Es war einmal ein frommer Mönch, der einen weiten, gefährlichen Weg zu einem befreundeten Kloster vor sich hatte. Deshalb verrichtete er schon in aller Herrgottsfrüh seine Gebete, verstaute danach die notwendige Verpflegung in einer großen Tragetasche und marschierte frohen Mutes los. Gegen Mittag erreichte er die schmale Bergstrasse, die in etlichen Windungen hinauf zum hoch gelegenen Kloster führte. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herab, und der Mönch ließ sich schon bald erschöpft und ermattet vom steilen Aufstieg unter einer schattigen Tanne nieder, die am Wegrand stand. Aus reiner Gewohnheit faltete er die Hände und betete leise so vor sich hin: „Lieber Gott, wenn du Erbarmen mit mir hast, dann schicke mir ein Pferd, und wenn es nur ein kleines ist. Hauptsache ich muss diesen beschwerlichen Weg nicht gehen.“

Danach stand er mühsam auf und trottete weiter langsam bergan.

Als er gerade die nächste Biegung erreicht hatte, hörte er plötzlich hinter sich lautes Hufgetrappel, das näher und näher kam. Verwundert drehte sich der Mönch herum und erblickte einen stark bewaffneten Ritter, der seinem Pferd ungeduldig die Sporen gab. Er kam anscheinend nicht so schnell voran, wie er sich das wünschte, da er das junge Fohlen der Stute an einer lange Leine mit sich führte. Das kleine Tierchen stolperte und stakste wie benommen hinter dem wilden Reiter her. Offenbar war es am Ende mit seiner Kraft.

Als der Rittersmann den Mönch erblickte, brüllte er diesen sofort an.

„Jaaa..., was sehe ich denn da? Du kommst mir gerade recht, du nichtsnutziger Kerl. Mönche sind in meinen Augen Faulpelze. Doch ich will dir Gelegenheit dazu geben, endlich mal eine gute Tat zu vollbringen. Pack’ dir das geschwächte Fohlen und trage es den Rest des Weges hinauf zum Kloster, wo es einen warmen Stall bekommen wird. Also mach’ schon! Oder willst du meine Peitsche spüren, du Nichtsnutz?“


Der Mönch musste einsehen, dass er gegen den bewaffneten Ritter nicht die geringste Chance hatte, dem es offensichtlich auch erheblich an Respekt gegenüber einem Mann des Glaubens fehlte. Deshalb widersetzte er sich dem barschen Befehl des Ritters nicht, nahm das geschwächte Fohlen auf die Schulter und trug es den Berg hinauf. Während er mühsam einen Schritt vor den anderen setzte, fiel ihm sein Gebet wieder ein, das er so leichtfertig vor sich hin geredet hatte. Mit leiser Stimme sprach er: „Ach, lieber Gott, ich hätte nie daran gedacht, dass du so schnell meine Bitte nach einem Pferd erfüllen würdest. Nun trage ich eins auf meinen Schultern, wenngleich es noch sehr klein ist. Aber möglicherweise habe ich mich im Zustand meiner Schwäche nur unvollständig ausgedrückt. Oder hast du mich absichtlich falsch verstanden? Möchtest du mir etwas Bestimmtes damit sagen? Vielleicht dies, dass ich mich bei dir stattdessen dafür hätte bedanken sollen, dass ich bisher auf meinem gefährlichen Weg schon so weit und heil vorangekommen war?“


ENDE


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