Mollka war ganz hibbelig. Am liebsten hätte sie sich von der Hand ihres Bruders direkt losgerissen und wäre quer über die Straße gelaufen. Sie wusste, dass ihre Eltern gleich um die Ecke biegen würden und sie war ganz aufgeregt.
Das Trollmädchen tänzelte neben ihrem Bruder Bollko hin und her, schwang ihre beiden Hände so lange, bis auch er lachen musste.
Als das Auto endlich in den Parkplatz einbog und TrollMa sie nacheinander hochhob und in ihren Trollsitz packte, hielt Mollka es nicht mehr aus.
“Weißt du, was unsere Erzieherin heute verkündet hat, Mama? Weißt du das?” TrollMa blickte zwischen ihren beiden Kindern hin und her. Auch TrollPa beobachtete die Situation interessiert im Rückspiegel. “Hm…” TrollMa setzte eine gespielt nachdenkliche Miene auf. “Fällt das Trollfest morgen aus?” “Nein!” entrüsteten sich beide Kinder.
“Oder vielleicht müsst ihr früh ins Bett gehen?” “Nur Mollka!” rief Bollko und seine Schwester verdrehte die Augen.
Nachdem sie schon fast zu Hause waren und noch niemand die Neuigkeit ausgesprochen hatte, platzen die ersten Worte aus Mollkas Mund, die ihr einfielen.
“Wir apportieren einen neuen Bruder!” TrollMa und TrollPa lachten beide gutmütig. Ihre Mutter nahm das Trollmädchen auf den Arm und begann zu erklären. “Ja, wir nehmen zum Trollfest ein Kind aus dem Trollino auf. Für einen Tag und sehen wir, wie es läuft. Die Einrichtungen erhoffen sich dadurch, einigen auch längerfristig ein neues zu Hause finden zu können.”
TrollPa stapfte hinter ihnen mit Bollko zusammen durch die Tür in ihren Bau. “Aber Mollka, das heißt Adoptieren.” brummte er.
“Sag ich doch! Apportieren.” TrollPa hielt inne und stemmte die Fäuste in die Hüften, während er sich zu ihr beugte und langsam, aber dafür umso lauter jede Silbe einzeln betonte. “A-Dop-Tie-Ren.”
Mollka legte den Kopf schief. Was wollte er denn nur von ihr? “Ap-Por-Tie-Ren.” wiederholte sie schulterzuckend. “Hm…” TrollPa richtete sich wieder auf und kratzte sich am Kinn. “Das wird schon noch besser.”
Sie zog ihre Schuhe aus und lief TrollMa hinterher. “Und dann können wir zu dritt spielen und einer darf beim Matschkuchen essen am Kopfende vom Tisch sitzen.”
Mollkas Mama lachte. “Wir können auch jetzt jemanden an das Kopfende setzen.”
Das Trollmädchen überlegte. “Nein, das wäre doch nicht systemisch.” TrollPa zog sich den Stuhl am Tisch zurecht und betrachtete sie kritisch. Dann öffnete er den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Schließlich brummte er: “Das wird schon noch besser.”
Mollka plapperte in der Zwischenzeit einfach weiter. “Ach, ich freu mich schon so auf das große Trollfest. Auf den Matschkuchen, auf Matschball. Das wird… großartig!”
Ihr Bruder Bollko schnaubte. “Woher willst du das wissen? Vielleicht bekommen wir einen Babytroll. Und wie ätzend die sind, muss ich dir ja hoffentlich nicht erklären.”
Mollka erstarrte. Das letzte Trollfest hatten sie bei einer Freundin von TrollMa verbracht und die hatte kurz vorher ein Trollbaby bekommen. So wenig wie in dieser Nacht hatte Mollka noch nie geschlafen. Seitdem wusste sie, dass Babys brüllten und rülpsen und pupsten und rülpsten, während sie pupsten. Ihre Ohren und ihre Nase waren noch nie so hart auf die Probe gestellt worden. Noch während sie darüber nachdachte, ob sie mit einem Trollbaby aus dem Trollino leben konnte, zwinkerte TrollMa ihr zu.
