Der blutige Italiener

Wie ein unerwarteter Frühlingsgruß im späten Herbst kam sie herein und ihre langen schwarzen Haare wehten hinterher - als die Tür ins Schloss viel. Das Warten hatte ein Ende. Sie umarmte ihn freudestrahlend und küsste ihn schmatzend nass auf die trockene Wange. Sie hatte es geschafft. Sie hatte auf Anhieb die Führerscheinprüfung bestanden.

Freude kann ansteckend sein, doch gerade dieses Gefühl wollte in ihm nur zögerlich erblühen. Seine Stirn runzelte sich, sein Mund stand wortlose offen als wolle er einen Laut formen und die Mischung aus Zögern, Unglaube und Überraschung war ihm ins Gesicht geschrieben.

Die monatelange Bürde ihrer therapeutischen Betreuung hatte sehr an seinen Nerven genagt. Häufig kam Sie ja verweint von den Fahrstunden nach Hause und er musste ihr das „Das schaffe ich nie“ immer wieder mit viel Geduld und aufbauenden Worten ausreden. Ja – so war es also gekommen.

Die Notwendigkeit ein Automobil lenken zu dürfen, hatte sie als Spätberufene irgendwann eingesehen. Über mehrere Fahrschulen war sie dann beim bei einem älteren Fahrlehrer vom Typ „netter Onkel“ gelandet. Und der hatte es wohl einfach gut mit ihr gekonnt.

Und jetzt hatte Sie tatsächlich die praktische Prüfung auf Anhieb bestanden – wo er doch schon vor Jahren zwei Anläufe und viele Extrastunden gebraucht hatte. Das war für sein männliches Ego zuviel und so es rumorte kräftig in ihm. Trotzdem verspürte er im Stillen so etwas wie ein Gefühl der Erlösung, als wäre alles ausgestanden, und er atmete ins geheim tief durch.

Nun beschlossen die Beiden das Ereignis bei ihrem „Lieblingsitaliener“ zu begießen. Seine Gedanken schweiften in vergangene Zeiten und er erinnerte sich an so manchen dort verbrachten romantischen Abend - an ihr grenzenloses Lachen, an den Duft der erlesenen Weine, an die Farben der köstlichen Speisen. Jetzt kam endlich etwas Freude in ihm auf.

Feierlich wie bei einer Ordensverleihung drückte er ihr den Autoschlüssel in die Hand. Und schon kurze Zeit später durfte Sie zum ersten Mal am Steuer seines geliebten Wagens sitzen und es ging in Richtung des vertrauten Restaurants.

Er war es nicht gewohnt Beifahrer im eigenen Auto zu sein und Sie war es noch nicht ganz gewohnt Fahrer zu sein. Er versuchte sich zu entspannen und schaute aus dem Fenster. Blauer Himmel, weiße Wolken, herbstlicher Wald, grün, braun, gelb, eine junge Frau mit Kinderwagen, alles zog an ihm vorbei. Sie dagegen blickte streng gerade aus, fixierte Verkehrsschilder, huldigte den Ampeln und konzentrierte sich auf den Straßenverkehr.

Am Parkplatz vor dem Restaurant angekommen, stiegen Sie beide aus dem Auto und knallten wie gewohnt die Türen zu - nachdem sie brav das Knöpfchen gedrückt hatten.

Manchmal machen wir in unserem Leben Fehler – und das war ein eklatanter !

Während er noch erwartete, dass sie ihm den Autoschlüssel in die Hand drückte, drehte sie sich erschrocken um, versuchte vergeblich die Fahrertür zu öffnen und tat einen Aufschrei: „Um Gotteswillen – der Schlüssel steckt noch!“.

So etwas konnte natürlich nur bei einem japanischen Auto passieren. Hinterfotzig versteckte sich hier die Tücke des Objekts in einem kleinen Detail. Japaner sind eben etwas anders!

