die Gott verdammten Sturmfolgen, die ihn zu sehr abgelenkt hatten? Oder hatte ihn diese Frau, die wie ein Tropengewitter über ihn hereingebrochen war, die ihn umgeschmissen hatte, wie dieser ewig heulende Pampawind, wie die Böe, die ihn gepackt und geschüttelt und niedergeknüppelt hatte, hatte diese Urfrau ihn schlicht und einfach überfordert, ihn, mit anderen Worten, schlicht und einfach vergewaltigt? Hätte er sich vorbereiten sollen und die blauen Pillen, die Glückspillen, rechtzeitig schlucken müssen, die er für alle Fälle dabei, aber noch nie verwendet hat? Aber was heißt unvorbereitet? Solche Ereignisse plant man doch nicht, solche Erlebnisse kommen unvorbereitet, sie überkommen einen. Während seine Gedanken so dahin schweifen, zuckt die Frau an seiner Seite plötzlich zusammen und verändert ihre Stellung, nun presst auch sie sich an ihn, drückt ihren Hintern an seine Seite. Das scheint sie zu beruhigen, denn sie fängt an zu schnarchen, recht laut zu schnarchen, obwohl sie immer noch auf der Seite liegt. Doch kaum dass er die neue Lage, die neue Intimität genießt, fällt ihm plötzlich etwas Schreckliches ein, etwas, das er bisher ganz verdrängt hatte.

Siedend heiß fällt ihm ein, dass er kein Kondom verwendet hat. Obwohl, beim ersten Mal hätte er den Gummi gar nicht platzieren können, so schnell ging alles, so weich war alles und beim zweiten Mal hätte er ihn gar nicht gebraucht. Was ihn bestürzt, ist die Tatsache, dass er gar nicht dran gedacht hatte, dass er überhaupt nicht erwogen hatte, solch ein Ding zu verwendet, die Idee ist ihm nicht mal im entferntesten gekommen. Dieser Gedanke beunruhigt ihn sehr. Wie konnte diese Nachlässigkeit passieren? Ist das der Anfang von Alzheimer? Nein, das konnte nur passieren, weil ihn diese unersättliche Frau regelrecht überrumpelt hatte. Sie hatte sich auf ihn gestürzt und ihn zum Beischlaf gezwungen. Das fehlende Kondom, so versuchte er sich zu beruhigen, sei für ihn doch gar kein so großes Problem. Es sind doch die Frauen, die Probleme bekommen können, aber die hier, ist ja wohl alt und erfahren genug, um zu wissen was sie tut und was sie lässt. Doch der Gedanke ist zäh, er rumort in seinem Hirn, wie das Huhn in seinem Bauch rumort hatte. Und als er weiter sinniert, noch immer schlaflos, die Hand auf ihrem drallen Hintern, das Schnarchen im Ohr, das zum Glück inzwischen etwas leiser geworden ist, fallen ihm noch ein paar Dinge zu diesem Thema ein, die ihn weiter beunruhigen. Die Frau hatte doch von caballeros gesprochen und dass die nicht mehr kommen würden, seit es die autopista gibt. Damit kann sie doch nur Fernfahrer gemeint haben. Männer, die ihr diese Geschenke brachten und denen sie wohl auch ihre rudimentären Englischkenntnisse verdankt. Wo sollte sie eine fremde Sprache gelernt haben, bei ihrer Herkunft und bei der Gottverlassenheit, in der sie die ganzen Jahre lebt. Vielleicht waren unter den Fernfahrern auch Ausländer. Was transportieren Fernfahrer außer ihre Ladungen? Ja, richtig, Viren. Sie verteilen ihre Waren und zugleich verteilen sie AIDS im Land. Das liest man doch immer wieder. Es gibt doch genug Länder, in den Geschlechtskrankheiten und AIDS durch Fernfahrer und Prostituierte verbreitet werden. Gut, das ist kein Dritte-Welt-Land, aber ein Land mit Fernfahrern und die haben sie womöglich angesteckt, diese Nutte. Aber wie eine richtige Nutte sieht sie doch nicht aus und auch nicht, wie eine HIV-Verdächtige, so gesund und rund und drall, wie sie ist. Bei dem Gedanken, er könnte sich etwas geholt haben, nicht gleich AIDS, aber so ein Schanker reicht ja wohl auch, wird ihm ganz schlecht. Er löst sich von ihr, verlässt seine warme Höhle, geht in den Wohnraum, wühlt im Licht der Taschenlampe in seinem Koffer nach den Pillen und den Kondomen und legt sie neben das Bett, um für den Generalangriff am nächsten Morgen besser gewappnet zu sein. Er überlegt noch, ob es besser wäre, gleich eine der Lustpillen zu nehmen, trotz seiner Angst, trotz all der schrecklichen Gedanken, die gerade durch sein Hirn gefegt sind, so sind nun mal Männer, Weltmeister im Verdrängen, aber er lässt es, vor allem weil er fürchtet, dass die Wirkung zur Unzeit da wäre. Dann endlich, nach vielem Denken und Zweifeln findet er doch noch den ersehnten Schlaf.

