Tod einer Schildkröte

© yupag chinasky

Tod einer Schildkröte

Sie saßen zu dritt in einem in die Jahre gekommenen Auto, einem Chevy, den es schon längst nicht mehr geben dürfte. Der eine, der das große Wort führte, saß auf dem Beifahrersitz, der andere, der nur hin und wieder zustimmend grunzte, am Steuer. Der dritte, der die ganze Zeit schwieg, kauerte auf der schmuddeligen Rückbank. Es war ein heißer Tag und sie fuhren bis an das Ende der Landzunge, links das Meer, rechts das Schilf der Lagune. Die Luft flirrte, der weiche Asphalt bespritzte das Chassis und fügte dem schon seit langem glanzlosen Lack eine weitere, undefinierbare Farbe hinzu.

Der dritte fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in seiner Haut, denn er schwitzte stark, obwohl er als einziger leger gekleidet war, Polohemd, kurze Hose, Sandalen, die beiden anderen trugen graue Anzüge und hatten sogar Krawatten umgebunden. Doch wie prekär seine Lage wirklich war, wurde ihm erst bewusst, als der Fahrer eine Schildkröte überfuhr, die sich wider jegliche Vernunft bei dieser Affenhitze auf den Weg gemacht hatte, die Straße im langsamen Kriechgang und mit auffallend hochgerecktem Hals zu überqueren. Er hatte sie bewusst überfahren, obwohl er das handtellergroße, dunkelbraune Tier rechtzeitig gesehen haben musste und auch nicht schnell gefahren war, denn das konnte man mit dieser alten Kiste gar nicht. Er war direkt auf das Tier zugefahren und als der linke Vorderreifen den Panzer überrollte, gab es ein hässliches, knackendes Geräusch. In diesem Moment war dem dritten klar geworden, dass mit den beiden auf den Vordersitzen nicht zu spaßen war, dass sie gefährlich waren.

Sie erreichten kurz darauf ihr Ziel, eine Plattform aus Holz, die in die Lagune hineingebaut war und der Beobachtung von Vögeln diente. Der eine hatte den Ausflug vorgeschlagen. Man sei auf der Halbinsel ungestört und könne offen und in Ruhe miteinander reden, kein verdammtes, unbefugtes Ohr, so sagte er, würde mitlauschen, kein beschissenes, neugieriges Auge einen beglotzen. Der Fahrer stellte den Wagen unter einen dürren Baum, der ein wenig Schatten spendete und machte alle vier Türen weit auf. Dann gingen sie die paar Meter zu der Plattform, die mit einem Schutzdach gegen die brennende Sonne und gegen den sporadischen, dafür aber um so heftigeren Regen ausgestattet war. Vor ihnen lag nun die Lagune, die mit Schilf und einigen, wenigen niederen Bäumen bewachsen war, ein wahres Paradies für Vögel. Der eine war offensichtlich an Vögeln interessiert. Er besaß gute Kenntnisse, möglicherweise war er Hobbyornithologe, denn er begann sofort die beiden auf die wenigen Tiere, die man zu dieser Tageszeit sehen konnten, aufmerksam zu machen. Er nannte ihre Namen und beschrieb einige Besonderheiten. Der andere hörte uninteressiert zu, er schien die Marotte seines Kumpels zu Genüge zu kennen. Er hatte ein großes Klappmesser mit einem eleganten Horngriff aus seiner Hosentasche geholt und begann nun mit der Spitze der leicht gebogenen Klinge seine Fingernägel zu reinigen. Auch der dritte hörte den Ausführungen über Balz-, Nist- und Brutverhalten kaum zu, aber aus einem anderen Grund. Er überlegte fieberhaft und angestrengt, was er antworten sollte, wenn der eine zum Kern der Sache, zum Grund für ihren gemeinsamen Ausflug kommen würde.

Schließlich war es soweit. Der eine hatte seine Ausführungen beendet und schwieg, jedoch nicht lange. Sein Blick, der eben noch versonnen über die weite, topfebene Fläche gestrichen war und sich an den weißen, rosa und dunklen Punkten ergötzt hatte, die er als Pelikane, Flamingos und Raubmöven identifiziert hatte, dieser Blick wurde auf einmal hart und fixierte die Augen des dritten, obwohl diese hinter einer Sonnenbrille verborgenen waren.

Was is jetzt?
Was, was ist jetzt?
Na du wirst doch noch wissen, wozu wir hier sind. Was wir dir gestern Abend gesacht ham und was du dann zu uns gesacht hast. Da war doch alles klar gewesen. Oder? Also noch mal meine Frage. Steigst’e jetzt ein oder nich?


Der andere grunzte und unterbrach für einen Moment sein Gepule.

Das ist nicht so einfach. Das ist erst mal eine teure Sache für mich. Ich weiß gar nicht, wie ich das Geld auftreiben soll. Und das Risiko, das Risiko ist einfach zu groß.
Dafür kannst’e aber ne Menge Kohle machen, ohne Aufwand. Ich erklär dir das Ganze noch mal punktgenau.