Jetzt war es mit seiner monatelang aufgestauten Geduld zu Ende und er machte sich erstmal Luft:

„Das darf doch nicht wahr sein! Du bist doch die Allerdümmste! Wie kannst Du nur so blöd sein? Den Schlüssel nicht ab zu ziehen. Was hat man euch in der Fahrschule eigentlich beigebracht !“

Er rekapitulierte die Situation: Auto verschlossen, Wohnungsschlüssel im Auto, 20 Kilometer von zu Hause weg, Winter kalt, Vermieter im Urlaub, Taxi und Schlüsseldienst. Er durfte gar nicht darüber nachdenken.

Nun - das brachte ihn erst recht in Rage und er warf ihr böse Blicke zu.

Sie, die eben noch nach absolvierter erster Fahrt ohne blöde Kommentare des Beifahrers neben sich im siebten Himmel ihres Selbstvertrauens geschwebt hatte, knallte jäh auf den Boden der Realität und Tränen rannen ihr in breiten Bächen über ihre rosigen Wangen.

Dann versuchte sie ihn etwas zu beschwichtigen und suchte nach einer Entschuldigung: „Ich war es doch immer gewohnt, dass Du den Schlüssel abziehst! Beruhige dich doch erstmal und lass uns etwas essen. Wir können dann gemeinsam überlegen, was zu tun ist.“

Er wollte sich nicht beruhigen – nein heute nicht. Er sank ihn sich, wo der wilde Löwe – mit dem schütterem Haar - immer noch brüllte, die Zähne fletschte und seine Augen funkeln ließ. Da nahm er auch den Hunger war und dass sein Magen knurrte. Er fantasierte kurz „Pasta, Pizza, Grappa! Er ernüchterte, er dachte plötzlich wieder und er kam zu einem Schluss: Auch er wollte sich die schon innig ersehnte Nahrungsaufnahme auf keinen Fall durch diesen Zwischenfall verderben lassen.

Man betrat schweigend das Restaurant, wartete kurz und bekam vom Cameriere einen Platz zugewiesen. Hier in der Trattoria war das Publikum sehr fein, es wurden scheinbar ernste Gespräche von höchster Wichtigkeit geführt und man konnte direkt den Eindruck gewinnen, dass hier ein Stück der Zukunft Deutschlands entschieden würde.

Anders an unserem Tisch. Hier war nach der ersten Bestellung und langem sich Anschweigen eine handfeste Beziehungskrise ausgebrochen. Er sparte nicht mit lauten Worten und Sie brach immer wieder schluchzend in Tränen aus.

Tischnachbarn blickten verstört auf den vermeintlichen Unruheherd, einen lavaspeienden Vulkan voller unberechenbarer Emotionalität. Aus dem Augenwinkel und mit einer Mischung aus Neugier und Ablehnung schien man zu beobachten was dort geschah. Frauen mit den diamanten funkelnden Augen einer Gräfin schienen laut zu denken „Was hat der grobe Kerl nur dieser Frau angetan“. Die graumelierten Herren an ihren Seiten studierten weiter die Speisekarte und wagten wohl insgeheim den Gedanken „Der traut sich ihr aber ganz schön die Meinung zu sagen“.

Nun haben italienische Ober bekanntlich ein großes Herz. Und schließlich kam einer der Kellner auf das Paar zu und fragte höfflich, ob er denn etwas helfen könne.

Man schilderte ihm kurz die Misere. Der Ober nickte verständnisvoll und hatte auch schon nach kurzer Zeit die Lösung.

Der Italiener beugte sich über den Tisch, gestikulierte und flüsterte leise: „Für Guiseppe - mio collega da cucina – nessun problema. Er sein siciliano und machen jedes Auto auf.“ Ungläubig vernahm unser Paar dies. Sie schniefte nochmals, hörte dann auf zu weinen und aus beider Augen schien ganz unerwartet ein irriger Funke Hoffnung zu blitzen.