Er wacht auf, als der Duft von Kaffee und geröstetem Brot seine Nase umschmeichelt. Er ist allein im Bett, die Tür des Schlafzimmers ist einen Spalt weit geöffnet und er hört, wie die Frau umher geht und herum hantiert. Seine Nachtgedanken, seine Ängste, fallen ihm sofort wieder ein. Soll er die Pille nehmen und warten, bis sie kommt? Soll er aufstehen, sich anziehen und dem Kaffeeduft nachgehen? Einerseits macht ihn der Gedanke an, mit dieser Frau noch einmal zu schlafen, dann aber richtig und wer weiß, vielleicht geht es in der Frühe besser, andererseits solch eine Blamage wie in der Nacht will er nicht noch einmal erleben. Die Angst ist unberechenbar und könnte ihn im entscheidenden Moment überfallen. So beschließt er, erst einmal zu frühstücken, die Lage zu sondieren und dann zu sehen, wie es weiter geht. Die Frau ist angezogen, sie hat dieselben leichten Kleider vom Vortag an und begrüßt ihn eher zurückhaltend, ohne Küsschen, ohne Anspielung auf den Abend und auf all das, was auch sie bewegt haben muss. Stattdessen erklärt sie, was er ohnehin schon sieht, dass sie gerade Frühstück mache und ob er ein Ei wolle. Dann fügt sie noch hinzu, dass es schon reichlich spät sei. Er nimmt dies als weiteres Signal, dass sie nicht noch einmal ins Bett kommen will und dass seine Ängste unbegründet waren. Während sie schweigend frühstücken, wundert er sich, dass sie so kühl und zurückhaltend ist, dass ihr Heißhunger auf Mann gestillt sein soll, obwohl sich noch eine Gelegenheit böte. Aber sie macht wirklich keinen Versuch, sich ihm zu nähern, sie verhält sich wie die Wirtin einer Pension, die ihrem Gast das Frühstück serviert. Einerseits ist ihm das ganz recht, andererseits wäre es vielleicht doch ganz schön, jetzt noch einmal, da er ausgeruht ist. Ob sie nur auf eine Initiative von ihm wartet? Aber sie sieht nicht danach aus, im Gegenteil, er fragt sich, als er ihr ziemlich finsteres Gesicht sieht, wie das alles am vergangenen Tag geschehen konnte. Sie frühstücken schweigend zu Ende, wie zwei Fremde, die zufällig am selben Frühstückstisch in einem Hotel sitzen. Und das sind sie sich ja auch, Fremde, denkt er. Dann sitzen sie noch ein Weilchen unschlüssig und verlegen herum, bis er meint, dass es nun tatsächlich spät und an der Zeit sei, zu gehen. Sie nickt nur, versucht ihn auch jetzt nicht, zu halten oder zu irgend etwas zu ermuntern. Sie fragt nicht einmal, ob er ihr ein paar Bilder schicken könnte, Bilder für die sie so fantastisch posiert hatte und von denen sie bestimmt gerne Abzüge hätte. Sie nennt weder ihre Adresse, noch fragt sie nach seiner. Verwirrt, irritiert und enttäuscht über diese kühle Distanziertheit, immerhin sind es ja erst ein paar Stunden her, seit sie es heiß und emotionsgeladen miteinander getrieben hatten, bietet auch er nichts dergleichen an. Dafür bietet er ihr etwas anderes an. Er holt aus seiner Hosentasche ein paar Geldscheine, eine Summe, die er im Schlafzimmer vorbereitet hatte und für angemessen hält, angemessen für die all-inclusive Nacht im Grand Hotel, auch ein Ergebnis seines nächtlichen Grübelns und gibt sie ihr. Kommentarlos und selbstverständlich, ohne sich zu bedanken, legt sie das Geld auf den Tisch und beschwert es mit der Kaffeetasse. Erst ein paar Tage später, als er aus seiner Bauchtasche, dem Vorratsbehälter für größere Geldscheine, etwas entnahm, sollte er merken, dass ein paar Scheine fehlten. Geld, das nur diese Frau entwendet haben konnte, nachts, als er endlich eingeschlafen war oder morgens, bevor sie Kaffee kochte. Er ärgerte sich nur kurz, der Verlust war für ihn nicht groß, für sie, für diese Nutte, wie er kurz und grimmig dachte, aber ansehnlich. Dann dachte er aber auch an die Samariterin und wie froh er war, dass sie ihm geholfen hatte und dass er ihr eigentlich viel zu wenig gegeben hatte, weil diese Hilfe alles andere als selbstverständlich gewesen war. Nein, durch diese Kleinigkeit, würde er sich seine Erinnerungen nicht trüben lassen. Auch bei dem zweiten Verlust, den er erst bemerkte, als sich Bedarf ergab, reagierte er gelassen. Er hatte die Kondome und die blauen Pillen im Schlafzimmer liegen lassen.

Aber diese Gedanken bewegen ihn noch nicht, als er ihr im Türrahmen zum Abschied Küsschen auf die Wangen gibt. Er murmelt ein paar Abschiedsfloskeln, sie antwortet genauso emotionslos. Der Hund ist ebenfalls erschienen. Er gähnt und wedelt freundlich mit dem Schwanz, erst als er mit dem Auto langsam auf die Straße rollt, bellt er und zerrt an seiner Kette. Die Frau steht immer noch in der Tür und winkt. Sie sieht genauso aus, wie am Tag vorher, als er sie um Einlass und um Wasser bat. Nur das Wetter ist besser. Die Sonne scheint, ein paar unschuldige Wolken zeigen sich am Himmel, der Wind hat sich fast völlig gelegt. Ein schöner Tag liegt vor ihm.


Diese Erzählung ist als print on demand book und e-book unter dem Titel "Yupag Chinasky - Verirrungen" bei www.epubli.de erschienen und kann im Internet auch bei anderen Anbietern z.B. Amazon bezogen werden.

Wind - Teil 2

© Yupag Chinasky


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