“Naja, ein Baby isst nicht halb so viel von dem Matschkuchen, wie ihr.” Ja, richtig! überlegte Mollka, mehr Matschkuchen für uns. Mit diesem Gedanken konnte sie sich anfreunden.
TrollPa fand das allerdings alles andere als lustig. Er ließ seine Zeitung sinken. “Wenn ich nicht die gleiche Portion Matschkuchen bekomme wie jedes Jahr, ist es kein gutes Trollfest.”
“Keine Sorge!” TrollMa legte ihm beruhigend die Hände auf die Schultern. “Ich backe einfach mehr davon. Dann ist es auch egal, ob Baby oder nicht, klein oder groß, Junge, Mädchen oder dazwischen. Wir werden das neue Familienmitglied herzlich aufnehmen.” Den letzten Satz sagte sie sehr eindringlich und sah jeden der Reihe nach an, bis jeder einzelne von ihnen genickt hatte. Erst dann war sie zufrieden und wandte sich wieder ihren Vorbereitungen für den nächsten Tag zu.
Am nächsten Morgen standen alle früh auf. Jeder von ihnen war gespannt, wen ihnen das Trollino schicken würde. Aufgeregt standen sie vor dem Auto und warteten, dass die Trolldame, die ihren Fall bearbeitete, zurückkam. Als sie sie aber wieder sahen, brachte sie kein Baby mit, auch kein Kind in Mollkas und Bollkos Alter. Hinter ihr ging ein riesiger Troll. Er war fast größer als TrollPa.
Die Dame vom Trollino sah nicht auf, sonst hätte sie die schockierten Gesichter von TrollMa und TrollPa ebenso gesehen wie die interessierten Mienen ihrer Kinder.
“Das ist Trollko.” Mit einem Kopfnicken ließ sie die Familie mit ihrem neuen Mitglied für einen Tag stehen. Denn, dass es nur ein Tag sein würde, stand für die Eltern in diesem Moment fest.
“Einsteigen.” knurrte TrollPa.
Alle drei Kinder quetschten sich in die hintere Reihe, wobei Bollko sich lautstark beschwerte, wie wenig Platz er hatte.
“Mag kein Autofahren.” war der erste Satz oder vielmehr Halbsatz, den Trollko von sich gab. Mollka musste kichern und verstand überhaupt nicht, wieso TrollPas Laune mit jeder Sekunde schlechter zu werden schien.
Als sie vor ihrem Bau vorfuhren und alle ausgestiegen waren, folgte Trollko der Familie. TrollMa bedeutete ihm, sich mit ihnen auf die Couch zu setzen, aber er blieb mit vor der breiten Brust verschränkten Armen neben der Tür stehen. “Mag nicht sitzen.”
“Naja, wenn du es dir anders überlegst, hier ist immer ein Plätzchen frei.” behauptete TrollMa. TrollPa und Trollko gaben beide nur ein Schnauben von sich.
“Oh,” TrollMa sah auf die Uhr. “Der Matschkuchen ist gleich fertig. Dann kann das Fest richtig losgehen.”
TrollPas Kopf schnellte zu ihr herum. “Na toll! Der wird uns doch alles wegessen! Sieh ihn dir doch nur mal an!” Er machte eine ausladende Bewegung in Trollkos Richtung. “Bisher habe ich immer das größte Stück vom Matschkuchen bekommen!”
Noch bevor TrollMa etwas erwidern konnte, brummte es von neben der Tür. “Mag keinen Matschkuchen.”
“Oh, das ist gemein! Wie kann man denn keinen Matschkuchen mögen?” entrüsteten sich Mollka und Bollko gleichermaßen.
“Na, so ein Glück! Dann ist mein Stück genauso groß wie letztes Jahr!” TrollPa entspannte sich etwas, während TrollMa aufstand, um den Kuchen aus dem Ofen zu holen. Er duftete herrlich torfig und ein bisschen modrig. Genauso, wie Mollka es mochte. Sie konnte kaum erwarten, ihn zu probieren.
“Nein!” TrollMa hob den Kuchen außerhalb ihrer Reichweite. “Er muss erst abkühlen. Aber ihr könnt euch schonmal ausziehen. Solange gehen wir raus und spielen eine Runde Matschball! Na, wer hat Lust?”