Schon kurz darauf verschwand der Ober hinterm Tresen und man vernahm ein leises Tuscheln aus der Küche. Dann tauchte plötzlich sein Kollege Guiseppe der Koch im Türrahmen der Küche auf. Er war weiß gekleidet. In der einen Hand hatte er ein großes Küchenmesser und in der anderen Hand hielt er einen Drahtkleiderbügel. So bewaffnet, sah er aus wie der vermeintliche Bezwinger eines Achttausenders – vor dem Aufstieg, im Basislager, bei strahlendem Sonnenaufgang. Stolz und mit geschwellter Brust schritt er nun in Richtung Lokaltür. Geduckt und schweigend folgte ihm unser Paar.

Ein Raunen ging durch das Lokal und die feinen Herren und Damen folgten mit ihren neugierigen Blicken dem Geschehen.

Man ging vor die Tür, trat in die eiskalte Novembernacht, die Sterne funkelnden herab und Guiseppe machte sich sofort am Parkplatz über die mit Eiskristallen überfrorene Seitentür des Toyotas her. Doch Japaner sind einfach etwas anders! Vielleicht hätte Guiseppe ja vorher das Buch „Zen in der Kunst ein japanisches Auto zu knacken“ von Suzuki Nusubito studieren sollen ?

Auf alle Fälle versuchte nun Guiseppe mit aller Kraft das Seitenfenster der Beifahrertür mit dem Küchenmesser aufzuhebeln. Plötzlich knackte es laut und das gefrorene Glas zersprang mit hellem Klirren in tausend Scherben. Guiseppe „unser Held“,“unser Helfer in der Not“, „unser Eisheiliger“ – er hatte mit dem plötzlichen Nachlassen des Widerstands nicht gerechnet. Unversehens rutsche er mit einem Ruck vorwärts und die scharfen Zacken des Glasfriedhofs schnitten in seinen gebräunten Unterarm wie die Reißzähne eines Polarbärs in das Robbenbaby. Guiseppe schrie lauthals auf und fluchte gellend auf Italienisch.

Der Italiener blutete wie ein Schwein. Wie Wasser den Tiber hinabfliest, so floss nun das Blut in breiten Strömen über seine weiße Schürze, färbte sein Gewand rot auf weiß und pinselte ein abstraktes Gemälde auf die bereits von honigfarbener Bratensauce befleckte Leinwand.

Wie er blutig Richtung Küche stürzte, mit weit aufgerissenen Augen, mitten durchs Restaurant, dem rettenden Verbandskasten entgegen, immer noch das große Küchenmesser in der Hand - da sah er aus wie „der Metzger“ aus einem schlechten Horrorfilm.

Ein Schreck ging nun durch den Raum. Die Gräfinnen rutschten verängstigt und unruhig auf ihren Stühlen hin und her und den graumelierten Herren mit den ernsten Gesichtern stockte der Atem.

Als 30 Sekunden später dann doch das schon vermisste Paar unversehrt in der Tür erschien, konnte man das Aufatmen in der Trattoria regelrecht spüren. Der aufgeregte Ober folgte und versuchte nun mit beschwichtigenden Gesten die Gäste zu beruhigen.

Das Problem hatte sich gelöst. Der Casus Belli war durch die normative Kraft des Faktischen hinweggeschwemmt worden. Eine neue Scheibe war nun unumgänglich - aber die Heimfahrt war gesichert und man konnte sich den Schlüsseldienst sparen. Das Opferlamm Guiseppe war geschlachtet worden und bei unserem Paar kehrte langsam wieder Frieden ein.

Das Paar setzte sich schweigend wieder an den Tisch. Man brachte das Essen schnell zu Ende, zahlte, sprach ein Lob auf die gute Küche aus, entschuldigte sich für die Umstände und wünschte Guiseppe „gute Besserung“.

Auch wenn kein Hausverbot ausgesprochen wurde, wünschten sich die Beiden, dass bis zum nächsten Besuch der Nebel des Vergessens über diese Gaststätte und das Ereignis des Tages kommen möge.

(c) Karl Obermair


© Karl Obermair


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