Neben dem gefrorenen Flussbett, auf einer kleinen Anhebung aber vermutlich mit steinernem Fundament gebautem und direkt am Rand einer tiefen Kluft errichteten Zaun war nun doch ein Haus in Sicht. Die letzten Tage hatte Adrian nur darauf gewartet, dass er endlich irgendwo Unterschlupf finden kann, Feuer und Höhlen schützen zwar vor dem Wetter aber nicht vor der Einsamkeit die so ein Marsch mit sich bringt. Langsam trat er an das Haus hinan, bewusst stapfte er mit den Füßen durch den dicken Schnee der den Boden bedeckt, um den Bewohner auf sich Aufmerksam zu machen. Er wusste, wenn er sich in irgendeiner Form nicht als einzuladende Person präsentierte, würde er vermutlich hier draußen erfrieren. Noch machte ihm die Kälte nichts aus, aber nachts konnte es in der Gegend bis zu minus 20 Grad geben, nicht gerade der ideale Ort für einen Campingausflug. Aber deswegen war er auch nicht unterwegs, also gab es keine andere Möglichkeit als in die Kälte eines besonders harten Novembers zu ziehen.

Als er gerade an der Tür stand und eine Klingel suchte, rieselte eine überraschend große Menge Schnee auf ihn herab. Sich den Kopf kratzend, und den „Schnee“ als Asche identifizierend war das nächste was er spürte eine Tür, die ihm ins Gesicht schlug. Noch benommen sammelte sich so schlagartig das Adrenalin in seinem Körper an und Adrian machte sich bereit, um sein Leben zu kämpfen, als ihm eine alte Frau ins Gesicht blickte.

„Oh, tut mir leid, ich dachte ich hätte etwas gehört und wollte nachsehen ob Frieda nicht wieder abgehauen ist. Herrje, was haben sie denn da auf dem Kopf? Was haben sie denn da? Warten sie mal kurz.“

Und bevor der 18-jährige ein Wort sagen konnte, knallte man ihm die Tür wieder vor der Nase zu, dass die Scharniere der vom Wetter zerfressenen aber noch intakten Tür nur so quietschten und nachwackelten. Von drinnen war nur ein leicht vom Schneeregen, der mittlerweile eingesetzt hat übertönte „Scheiße Frida, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du aufpassen sollst bevor du etwas aus dem Fenster wirfst. Einmal ein Gast da un “ – der Rest würde von einer besonders peitschenhaften Windböe übertönt werden.
Die Tür, die trotz der vorherigen und wahrscheinlich regelmäßigen Einsetzung dieser Kraft noch zu funktionieren scheint, öffnete sich fast lautlos vor Adrian während er sich von einzelnen Schnee- und Ascheflocken auf seinem Gesicht befreite.

Die Frau, welche zuvor noch einen angeregten Dialog zu führen schien, stand im Rahmen der Tür und, jetzt mit einer massiven orangenen Brille ausgestattet, auf einem türkisblauen Teppich in dessen Ränder Gold eingewebt zu sein schien. Sie begutachtete Adrian mit einer Mischung aus Unglauben und Faszination. Wieso sind so viele junge Leute in dieser Region unterwegs? Die müssen doch bekloppt sein bei den Temperaturen draussen zu sein.

„Ach bitte, entschuldigen sie die Verzögerung, kommen sie mal aus dem kalten herein, draussen muss es ja furchtbar sein“
„Danke, vielen Dank, Guten Tag erstmal, mein Name ist Adrian, Danke das sie mich rein bitten, ja es ist langsam wirklich etwas belastend hier draussen“ – sagte er, während er das Gefühl hatte, dass seine Hand gleich abfrieren würde.

