Ich zog an der Kippe. 1, 2, 3. Der Rauch fand langsam seinen Weg durch meine Lunge, füllte mich aus, benebelte mich, erlöste mich und kehrte zaghaft an die Oberfläche zurück, um sich, wie heißer Atem im Winter, in der Luft zu verteilen. Früher, da schwor ich mir nie zu rauchen. Ich fand es ekelhaft. Mit 7 fing ich vor meiner Oma an zu weinen und flehte sie an sie solle aufhören zu rauchen, da sie sonst sterben werde. Sie hörte auf. Und ich fing an. Irgendwie ironisch. Aber auch nur irgendwie. Man war eben noch ein Kind. Schwor sich eine große Menge, verstand nur einen kleinen Teil. Ich weiß wie schädlich Rauchen ist. Das muss mir keiner sagen. Aber die einst so brutalen Bilder auf der Packung werden mit jeder Kippe irrelevanter. Ich habe keine Angst krank zu werden, gar daran zu sterben. Vielleicht genau im Gegenteil. Tod ist scheisse, ist mir klar. Den zu romantisieren ist nicht mein Plan. Das ist auch keine neue Erkenntnis, die ich mit euch teilen muss. Aber vielleicht rauche ich trotzdessen um zu Sterben. Klingt absurd, doch für Suizid bin ich zu feige und fürs Leben auch, der Tod macht mir Angst und der Gedanke, dass er einfach irgendwann kommt und mich holt. Wenn ich rauche, ist es ein Gefühl von Kontrolle. Zumindest etwas von der Kontrolle, die ich sonst nur verliere und nicht verlieren will. Wenn ich sterbe, weil ich rauche, bin ich Schuld. Das habe ich beeinflusst. Wenn ich sterbe weil ich rauche, dann ist es so, wie wenn ich eine schlechte Note kriege, weil ich die Gruppenarbeit absichtlich ganz alleine gemacht habe und das zeitlich nicht zu schaffen war. Dann bin ich Schuld. Ich habs vermasselt und niemand sonst. Vielleicht hätte ich in der Gruppe eine bessere Note gekriegt, doch allein, dass die kleinste Chance, dass andere meine Note hätten negativ beeinflussen können, existiert und ich hätte nicht die Macht gehabt etwas dagegen zu tun, sorgt dafür, dass ich es lieber ganz alleine mache. Dann muss ich nur auf mich wütend sein, auf niemanden sonst, und dass bin ich eh die meiste Zeit, also ist das egal. Meine Füße fingen an zu frieren und ich trat von einem Fuß auf den anderen. Die eine Hand in der Manteltasche verschanzt, mit der anderen die letzten Züge auskostend. Die Herbstluft bringt mich noch um. Und zu erfrieren ist doch echt ein lahmer Tod. Wirklich lahm. Wenn sterben, dann richtig. Wobei ich bezweifle, dass die meisten sich ihren Tod aussuchen können. Doch ich kann ihn zumindest beeinflussen. Verdammt, manchmal hasste ich meine Gedanken. Die Art wie ich nachdachte, worüber ich nachdachte. Ich fand es ätzend. Aber ich konnte nicht aufhören. Man kann das schwer kontrollieren. Das Nachdenken. Genau wie den Tod. Unkontrollierbar, was das ganze ja so angsteinflößend macht. In letzter Zeit, da denke ich oft darüber nach. Ich sitze im Auto und denke "Hey, es ist okay. Es ist okay jetzt zu sterben. Du wirst nun sterben. Das ist einfach so. Lass los" und wenn ich realisiere, was ich da eben sagte, schießt Panik durch meinen Körper. „Nein. Ich kann noch nicht sterben. Ich bin noch nicht bereit. Ich will noch so viel tun. Ich studiere nicht mal, ich hatte nie einen Job verdammt, ich könnte in allem viel besser sein, viel mehr tun, viel mehr lassen, viel mehr sein“. Und Minuten danach, die Panik ist abgeklungen, ist alles, was eben noch so wichtig erschien, wieder egal. Das Leben, eben noch so flüchtig und kostbar, wie ein Staubkorn, meiner Hand entgleitend und in der Luft umherschwirrend, egal wie sehr ich versuche es einzufangen, so nah und doch so fern von mir, ist wieder genauso deprimierend wie vorher und wartet darauf vergeudet zu werden. Man denkt zu selten übers Leben nach. Denn das Leben ist zu nah am Tod. Es ist fragil und zerbrechlich. Denk mal übers Leben nach und versuch nicht ans Ende zu denken. Wer lebt, stirbt. Und man ist nie bereit über den Tod zu reden. Quatsch, man weicht ihm einfach aus. Bis man ihm nicht mehr entkommen kann. Du rennst weg, doch je länger du rennst, desto näher kommst du ihm. Wie auf einem Laufband, bei dem irgendwann deine Kräfte schwinden und du nichts weiter tun kannst als ihm ergebend in die Arme zu fallen. Der Tod steht am Ende und wartet auf dich, da der Tod weiß, dass du dem Tod nicht entrinnen kannst. Und dann ist das Nachdenken über den Tod zu spät, denn du bist tot. Dann ist es vorbei. Krass. „Vielleicht sollte ich lieber aufhören zu rauchen“, dachte ich und zündete mir meine nächste Kippe an.


© leni.shl


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