Die Versuchung

© yupag chinasky

Sie stand am Straßenrand im Schatten eines Baumes und hob die Hand. Als er anhielt und sie einstieg, sah er ihr an, wie erleichtert sie war. Es war kein Vergnügen in der Mittagshitze hier zu stehen und auf Autos zu warten, die nur selten vorbeikamen. Er war froh, dass der gemietete Toyota eine Klimaanlage hatte und auch das Mädchen genoss sichtlich die Kühle. Obwohl verschwitzt und etwas mitgenommenverbreitete sie den Charme der Jugend, obwohl ihr Gesicht nicht einmal besonders hübsch war und die kurzen, zu einem Pferdeschwanz gebunden Haare, die Attraktivität nicht gerade erhöhten. Genauso wenig wie ihre spärliche, ja ärmlichen Garderobe, die gerade mal aus einem sehr kurzen, rosa Rock, einem dunkelblauen, verwaschenen Top mit Spaghettiträgern und abgetragenen Flip-flops bestand. Auf der Vorderseite des Tops stand etwas, das er aber nicht entziffern konnte. Am auffälligsten an dem Mädchen, ja geradezu überraschend, war ein kleiner Diamant in einem Schneidezahn, der aufblitzte, wenn ihn ein Sonnenstrahl traf. Er wunderte sich, dass dieses Mädchen sich so etwas leisten konnte.
 
Nachdem sie eine Weile gefahren waren, verspürte er Durst und als eine Tankstelle kam, bog er von der Straße ab. Sie gingen in den Kiosk und er bestellte eiskalte Colas. Sie trank schnell und gierig und gab ihm zu verstehen, dass sie Cola sehr mochte. Als er ihren sehnsüchtigen, auf eine Glasvitrine mit Snacks gerichteten Blick bemerkte, bestellte er, ohne sie zu fragen, eine kalte Pizza und noch zwei weitere Colas. Während sie aß, steckte er sich die Kopfhörer seines Smartphones in die Ohren. Ein neues, sündhaft teures Spielzeug, ein kleines Wunderding, mit dem man telefonieren, photographieren und im Internet surfen konnte. Letzteres war allerdings in diesem Land überflüssig, da es so gut wie keine Verbindungen in das weltweite Netz gab. Das Mädchen schaute interessiert hin und er erklärte ihr stolz die diversen Funktionen, zeigte ihr Bilder, ließ sie Musik hören und erwähnte dabei, dass solch ein Gerät in seiner Heimat sehr viel Geld koste und es hier sicher nicht erhältlich sei. Dann machte er ein paar Bilder von ihr und ein Video über ein paar Sekunden. Als sie sich sah, war sie höchst entzückt und hörte gar nicht mehr hin, als er ihr vergeblich zu erklären versuchte, dass alle seine Urlaubsfotos, alle Erinnerungen an diese Reise, in dem kleinen Apparat gespeichert waren. Sie wollte das Smartphone unbedingt haben, um weiter Musik zu hören. Schließlich überließ er es ihr und sie war seelig. 
 
Als sie weiterfuhren, hockte das Mädchen sich auf den Vordersitz, die Füße auf der Sitzfläche, die angewinkelten Knie ragten nach oben. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Beifahrertür, hatte ihren Oberkörper ihm voll zugewandt und sah ihn mit großen Augen an. Ihr Blick, anfangs noch schüchtern und neugierig, war zunehmend herausfordernder und provokativer geworden. Ihr knapper Rock war hochgerutscht und wenn er sie von Zeit zu Zeit verstohlen anstarrte, sah er nicht nur den leichten, hellen Flaum auf ihren schlanken Beinen, sondern auch ihren rosa Slip. Obwohl sie konzentriert der Musik zu lauschen schien, bemerkte sie dieses Anstarren sehr wohl und sie registrierte auch, wohin er sah, aber sie war keineswegs verlegen. Im Gegenteil, sie beugte sich im Takt der Musik, die er ganz leise mithören konnte, weil sie das Gerät auf volle Lautstärke gestellt hatte, vor und zurück und es schien ihm, dass sie sich ganz bewusst immer tief herabbeugte, damit er ihre kleinen, fast noch unterentwickelte Brüste sehen konnte und dabei lächelte sie ihn an und er bildete sich ein, dass sie nicht nur wegen der Musik geradezu verzückt anhimmelte. Er fand sie mittlerweile durchaus attraktiv und sympathisch, war froh, eine Begleiterin seiner Reise zu haben und überlegte, ob er ihr etwas schenken sollte, wenn die gemeinsame Fahrt zu Ende war. Das wäre sicher fair, ihr etwas zu schenken, nachdem er das bekommen hatte, was ihm immer stärker in den Sinn gekommen war, je länger er seine verstohlenen Blicke zu dem Mädchen warf, je eindeutiger auch sie ihn ansah.
 