Langsam aber gezielt betrat er das Haus, welches von innen einen durchaus vornehmen Eindruck machte. Ein schönes helles Leder ummantelte so gut wie alle Möbel, die präsent waren. Nicht mehr unbedingt neu, man sah das Menschen Abenteuer auf der Couch erlebt haben, aber professionell gegerbt, das merkte er sofort. Musste er ja auch. Vater hatte ihm ja die ersten paar Jahre seines Lebens von nichts anderem als der Lederbearbeitung erzählt. Gott, wie Adrian diese Zeit vermisst.
„Wieso haben wir nicht so schöne Dinge“ fragte Adrian sich halblaut, ohne daran zu denken das die Alte nicht unbedingt taub ist.
„Ach wissen sie, seit ich ohne meinen Mann lebe ist es hier deutlich besser geworden, ich und meine Tochter haben zwar unsere kleinen Streitereien, aber manches muss halt auch mal gesagt werden. Sie löste, zu Adrians fassungslosem Erstaunen, während dieses kleinen Austausches einen Zauberwürfel, den Frieda mal wieder hat rumliegen lassen.
„Beeindruckend“ bemerkte er.
„Alles eine Frage der Übung“ antwortete sie mit einem zwinkern.
„Ach, und ihr Mann hat Leder gegerbt?“ „Er hat es mal aus Spaß ausprobiert und mir gezeigt. Ich war ein Naturtalent, sowohl was die Herstellung als auch die Verarbeitung angeht, hat er gesagt und seitdem verwende ich was hier so an Leder vor die Tür schlägt.“ Eine seltsame Redensart, dachte sich der immer noch leicht benommene Adrian. Sie nahm einen Luftzug, als würde der Gedanke an ihren Mann ihr unwohl bereiten. „In letzter Zeit ist es zwar seltener geworden, aber Jäger haben hier früher oft Halt gemacht und ich habe genommen was ich kriegen konnte. Alles was ich dafür brauche..“ – die Frau, welche sich als Alicia herausstellen sollte, ein ungewöhnlicher Name dachte Adrian, stockte und lud mit dem Eintreffen Fridas, ihrer Adoptivnichte Adrian zu einem Tee ein.
„Sie müssen ja furchtbar durchgefroren von ihren Händen an, Frieda schau doch nur mal diese wunderschönen Hände, völlig durchgefroren!“ Frieda trat nah an Adrian heran, fast schon zu nahe für sein wohlbefinden, aber der Satz „Verärgere nie deinen Gastgeber, wer weiß wie lange er es bleibt“ von seinem Vater hängt ihm immernoch im Ohr.
Im geräumigen direkt an den Hauseingang anliegenden Esszimmer nahmen die 3 dann Platz, und Adrian fiel auf, dass er sich Frida noch gar nicht vorgestellt hat. Das wollte er natürlich nachholen. Im Gedanken darüber starrte er sie unfreiwillig an. Die junge Frau, nicht blind, merkte dies sofort und hielt die Hand für ein High five in die Luft. Adrian, völlig perplex, klatscht in ihre Hand woraufhin Frida unter Schmerzensschreien zu weinen anfängt.
„Na toll sie Idiot, sie ist stumm und hat sie gegrüßt.“ fuhr Alicia ihn an.
„Entschuldigung, i-i-ich wusste nicht, aber sie hat d-d-doch…“ stammelte Adrian.
Frida und Alicia fingen an schallend loszulachen. „Alles in Ordnung“ sagte Frida nachdem sie sich beruhigt hat. „Tee?, hing sie noch dran.

