Der alte Nick Taylor saß schon fast den ganzen Tag hinter der Kasse seiner Tankstelle und wartete darauf, dass endlich sein Sohn Max kommen würde, um ihn abzulösen. Noch hatte er über eine Stunde Zeit, bis seine Schicht ablief. Schließlich stand er auf, ging hinüber zum Zeitungsregal, holte sich ein Magazin und setzte sich zurück auf den Kassenplatz.



Hin und wieder schaute er hinaus aus dem großen Fenster und fragte sich dabei, ob heute überhaupt noch ein Kunde kommen würde, denn seit die Straße ein paar Kilometer entfernt durch den Starkregen der letzten Tage immer noch überschwemmt war, verhinderte dieser Umstand, dass fast niemand mehr zur Tankstelle kommen konnte, jedenfalls aus der Richtung nicht, wo der Fluss über seine Ufer getreten war. Nur einige seiner besten Freunde und einige gute Bekannte seiner Familie kamen bei ihm ab und zu noch vorbei, um sich bei ihm Benzin für ihre Autos zu holen.



Zum Glück musste er keine Pacht an irgendeine Mineralölgesellschaft zahlen, denn die Tankstelle gehört ihm schon seit vielen Jahren allein, die er sich von dem Geld einer unverhofften Erbschaft günstig gekauft hatte, die sogar mit einer kleinen Wohnung ausgestattet war, wo er sich nach Feierabend zurück ziehen konnte.



Einmal im Jahr kam der Tankwagen aus der nah gelegenen Stadt und füllte seine unterirdischen Treibstofflager wieder auf. So gesehen hatte der alte Nick Taylor ein geregeltes Leben, dass eigentlich doch sehr langweilig ablief, denn hier draußen an der Landstraße war die meiste Zeit nichts los. Aber Taylor war trotzdem mit seinem Dasein zufrieden, weil er hier wenigstens seine Ruhe hatte, im Gegensatz zur Hektik in der Stadt.



Plötzlich schreckte der Alte auf.



Ein großer Kerl betrat nämlich ganz unverhofft den Vorraum der Tankstelle, baute sich vor dem Alten demonstrativ auf und schaute sich dabei gleichzeitig prüfend im ganzen Laden herum. Dann griff er in seine rechte Manteltasche, holte ein Smartphone ähnliches Gerät daraus hervor und tippte mit schnellen Fingerbewegungen auf den Tasten herum.



Einen Moment später steckte er das Gerät in die Tasche zurück und blickte Taylor mit stechendem Blick an.



„Verstehst du mich?“ fragte er den verblüfften Alten und musterte dabei die Regale mit den unterschiedlichsten Waren darin, die dort gelagert waren.



Nick Taylor nickte mit dem Kopf.



„Ich möchte bei dir vor allen Dingen frisches Wasser und Nahrungsmittel kaufen. Hast du hier so was?“



„Natürlich!“ antwortete Taylor und fuhr in gleichem Atemzug fort: „Mineralwasser ist überhaupt kein Problem. Nur mit den Lebensmitteln sieht es nicht so gut aus, weil die leicht verderben können. Aber Kekse, Konserven und ein paar andere Dinge gibt es hier genug, Mister.“



Der unbekannte Mann schlenderte zu den Regalen hinüber und sah sich das Angebot genauer an.



„Was ist das für ein Zeug hier?“, fragte er spontan und deutete auf mehrere Tüten hin, in denen sich Kartoffelchips befanden.



„Alles frisch und ist erst vor ein paar Tagen angeliefert worden. Beste Qualität“, gab Taylor zur Antwort und wies auf weitere Regale hin, wo noch andere essbare Sachen lagerten.



Plötzlich flimmerte die Luft um den Unbekannten herum und sein Körper schien sich in eine andere Gestalt verwandeln zu wollen, was aber nur für den Bruchteil von Sekunden andauerte.



Der alte Nick Taylor kniff die Augen zusammen. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht. Doch das Flackern der Luft um den Körper des Mannes kam wieder zurück. Stärker noch als vorher.



Der Fremde drehte sich auf einmal zu Taylor herum.



„Entschuldige bitte, aber das ist nicht meine eigentliche Gestalt. Ich habe mein Aussehen geändert, bevor ich die Tankstelle betreten habe. Ich wollte dich nur nicht erschrecken. Ich bin nicht von der Erde und auch kein Mensch, sondern ein Außerirdischer oder Alien, wie ihr sagen würdet. Ich kann jede Gestalt annehmen, wenn ich eine entsprechende Vorlage habe, wie auf dem Plakat da draußen vor deiner Tür.“



Der Alte blieb erstaunlicherweise sehr ruhig, als er das hörte. Dann antwortete er: „Ich habe mich schon gewundert, dass Sie wie der Tankwart von der Ölgesellschaft auf der Werbung aussehen. Unglaublich!“



