Urlaub - mal ganz anders

© Bella Union/[PIAS] Cooperative

Wir hatten das Auto schon am Vorabend beladen, damit es am Morgen des Aufbruchs schneller geht. Man kommt ja morgens sowieso nicht so schnell in die Pötte. Spät abends im Bett ging ich gedanklich nochmal alles durch und auch was wäre, wenn jemand heute Nacht in die Garage einbricht, das Auto knackt und zusammen mit dem ganzen Urlaubsgepäck abhaut. Naja, beim Wert des Autos fällt der Urlaubs-Plunder nicht ins Gewicht. Also schalt ab und schlaf jetzt. Morgen wird’s ein langer Tag.

Gut gefrühstückt und ebenso gelaunt ging es am nächsten Morgen zeitig los. Die Sonne lachte und die Temperatur war angenehm, so dass ich meiner Frau die Botschaft überbrachte, wir fahren offen. Etwas mehr eingemummelt holte ich das gelbe Monster aus der Garage. Ach so ja, meine Sorge war umsonst, nichts geklaut. Vor meinem geistigen Display nochmal die Checkliste für Haus, Auto, Gepäck und uns beiden Menschen. Ich gab meiner Frau einen Kuss mit der Bitte auf uns aufzupassen und meinen Fahrstil nicht so sehr zu kritisieren. Und dann endlich… ab in den Urlaub.

Die Autobahn war relativ frei. So frei, dass ich mir den ersten Kommentar anhören musste: „Was kriechst du hier mit 120 bis 130 rum, auf der Landstraße fährst du ja auch 150.“ Nach dieser Konfirmation merkte ich, wie meine Ohren meinen rechten Fuß steuerten. Da wir offen fuhren, musste ich meine Beschleunigungsspielchen in Grenzen halten.

Wir hatten einige Lkw´s und Pkw´s im Sack, als meine Frau sich mal wieder meldete: „Du, ich muss mal, war wohl heute morgen zu viel Kaffee, nimm bitte die nächste Raststätte.“
Gesagt, getan. Abfahren, Parkplatz suchen, Motor aus. Als ich gerade das Backofenknistern der Edelstahlabgasanlage genoss, wurde ich gestört: „Musst du nicht auch?“ „Nein, ich muss noch nicht.“ „Dann bis gleich.“

In der Zeit widmete ich mich meiner Lieblingsbeschäftigung: Menschen beobachten. Durch die vielen Informationen und den doch schon höheren Temperaturen im Cockpit trotz offenem Dach merkte ich, wie nach und nach meine Augenlider immer schwerer wurden ...

Wie vom Blitz getroffen war ich plötzlich hellwach, musste wohl kurz eingenickt sein. Schaute auf meine Uhr, wieso diese Uhr, hatte ich heute morgen nicht eine andere? Und warum stand der Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz und nicht im Kofferraum. Ich hatte doch erst morgen Vormittag diesen Geschäftstermin. Heute musste ich nur noch in meine Ferienwohnung einchecken, die ich gemietet hatte. Die Feinheiten konnte ich mir bei der Fahrt überlegen. Motor an und ab zum Gardasee.

Ich fuhr mit relativ hoher Geschwindigkeit, was ich normalerweiser nur allein mache. Allein?! Ich schaute nervös auf den Beifahrersitz, auf dem mein Aktenkoffer mit meinen Beschleunigungsorgien kämpfte. Irgendwas stimmte hier nicht. Das einzige vertraute Gefühl war mein Auto. Sonst stimmte hier irgendwas ganz und gar nicht. Keine Gelegenheit zu denken, der Verkehr wurde dichter.

Kurz vor dem Brenner musste ich dann doch mal für große Jungs. Bevor ich wieder ins Auto stieg, sagte ich zu ihm: „Schön, dass ich dich wenigstens noch habe.“ Mich irritierte nicht, dass ich mit meinem Auto sprach, sondern das was ich sagte. Nach meiner Scheidung war das Auto so ziemlich das Einzige, was mir geblieben ist.

Endlich… Lago di Garda. Ich musste an seiner Ostseite entlang so zwei Drittel Richtung Süden. Ich schaltete das Navi an, weil ich den Ort und die Straße eingegeben hatte. Und? Nicht drin! Ja verdammt noch mal, Problem Technik oder Gehirn? Ist auch egal jetzt. Ich hatte diesen kleinen verschlafenen Ort in meinem Kopf. Und die Straße wusste ich auch. Ich hatte den Prospekt oft gelesen, aus dem ich mir die Ferienwohnung ausgesucht hatte.