„Ich glaube Kaffee wäre jetzt eher mein Favorit“ seufzte Adrian erleichtert
„Mit Schuss?“ kam es wie aus der Pistole von Alicia
„Nein danke“
„Sicher? Wir haben auch eine spezielle Zutat die einen echt umhaut.“ Kam es von Frida.
Alicia sah sie lange an. „Was stimmt mit den beiden nicht“ – dachte Adrian sich. Zumindest war er davon überzeugt, Adrian redet oft mit sich selbst und Alicia und Frida haben jedes Wort gehört, aber sich dazu entschieden, nichts zu sagen. Frida rutschte etwas näher an Adrian heran, ihre Stimme, welcher vorher an einen Sperling erinnert hatte, wurde irgendwie… cremiger, dachte sich Adrian.
Aber weiblichen Annhäherungsversuchen gegenüber resistent wie ein Ochse der Vogelgrippe wusste er nicht genau, was er daraus machen sollte.
„Ich verspreche dir, dieser Schuss wird deine Meinung ganz schnell ändern“ kam es ruhig von ihr, während sie trotz seines Protests einen guten Schluck aus einer abgedunkelten grünen Flasche hinzugab.
Adrian, den gerade noch die Sehnsucht gepackt hatte, nahm die Tasse in die Hand und fragte Frida „Was hattest du vorhin eigentlich aus dem Fenster geschüttet?“
„Ach, das war nur“ – setzte Frida an, als Alicia ihr mit einem klassischen tritt gegen ihren freiliegenden kleinen Zeh ins Wort fiel.
Frieda wollte nie wie ihre Tante sein. Aber was sein muss, muss eben sein. Nach einem kurzen deutlich gespielten Husten sagte sie nur „Ach, das war nur der Hamster meiner Tante, ich war sauer auf sie da habe ich ihn verbrannt“. Die Trauer und Wut in Alicias Augen bestätigte dies aus Adrians Sicht, während Alicia innerlich tausend Tode wegen ihrer inkompetent lügenden Nichte starb.
Schnell das Thema wechselnd und stumpf wie sie eben ist fragte Frieda daraufhin, was Adrian denn eigentlich in die Gegend treibt
Adrian dachte kurz nach und entschied sich dazu die Wahrheit zu sagen: “Meine Schwester hat meinen Hund getötet weil er auf sie los ging und versteckt sich jetzt etwa 80 Kilometer nördlich von hier wie mir mitgeteilt wurde. Ich bin ihr nicht böse, es war Selbstverteidigung, ich habe es ja selbst gesehen, aber sie kann mit den Gedanken, dass was sie getan hat, es nicht ertragen in der Nähe von mir zu sein. Mein Vater ist krank und kann kaum gehen und da mein Bruder vor genau 3 Monaten eingezogen wurde soll ich nun nach ihr suchen.“

Da mussten Alicia und Frida erstmal schlucken, das klingt nach einer sehr tragischen Geschichte, aber interessiert hat es sie nicht wirklich, ihnen war wichtiger, dass Adrian jetzt endlich aus seiner Tasse trinkt. Doch er erzählte. Und erzählte. „Das klingt wirklich schlimm, wie wär’s, wenn du jetzt erstmal einen Schluck trinkst?“ warf Frida gekonnt in die Situation ein. Alicia war selten so enttäuscht von den rhetorischen Fähigkeiten ihrer Adoptivnichte. „Subtil“ flüsterte sie ihr sarkastisch zu, während Adrian noch im Redefluss war, die Augen auf die Decke gerichtet und in seinem Stuhl zurückgelehnt.