Nach einer halben Stunde veranlasste ihn also nicht nur das dringende Bedürfnis zu pinkeln, auf einen Rastplatz abzubiegen. Auf dem Platz, der durch dichte Büsche von der Landstraße abgetrennt war, waren sie jedoch nicht allein. Direkt an der Einfahrt stand ein alter, ramponierter Straßenkreuzer mit weit geöffneten Türen. Zwei junge Männer saßen auf dem Kühler und hörten laute Musik. Er fuhr an ihnen vorbei an das andere Ende des Platzes. Dort hielt er an, sagte dem Mädchen, sie solle warten, stieg dann aus und ging zu einem Baum in einiger Entfernung, um sich zu erleichtern. Kaum hatte er ihr den Rücken zugewandt, verließ sie den Wagen und lief zu den beiden Männern. Als er, noch immer pinkelnd, hörte, wie die Tür zugeschlagen wurde und über seine Schulter blickte, sah er, wie sie bei den Männern ankam, auf sie einredete und dass der eine sich die Kopfhörer aufgesetzt hatte. Er war verärgert und wollte ihr zurufen, sie solle zum Auto zurückgehen, als sich einige Dinge fast gleichzeitig ereigneten. Das Mädchen setzte sich auf den Rücksitz der alten Karre, einer der Männer rannte in Richtung seines Autos, der zweite startete den Motor und fuhr, die Beifahrertür immer noch geöffnet, langsam in dieselbe Richtung. Der, der gerannt war, bückte sich kurz hinter dem Toyota und sprang dann zu seinem Kumpel auf den Beifahrersitz. Der Motor heulte auf, die Reifen wirbelten Staub auf, der Wagen machte einen Satz und raste auf die Landstraße. Schon nach wenigen Sekunden war er außer Sicht- und Hörweite.
 
Dies alles spielte sich so rasch ab, dass er, durch sein lang andauerndes Pinkeln gehindert, in das Geschehen nicht eingreifen konnte. Als er endlich fertig war, rannte er auf die Straße und stieß laute Flüche und Verwünschungen aus, aber das Auto war schon so weit weg, dass eine Verfolgung sinnlos war. Er war zwar froh, dass die beiden Typen nicht versucht hatten sein Auto oder sein Gepäck zu klauen und ihm war auch sofort klar, dass mit seiner Schönen auch sein teures Spielzeug verschwunden war, aber er brauchte ein Weile, ehe er bemerkte, dass der eine, der sich gebückt hatte, ihm einen Reifen zerstochen hatten. Weiterhin fluchend begann er das Ersatzrad zu montieren. Zu allem Übel waren die Schrauben teilweise eingerostet und er musste heftig an dem ebenfalls verrosteten Schraubenschlüssel zerren, um sie zu lockern. Dabei fiel ihm das Portemonnaie aus der Tasche seiner Shorts und er warf es auf den Rücksitz.
 
Dann fuhr er weiter. Nach ein paar Kilometern sah er zu seiner Überraschung das Mädchen wieder am Straßenrand stehen. Sie winkte, senkte aber den Arm, als sie seinen Wagen erkannte. Langsam fuhr er an ihr vorbei und starrte sie wütend an. Traurig erwiderte sie seinen Blick. Als sie im Rückspiegel auftauchte, gab er Gas und ihre Gestalt wurde immer kleiner. Doch plötzlich bremste er, hielt an, stieg aus und bedeutete ihr mit einer ausholenden Armbewegung, zu kommen. Langsam und zögernd setzte sie sich in Bewegung. Als sie ankam, öffnete er die Tür und sie setzte sich neben ihn. Sie hatte Tränen in den Augen und begann schluchzend und wortreich etwas zu erzählen, das er nicht verstand und auch gar nicht verstehen wollte. Er herrschte sie lautstark an, sie solle den Mund halten. Sie nach seinem Smartphone zu fragen, war sinnlos. Sie schwieg, dreht ärgerlich den Kopf von ihm weg und starrte auf den Rücksitz und dort sah sie, durch ihre Tränen hindurch, sein Portemonnaie liegen und neue Hoffnung keimte in ihr auf.
 


© yupag chinasky


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Kommentare zu "Die Versuchung"

Re: Die Versuchung

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 26.02.2020 9:24 Uhr

Kommentar: Lieber Yupag,
deine Geschichte ist interessant geschrieben. Man muss sie zu Ende lesen und hat das Gefühl, dass alles so passiert ist.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Die Versuchung

Autor: yupag   Datum: 26.02.2020 9:48 Uhr

Kommentar: danke, dass du sie zu Ende gelesen hast

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