Der eine begann ruhig und ausführlich den Plan, den er am Vorabend in der lauten, verqualmten Bar skizziert hatte, nochmals zu erläutern. Er führte alles an, was er schon gesagt hatte, wurde dann aber viel präziser und ausführlicher. Er kam vom Hundertsten ins Tausendste und verlor sich in anscheinend überflüssigen Details. Er geriet regelrecht ins Schwärmen und konnte am Ende kaum aufhören, seine Genialität als Denker, Planer und Stratege gebührend hervorzuheben. Der andere grunzte ab und an zustimmend.

Das Ganz hörte sich plausibel und machbar an, doch der dritte wand sich. Einerseits reizte ihn die Aussicht auf das schnelle Geld. Andererseits war er ein vorsichtiger Mensch, der das Risiko scheute. Und dies Geschäft war risikobehaftet, verdammt risikobehaftet. Wenn es das nicht wäre, würden die beiden doch nicht einen Strohmann wie ihn suchen, einen der sich aus dem Dunkeln wagen sollte und der plötzlich, wenn etwas schief ging, nackt und bloß im hellen Scheinwerferlicht stehen würde. Und es konnte viel schief gehen. Es konnte undichte Stellen geben. Menschen, die die wahre Absicht erkannten, würden alles tun, um das Vorhaben zu verhindern. Ein ungebetener Dilettant konnte versuchen, auf den fahrenden Zug zu springen, dabei abrutschen und dadurch viel Wirbel verursachen. Und wenn die Sache erst publik wäre, würde die Öffentlichkeit, die Presse, die Polizei und die Staatsanwaltschaft das Thema begierig aufnehmen, Nachforschungen anstellen, Ermittlungen durchführen. Und alle Wege würden zu ihm führen, nur zu ihm und dann war er dran, dann gab es kein Entrinnen, kein Leugnen, kein Abtauchen. Dann war er erledigt. Und wenn ich, so überlegte er weiter, während der eine ihn scharf und kritisch anschaute und der andere ungerührte zum x-ten Mal den längst nicht mehr vorhandenen Dreck unter den Fingernägeln suchte, wenn ich mitten drin aussteigen würde, rechtzeitig die Flatter machen und mit dem halben Gewinn abhauen würde, dann hätte ich die beiden am Hals. Dann wären alle Erklärungsversuche für den Arsch, dann wäre ich die Schildkröte.

Haste’s dir überlegt? Bist’e endlich zu’nem Schluß gekommen? Was glaubs’te wohl, wofür wir unsre Zeit hier vertrödeln?

Der Ton des einen war schärfer geworden, aggressiver, drängender. Der andere grunzte wieder zustimmend und sagte dann den ersten vollständigen Satz an diesem Nachmittag.

Ganz recht, glaubst wohl, wir hamm Zeit wie Wüstensand, du Arsch. Wenn de jetz nich zu Potte kommst, kannste was erleben, nix Feines, das sach ich dir.

Der dritte musste noch stärker schwitzen als im Auto. Das Wasser rann ihm von der Stirn, sein weißes Poloshirt war vorne und hinten nass. Moskitos stachen ihn in seine nackten Schenkel und Arme. Die beiden anderen machten einen wesentlich frischeren Eindruck, obwohl sie die Jacketts ihrer Anzüge nicht einmal abgelegt, sondern nur die Krawatten geöffnet hatten.

Je länger der Ausflug andauerte, um so unsicherer wurde der dritte, um so weniger sah er sich in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Sein Verstand sagte ihm, mach ihnen klar, dass du nicht willst, dass du das nicht kannst, was sie von dir wollen, dass du einfach der falsche Mann bist, dass das gestern Abend Flax war, unbedachtes Geschwätz, dass du besoffen warst als du zugestimmt hattest. Seine Gier sagte ihm, komm, sag zu, mach mit, ergreif die einmalige Gelegenheit beim Schopf, dann bist du erst mal viele Sorgen los, was soll denn an dem Plan schon schief gehen, das Risiko ist so minimal, wie ein Fliegenschiss. Seine Angst sagte ihm, du kommst aus der Sache nicht mehr raus, dafür weißt du zu viel, wenn du die sitzen lässt, machen sie dich kalt, die können niemals zulassen, dass du rumrennst und den Plan kennst, auch wenn du hoch und heilig versprichst, zu niemandem ein Wort zu sagen. Nur sein Mut sagte nichts, der hatte ihn total verlassen und sagte kein einziges Wort.

So stand er schwitzend, schweigend, unschlüssig auf der Plattform, hielt sich am Geländer fest, sah in die Ferne und versuchte die Vögel zu erkennen. Doch das Licht flimmerte zu sehr und der Schweiß rann ihm in die Augen bis sie brannten und er fast blind war.


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© yupag


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