„Selbst an der Decke hängt ein mit Leder ummanteltes Kreuz. Diese Frauen haben es aber auch mit ihrem beschissenen Leder. Aber gut ist sie. Und Kraft hat sie. Wie sie wohl trainiert? Wie zum Teufel hat so eine kleine Frau so ein hoch hängendes Objekt befestigt. Wovon erzählt sie da?“ Adrian landete mental wieder zurück im Gespräch,
„… und deswegen muss man aufpassen, das man im Winter nicht Neurodermitits kriegt. Das passsiert ganz schnell, und dann ist die ganze Haut ruiniert“, beendete Frida ihren täglich 3 mal geprobten Aufsatz über das Häuten und von Großwildhaut. Alicia nickte stolz zu Frida rüber deren Freude kaum zu übertreffen war.
„Ja, klar, logisch, Neurodermitis, hab ich auch. Ist nicht schön.
Den Frauen schlugen die Kinnladen in einer Synchronität auf die Tassenränder wie Adrian es noch nie gesehen hat. Oder sehen würde
Adrian, davon nicht ein bisschen Notiz zu nehmen scheinend, setzte sich wieder aufrecht hin und bekam den Gedanken an seine Schwester nicht aus dem Kopf, aber seine Hände waren noch Eiszapfen von den kalten Temperaturen draussen. Hier drin war es kuschelig warm, aber er musste weiter, das wusste er, das wussten die beiden, der arme Knilch im Keller, jeder der Adrian gerade hören konnte.
Unten im Keller kannte man den Kaffee schon. Er betäubt dich wie Whiskey nach dem Aufstehen. Als erstes die Zunge, die brauchst du dank Knebel dann ja auch nicht mehr. Dann deine Arme, dann kannst du dich nicht wehren. Dann deine Hüfte, dann kannst du dich nicht mehr so schnell drehen. Und schlussendlich deine Beine, und dann bist du dieser Hexe ausgeliefert.
„Hören sie mal ich…“ setzte Adrian an, „…muss los“, ergänzte Frieda sichtlich betrübt, „Ja sie sollten sich wirklich auf den Weg machen“ setzte Alicia an der Stelle ein, „das Wetter scheint sich sogar gebessert zu haben. Warten sie, wegen ihrer Haut habe ich vielleicht etwas für sie“
Ein Blick aus dem Fenster verriet ihnen, dass das nicht der Fall war. Genau so wenig hatte Alicia noch etwas von der betäubenden Creme übrig die sie für Notfälle aufbewahrt. Im Keller, natürlich. Adrian konnte nichts anderes in seinem Kopf verarbeiten als die plötzlich auftretende Angst um seine Schwester.
Kurz bevor er seinen Mantel nehmen konnte, bot Frida Adrian noch ein Geschenk an, als Zeichen der Solidarität sagte sie. Adrian, immer noch völlig neben sich, nahm es mit leerem Blick zur Inspektion in die Hände und drehte das Objekt ein paar mal. „Es sind Handschuhe, die haben innen eine spezielle Beschichtung, komm doch mal wieder vorbei. Hilft gegen die Neurodermitis.“, kam es von Frida trocken. Wie aus einer anderen Welt gerissen stand Adrian nun plötzlich im Wohnzimmer, gefangen von seinen Gedanken. „Hey.“ „Hey!“ „HEY!“, Frida’s Versuche ihn wieder zu aktivem Bewusstsein zu brüllen waren zwar höchst unbeeindruckend für Alicia, aber es scheint funktioniert zu haben.
Adrian, wieder er selbst, nahm die Handschuhe dankend an und umarmte die junge Frida und die alte Alicia einmal fest, bedankte sich für die Handschuhe und bevor er ging flüsterte Frieda ihm noch etwas in Ohr um sich seiner Rückkehr sicher zu sein. Ein schnelles Nicken und ein hinterhergeworfenes „Aber die Handschuhe nur so lang du sie brauchst“, und alsbald verschwand Adrian hinter der nächsten Eiche. Er bemerkte nicht, dass diverse Kleidung an ihren Zweigen hing, so sehr hallten noch ihre Worte in Ohr, Mark und Bein: „Lauf. Oder sie kriegt dich.“

„Warum musstest du ihm die Handschuhe geben? Sie waren mein Meisterwerk“
„Ach Tantchen, ich wollte doch nur das er ein Andenken an seine Schwester hast, und der Rest von ihr liegt doch im Keller. Ein Damenhemd hätte ihm bestimmt nicht gefallen. Und an den Handschuhen ist doch die schöne Schafswolle auf dem Leder, da sieht es fast aus wie Hirschhaut. Oder wolltest du ihm lieber einen deiner Jägersessel schenken?


© Marius Knappe


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