Sofort waren alle dabei. Nur einer nicht. Der grummelte vor sich hin. “Mag kein Matschball. Mag nicht warten. Mag nicht hier sein.”
Bollko stöhnte im Vorbeigehen. “Gibt es überhaupt irgendwas, was du magst?” Und dann, etwas lauter in Richtung TrollMa: “Können wir den umtauschen und uns jemand Cooles holen?”
Trollko verzog keine Miene, zuckte aber zusammen, als Mollka ihre Hand in seine schob und ihn angrinste. “Ich glaube, du bist nur invertiert.” Kurz rechnete sie mit etwas wie Mag nicht invertiert, aber er sagte nichts.
Bevor er sie auf dem Feld stehen ließ, flüsterte er aber, sodass nur sie es hören konnte. “Du kannst auch schüchtern sagen. Und nein, das bin ich nicht.”
Mollka wertete das als Sieg, zuckte aber mit den Schultern.
Wie es Tradition war, spielten die Kinder gegen die Eltern. Mollka und Bollko waren natürlich viel kleiner als TrollMa und TrollPa und hatten keine Chance. Es dauerte nicht lange und sie waren beide voller Matsch, wohingegen ihre Eltern noch beinahe sauber aussahen. Trollko stand mit verschränkten Armen daneben und stierte vor sich hin. Und, weil es einfach sowieso keine Rolle mehr spielte und sie kurz davor waren zu verlieren, warf Mollka den nächsten Matschball auf Trollko. Der erschrak nicht nur, sondern reagierte reflexartig. Aus einem Instinkt heraus nahm er einen riesigen Matschhaufen und traf sie damit.
Sie ließ sich nach hinten plumpsen und lachte schallend über sein verdattertes Gesicht. Denn eigentlich hatte er sich entschuldigen wollen. Aber nun, da er sah, dass sie Spaß daran hatte, spürte er selbst, wie es an seinen Mundwinkeln zuckte. Wie lange war es her, dass er laut gelacht, so viel Spaß gehabt hatte wie dieses Kind? Diese Frage konnte er nicht beantworten. Sehr lange.
Diesen Gedanken hing er nach, als ihn erneut ein Matschball traf. Und rein aus Reflex schleuderte er einen in die Richtung, aus der der zweite gekommen war. Nur hatte diesen nicht Mollka geworfen, auch nicht Bollko. TrollPa japste laut und war von Kopf bis Fuß in Schlamm und Matsch getaucht. Panik rollte durch Trollo. Das wars. Nun würden sie ihn zurückbringen oder noch peinlicher, sie würden ihn abholen lassen. So oder so würde er das Trollfest im Trollino verbringen müssen. Wie die Jahre zuvor.
Und dann geschah etwas merkwürdiges. TrollPa stieß einen tiefen Laut aus, noch einen, sein ganzer Körper bebte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Trollko begriff, dass er lachte. Der Troll, den er eben komplett in Matsch gebadet hatte, lachte darüber.
Mollka und Bollko standen plötzlich beide neben ihm und zogen ihn auf das Feld. “Dieses Jahr gewinnen wir!” rief Bollko vergnügt, während er einen Matschball nach dem nächsten warf und Trollko zwischendurch auffordernd zunickte.
So kam es, dass der verlorene Troll aus dem Trollino zum ersten Mal seit sehr langer Zeit das machte, worauf er richtig Lust hatte. Er formte Matschbälle und bewarf seine Gasteltern damit. Und was das für Kugeln waren! Das Spiel war mittlerweile mehr als ausgeglichen, aber Bollko war fest davon überzeugt, dass sie gewonnen hatten. Man einigte sich allerdings auf unentschieden.
“Wie kannst du nur so riesige Matschbälle machen?” fragte TrollPa und klopfte ihm mit der Hand auf den Rücken. Trollko war nicht sicher, ob die Frage ernst gemeint war, aber er erklärte trotzdem, dass er besonders viel Kraft hinein steckte, den Ball richtig zu formen.
“Na, das musst du mir aber morgen nochmal zeigen!” verlangte TrollPa. Morgen… dachte Trollko betrübt. Der Tag, an dem es wieder zurückging.