Ohne mich zu verfahren fand ich das Haus. Da musste dann wohl meine Ferienwohnung drin sein. Ich stieg aus, als eine hübsche Frau auf mich zu lief. Warum hatte sie es so eilig? Egal, ich wollte sie fragen, ob ich hier richtig bin. Bevor ich zu Worte kam, überfiel sie mich: „Mensch, wo warst du denn so lange, warum hast du mich denn nicht mal angerufen?“ Ich konnte mit ihrem Satz nichts anfangen, konzentrierte mich auf meinen: „Entschuldigung, können Sie mir sagen, ob ich hier in der Via Vincenzo Bellini Nummer 7 bin?“ Die Frau erbost: „Hör auf mit dem Scheiß, du weißt genau wo du bist. Fehlt nur noch, dass du nicht weißt wer ich bin.“ Bingo, wenn sie gewusst hätte, dass ich das tatsächlich nicht wusste, hätte sie mich erwürgt. Sie schaute in mein fragendes Gesicht und wetterte: „Ihr mit euren scheiß Cabrios, wahrscheinlich hast du einen Sonnenstich. Also, nochmal langsam zum Mitschreiben: Das hier ist dein Haus, und ich bin deine Frau.“…

Ich glaube, dass mein Herz in diesem Augenblick ein paar Aussetzer hatte. Sie weiter: „Hol das Gepäck aus dem Auto, bring es rein, du hast doch bestimmt Hunger; und komm erst mal her.“ Sie umarmte mich fest, presste ihre Lippen auf meine. Wie ein Aal schob sich ihre Zunge in meinen Mund und spielte wild mit meiner. Holla die Waldfee, in meinem ganzen Leben bin ich noch nie so geküsst worden. Vielleicht gar nicht so verkehrt, dass ich im Augenblick etwas geistig verwirrt bin. Sie lächelte mich an und verschwand im Haus.

Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Träume ich? Ich muss das testen, aber ich kann mir doch hier jetzt nicht selbst vor´s Maul hauen. Also griff ich mir in die Hosentasche und kniff mir in den Sack. Autsch, ach du Schande, ich bin wach, alles echt. Ungläubig ging ich zum Auto und holte mein Gepäck. Praktisch, das Auto, ein Kofferraum vorne, einer hinten. Der Motor in der Mitte, dadurch aber nur zwei Sitze. Logisch, dass ich keine Kinder haben kann, wenn ich Glück habe. Vielleicht ist das aber auch ein Zweitwagen und in der Garage steht so ein SUV und ich habe einen Stall voll…, nicht weiterdenken. Es gibt bestimmt eine Erklärung, aber welche.

Beim Abendessen sprach ich kein Wort. Aber die nette Dame: „ Nun erzähl doch mal, wie war es in good old Germany?“ „Sei mir nicht böse, ich habe furchtbare Kopfschmerzen, gehe gleich ins Bett.“ „Ja, ja, mach mal, ich komme dann auch.“… Wie, sie kommt dann auch?! Ach ja, sie ist ja meine Frau. Was mach ich denn, wenn sie mit mir… na ihr wisst schon. Sie ist für mich eine wildfremde Frau. Oder soll ich doch mit ihr…, dann erinnere ich mich vielleicht. Ich hätte mich für morgen auf meinen Geschäftstermin noch etwas vorbereiten müssen, aber jetzt hatte ich andere Probleme. Ich duschte schnell, kannte mich aus, als wäre es mein Haus, ging unauffällig ins Bett. An schlafen war nicht zu denken, musste meine aufgewühlten Wogen glätten ...

Ein leichter Schimmer vom Fenster legte seine Patina auf den dunklen Raum. Dann kam sie. Um mich nicht zu stören, zog sie sich ganz leise aus. Das Knistern der Situation und der statischen Aufladung ihrer Kleidung gab dem Moment eine gespannte Erotik. Ganz sacht schob sie ihren Körper von hinten an mich ran. Sie war nackt... und erregt. Ihre harten Brustwarzen bohrten sich in meinen Rücken. Mein Körper wurde von ihrer Erregung angesteckt, jedenfalls stellenweise. Doch mein Gehirn war jetzt an einem Punkt, das Handtuch zu werfen: Du brichst jetzt hier ab, das Theater spielst du nicht weiter, werde dir erst mal klar, was real ist und was nicht... Ich wollte mich gerade mit dieser Entscheidung beschäftigen, da spürte ich ihren heißen Atem, mit dem sie über meine Schulter hauchte: „Du willst doch wohl jetzt nicht schlafen?!“ Dabei fing sie an, mich mit gefühlten hundert Händen zu streicheln. Ich musste meine Überlegungen verschieben, war zu sehr abgelenkt. Sie massierte sanft meinen Nacken, ihre Hände legten sich gefühlvoll um meinen Hals. Ihr Griff wurde langsam immer fester und endete mit einem harten Schlag auf den Kopf. Ein Lichtblitz, hatte sie den Sehnerv getroffen?