„Das ist nur äußerlich. Darunter trage ich einen Raumanzug, den du nicht sehen kannst. In diesem Raumanzug stecke ich.“



„Das ist kein Fleisch oder so? Kommen Sie aus dem All?“



„Ja, ich bin mit einem kleinen Raumschiff gekommen. Es liegt nicht weit von deiner Tankstelle entfernt hinter dem Hügel dort. Es ist kein besonders großes Schiff, wie schon gesagt, sondern eine Erkundungsfähre. Das Mutterschiff ist natürlich viel größer und hat hinter eurem Mond Stellung bezogen, um nicht entdeckt zu werden. Leider gab es Probleme mit dem Antrieb der Raumfähre. Aber mein Reparatur-Roboter ist dabei, den Schaden wieder zu beheben. Vielleicht ist er sogar schon fertig.“



"Sind Sie abgestürzt?“ fragte Taylor.



„Ach was. Abgestürzt ist nicht das richtige Wort, nur notgelandet. Das ist natürlich auch nicht gut, aber was anderes als ein Absturz.“



Der alte Nick Taylor nickte mit dem Kopf und dachte sich, dass man Kunden nicht widersprechen sollte, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie nur auf der Durchreise sind.



Der Fremde aus dem All nahm sich eine Kiste Mineralwasser aus dem Regal, legte noch einige Packungen Kekse oben drauf und verstaute alles in einer mitgebrachten Tasche, die in Hüfthöhe über dem Boden schwebte. Ganz zum Schluss nahm er noch einige Suppendosen, etwas Obst und Gemüse mit, die ebenfalls in der Schwebetasche verschwanden.



„So, meine Guter. Das will ich natürlich nicht alles umsonst mitnehmen.“



Der Außerirdische legte plötzlich einen riesigen Diamanten auf den Tresen, als wäre es das Normalste auf der Welt.



„Ich hoffe, das reicht für die Bezahlung? Wir haben auf unserem Planeten genug davon. Für uns sind diese Diamanten wertlos, weil es einfach zu viele bei uns davon gibt.“



Der alte Taylor war sprachlos.



„Ist der auch echt?“



„Der Stein ist aus reinem Kohlenstoff. Ich habe ihn vorher noch schnell von meinem Roboter so schön schleifen lassen. Jetzt strahlt er in allen Farben. Ein wunderschöner Diamant, nicht wahr? In eurer Welt ist er wohl unbezahlbar, denke ich mal. Komm, nimm ihn einfach! Er gehört dir!“



Der Fremde aus dem All griff nach seiner schwebenden Tasche, schob sie vor sich her und verabschiedete sich von dem Alten mit den Worten: „Friede für dich und für die ganze Menschheit! Vielleicht kommen wir eines Tages doch noch zu euch, wenn ihr etwas friedlicher geworden seid. Ihr seid nämlich eine kriegerische Rasse, was im Universum prinzipiell nicht oft vorkommt. Vielleicht tragt ihr einen genetischen Defekt in euch oder leidet an an einer fortgeschrittenen Geisteskrankheit. Das wissen wir noch nicht. Wir kriegen das schon raus und eines Tages kommen wir wieder und werden euch heilen. Noch lassen wir euch in Ruhe und beobachten euch nur. Wir wollen aber auf keinen Fall, dass ihr diesen schönen Planeten vernichtet. Das werden wir mit allen Mitteln verhindern.“



Dann drehte sich der Außerirdische am Ausgang noch einmal lächelnd herum und rief mit lauter Stimme: „Friede mit euch Menschen!“



„Friede für uns alle!“ rief ihm Taylor noch hinterher, dann verschwand der Fremde aus dem All in der beginnenden Dunkelheit, die sich mittlerweile über das Land gelegt hatte.



Taylor ging zurück hinter den Tresen, nahm den funkelnden Diamant in beide Hände und betrachtete ihn von allen Seiten. Es war ein besonders schönes Stück, das wohl gleich mehrere Millionen Dollar auf einer Versteigerung einbringt, wenn er diesen Diamant zu Kauf anbieten würde. Ab heute war er auf jeden Fall ein reicher Mann. Vorsichtig legte er ihn ganz hinten in die Schublade und versteckte ihn unter ein Stapel Papiere.



Als sein Sohn später zur Tür reinkam, sagte er nur zu ihm, er solle überall das Licht ausmachen und wieder nach Hause gehen. Morgen würde er die Tankstelle zum Verkauf anbieten und ein völlig neues Leben anfangen, denn die Welt ist zu schön, um einfach nur an einem Ort zu bleiben. Alles würde jetzt anders werden für ihn. Dank dem Fremden aus dem All, der gerade mit seinem kleinen Raumschiff über seine Tankstelle flog, dann steil nach oben schoss und in Richtung des hellen Mondes flog.





ENDE





(c)Heiwahoe


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