Aber noch saßen sie zusammen am Tisch. TrollMa servierte Matschkuchen, alle stritten um das größte Stück, bis TrollPa die Stimme erhob. “Das bekommt natürlich der, der die größten Matschbälle machen kann!” Und dann wies er auf Trollko, der sofort den Kopf schüttelte, weil es ihm unangenehm war. So viel Aufmerksamkeit hatte er nicht verdient. Aber alle am Tisch schienen einverstanden und beobachteten ihn erwartungsvoll.
Oh, der Kuchen sah wirklich lecker aus. Er kostete ein kleines Stück und es schmolz in seinem Mund wie Schneckenschleim und Bienenwachs. “Das ist der beste Kuchen, den ich je gegessen habe.” TrollMa lächelte ihn an. Alle begannen zu essen und es herrschte gefräßiges Schweigen.
“Danke, dass ich hier sein darf.” Er murmelte es nur, wusste nicht, ob überhaupt jemand ihn gehört hatte.
“Und ich dachte ‘Mag nicht hier sein’...” äffte Bollko ihn nach.
“Ja, da hab ich mich geirrt.” Verlegen kratzte Trollko sich am Hinterkopf.
“Wir freuen uns auch.” Bollko nickte ihm zu. “Endlich konnten wir mal beim Matschball punkten.”
“Und ich dachte ‘Können wir den umtauschen’...” Trollko war es rausgerutscht, dabei hatte er niemanden in Verlegenheit bringen wollen.
Bollko hingegen grinste nur und zuckte mit den Schultern. “Hab mich geirrt.”
“Oh, das ist so hämoridisch!” rief Mollka.
Trollko prustete. “Sie meint harmonisch.” stellte TrollMa klar.
Aber der neue Troll runzelte nur die Stirn. “Sag doch stimmig oder einfach schön. Warum willst du unbedingt so schwierige Worte benutzen?”
Mollka überlegte kurz, bevor sie antwortete. “Weil ich so inkontinenter wirke.”
Trollko blieb der Mund offen stehen, während TrollPa seufzte. “Das wird schon noch besser.”
Nach dem Essen spielten sie noch eine Runde Matschball, bevor sie sich drinnen gemütlich zusammensetzten und sich über dies und das unterhielten. Und dieses Mal gab es niemanden, der sich selbst ausgrenzte oder von den anderen ausgeschlossen wurde.
Spät abends begleitete TrollMa Mollka ins Bett. “Gute Nacht, mein Bröckchen.” TrollMa gab ihr einen Kuss auf die Stirn, aber das Mädchen hielt sie fest. “Mama, können wir Trollko für immer apportieren?”
Sie spürte, wie ihre Mutter sich kurz versteifte, ihr dann aber sanft mit der Hand die Haare aus dem Gesicht strich.
“Hast du dir deinen neuen Bruder so vorgestellt?”
“Nein, er ist besser als meine Vorstellung. Weil er echt ist.”
TrollMa nickte nachdenklich. “Ja, das ist er. Lass uns morgen früh nochmal mit allen reden. Und ihn fragen, ob er das will. Ich bin sicher, wir kriegen das hin.”
Mollka musste nicht fragen, sie konnte es spüren. Das war das beste aller Trollfeste! Und das erste von vielen mit ihrem neuen Bruder.
Es ist noch früh am Morgen,
das Land mit Raureif überzogen,
Wintersonnenstrahlen, Dächer
und Straßen zum Glänzen,
den weißen Hauch jedoch,
bald zum Schmelzen bringt,
Du bist ein großer Mann gewesen
Und hast lange Zeit gelebt –
Dann bist du zu früh gestorben!
Du hast auch was von mir gelesen –
Es hat dir gar nicht widerstrebt.
Hab deine Sympathie [ ... ]
Ja, die Erinnerungen an den Holocaust sind für uns Menschen ganz, ganz wichtig. Unvorstellbares Leid darf nicht vom allgemeinen Wohlstandsdenken [ ... ]
Am Abend beisammen liegend, gemeinsam am Kuscheln
Kann nicht aufhören dir durchs Haar zu Wuscheln
Dein Kopf ruht friedlich auf meinem Herzen
Wünsch mit dir einzuschlafen in einem Meer aus [ ... ]