Es war plötzlich taghell im Raum, das Fenster verzerrte sich zu einer Windschutzscheibe... Es war eine Windschutzscheibe, und ich saß dahinter. Vor mir eine Frau, die mich besorgt anschaute und fragte: „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Ich kannte diese Frau, es war nicht meine geschiedene, auch nicht das heiße Gerät vom Gardasee... Nein, es war meine Frau, die echte, die tatsächliche, die jetzige.

„Komm erst mal raus da, vertret dir die Beine, geh auf´s Klo.“ Ich musste immer noch nicht, aber ich musste hier raus, meine Gedanken und meine Situation klären in welche Bewusstseinsebene ich jetzt gerutscht war. Schaue ich zu viele Science Fiction Filme?

Als ich zurück kam, saß meine Frau schon angeschnallt im Auto und posaunte hinaus: „Geht das auch schneller, wir wollen doch heute noch am Gardasee ankommen.“ Spätestens jetzt wurde mir klar, ich bin zurück in der Realität. Ich legte meine Hände auf den vorderen Kofferraumdeckel, und drückte meinen Rücken entspannend durch. Dabei kam mein Kopf dem Blech sehr nahe, und ich flüsterte so im Spaß zu ihm: „Wenn die wüsste, dass wir beide heute schon mal da waren.“... „Hast du was gesagt?“ „Nein, nein, ich habe nur eine Dehnungsübung gemacht.“

Als wir endlich weiterfuhren, schaute meine Frau mich besorgt an: „Bist du auch wirklich fit? Du warst an der Raststätte richtig eingenickt.“ „Mach dir keine Sorgen, ich bin ok.“ „Naja“, lachte sie, „Es sah so aus, als hättest du da vorhin etwas Besonderes geträumt.“

Ich schwieg und dachte: Oh ja, das habe ich ...


© Wolfgang Sonntag


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Beschreibung des Autors zu "Urlaub - mal ganz anders"

Meine Geschichte ist eine Mischung aus Erlebnis und Fantasie mit einer Prise Erotik.
Die Handlung spielt in drei Bewusstseinsebenen: Realität, Traumebene eins und Traumebene zwei. Ich hätte die Traumebene eins durchziehen können, war mir aber zu langweilig. Also benutzte ich in der Traumebene eins die Frau und das Haus der Traumebene zwei.
Zu verzwickt? … nein … mehrmals lesen … verstehen … genießen.

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Kommentare zu "Urlaub - mal ganz anders"

Re: Urlaub - mal ganz anders

Autor: Vergissmeinnicht   Datum: 07.08.2019 9:29 Uhr

Kommentar: Wow... eine super Geschichte.und das am frühen morgen...ich war beim lesen richtig dabei.... hast du mich nicht gesehen??? Liebe grüße vom Vergissmeinnicht.

Re: Urlaub - mal ganz anders

Autor: possum   Datum: 08.08.2019 0:55 Uhr

Kommentar: Hallo lieber Wolfgang,
mir hat es Spaß gemacht in deinen Traumphasen hier mitzuwandern,
sie enthalten einen Prise ... Sprit um den Motor des Seins anzukurbeln,

liebe Grüße an dich!

Re: Urlaub - mal ganz anders

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 11.08.2019 0:19 Uhr

Kommentar: Dieser wertvolle Kommentar ist von meinem Freund und Neffen Alin. Ich habe ihn aus dem Englischen übersetzt, damit wir alle was davon haben:

Lieber Wolfgang,
also, diese Geschichte ... du bist auf eine andere Ebene gegangen, mein Freund. Das ist genial. Du erstellst eine Geschichte mit mehreren Ebenen. Eine fiktive Ebene, eine alternative Realitätsebene und die Realität. Es ist, als würde man sich einen Christopher Nolan-Film ansehen. Du hast das ganze Paket. Einschließlich dieser feinen Linie der Erotik, die die ganze Geschichte noch interessanter macht, weil man bis zum Ende nicht sicher ist, wo die Realität beginnt. Ich kann nicht glauben, dass du kein leidenschaftlicher Buchleser bist. So zu komponieren erfordert Talent. Es ist da. Du hast es.

Re: Urlaub - mal ganz anders

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 11.08.2019 15:10 Uhr

Kommentar: Hallo liebes Vergissmeinnicht, liebe possum und lieber Alin,
meine besondere Geschichte ist durch eure Kommentare was ganz Besonderes geworden. Dafür danke ich euch.
Dank auch an die Knöpferinnen und Knöpfer.
Bis zu meinem nächsten Werk.
Euer Wolfgang

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