Robbi raucht

© Audi / Bildbearbeitung Wolfgang Sonntag

Es war mal wieder so ein Arbeitstag, der nicht vorbeigehen wollte. Als hätte jemand Kleber auf die Zeigerachse der Uhr geträufelt. Auch Robbi hatte das Gefühl, dass seine innere Uhr mit einer Schnecke um die Wette lief. Er hatte heute schon so viele Autos lackiert, dass er sich selbst fragte: Ja, wie viele denn? Er wollte gerade in sich gehen und seinen Datenspeicher diesbezüglich auslesen, als das Transportband plötzlich stehen blieb ...
Nanu, kein Alarm, keine Sirenen, wahrscheinlich wieder eine von diesen Qualitätskontrollen. Gerne hätte Robbi den schicken Audi TT vor sich noch in dem gewünschten Silber lackiert, aber wenn das Band steht, hat er keine Freigabe, weil das lackierte Auto nicht rechtzeitig in den Backofen käme, und dann wäre seine Arbeit für die Katze und es gäbe auch nur wieder Ärger.

Ach schön, dachte Robbi. Dann kann ich ein bisschen verschnaufen. Aber was mache ich in der Zeit? Was machen denn meine menschlichen Kollegen, wenn sie eine Pause haben? Nun, sie essen und trinken etwas … brauche ich ja nicht, ich arbeite mit elektrischer Energie. Oder sie gehen auf's Klo … muss ich nicht, ich produziere keine Abfälle. Oder sie spielen mit diesen kleinen flachen Dingern, sie nennen sie Smartphones. Das wäre doch was für mich. Aber ich habe keins und außerdem würde ich es mit meinen klobigen Fingern nur zerkratzen. Also mache ich nichts, knötterte Robbi unzufrieden vor sich hin.

Nach einer Weile hatte Robbi dann doch das Gefühl, als wenn ihm diese berühmte Decke auf den Kopf fallen würde. Gelangweilt ließ er den Blick seiner Sensoren schweifen. Nebenan auf dem verwaisten Programmier- und Kontrollplatz seines Technikers entdeckte Robbi eine angefangene Schachtel Zigaretten. Die letzte Zigarette, die so halb aus der Schachtel raus hing, lachte Robbi so an, dass ihm sofort wieder einfiel: Stimmt, die Menschen rauchen, wenn sie mal ein bisschen Zeit haben. Das will ich jetzt auch mal probieren ...

Robbis elektronisches Gehirn lief auf Hochtouren: Was mache ich jetzt? Liegt diese Schachtel Zigaretten innerhalb der Reichweite meines Arms. Womit greife ich die Zigarette. Ich habe doch diese blöde Lackierpistole in der Hand. Was mache ich, wenn jemand kommt. Oder wenn es plötzlich hier weiter geht und das Transportband wieder anläuft.

Anstatt sachlich weiter zu überlegen, fing Robbi plötzlich an herzhaft zu lachen: Hihihi, könnt ihr euch vorstellen, ich muss weiter lackieren und habe eine Zigarette in der Hand?!

Aber jetzt eins nach dem anderen. Ich muss systematisch vorgehen, wenn ich herauskriegen möchte, was die Menschen an dieser Raucherei so schön finden.

Also los, erst mal die Reichweite des Arms. Robbi wollte das testen und sich drehen, aber er bewegte sich keinen Millimeter. Ach, verdammt, schimpfte er: Ich stehe ja im Modus „Automatik“. Ich kann mich nur in „Manuell“ mit meinem eigenen Willen bewegen.
Es ist normal nicht möglich, aber Robbi fing langsam an zu schwitzen. Als er endlich in seinem Datenspeicher den richtigen Chip gefunden hatte, musste er diesen nur noch überreden, in den gewünschten Modus umzuschalten. Erledigt, und? Ha, es funktionierte. Stolz drehte Robbi sich 180 Grad entgegengesetzt zu seiner ewigen Arbeitsstellung … und wieder zurück … und wieder hin … und wieder her … Er war so glücklich über dieses neue Gefühl, wie ein Blinder, der plötzlich sehen kann, oder ein Querschnittgelähmter, der wieder laufen kann … und er vergaß die Zeit …

Robbi drehte sich in die gewünschte Position und fuhr seinen Arm so weit wie möglich aus. Ja, das würde reichen, aber da war schon das nächste Problem: Mit dieser Lackierpistole in der Hand konnte er die Zigarette nicht greifen. Ok, ich habe es ja jetzt drauf, prahlte Robbi. Werkzeugwechsel, die klobigen Finger gaben die Pistole frei und sie sprang nach dem zischenden Lösen des Farb- und Druckluftanschlusses aus Robbis Hand und knallte zwei bis drei Zentimeter neben der Zigarettenschachtel auf den Tisch des Technikers. Vor Schreck hatte Robbi das Gefühl, das sein Atom-Uhr synchronisierter Taktgenerator kurzzeitig aus dem Schritt kam. Puh, das war knapp, sprach er, aber schnell weiter. Robbi griff die Zigarette am Filter und zog sie vorsichtig aus der Packung, aber er zitterte vor Aufregung so sehr, dass der Tabak aus der Spitze herausrieselte. Ruhig, stöhnte er, ich muss ruhiger werden.

Das nächste Problem war etwas Grundsätzliches: Wohin mit der Zigarette? Robbi hatte noch nie geraucht. Aber er hatte es bei seinem Techniker schon einmal gesehen. Man steckt sich diese Zigarette in den Mund und saugt daran, und atmet den Dampf ein. Robbi jammerte: Ich habe doch gar keinen Mund und keine Lunge. Warum habe ich mir nicht früher überlegt, dass ich gar nicht fürs Rauchen gemacht bin?!

Aufgeben ist etwas für Schwächlinge. Robbi dachte logisch: Ich habe einen Druckluftanschluss. Aber wie der Name sagt, Druckluft. Beim Rauchen muss man saugen. Plötzlich kam Robbi die Idee. Vor Freude hätte er sich am liebsten vor die Stirn geschlagen, aber er hat ja keine. Ich habe doch diesen Ventilator, der mein Gehirn kühlt, und der saugt Luft an. Betonung liegt auf „saugt“. Etwas unbeholfen steckte Robbi die Filterseite der Zigarette in das Schutzgitter des Prozessor Lüfters. Und … nichts passierte. So ein Mist, es funktioniert nicht, ich muss was vergessen haben. Natürlich, bevor die Menschen rauchen, fuchteln sie mit so einem kleinen Kästchen vor der Zigarette herum, wo eine Flamme rauskommt. Ich muss die Zigarette mit irgendwas Heißem anzünden.

Krampfhaft suchte Robbi unter diesem augenblicklichen Zeitdruck die Umgebung ab und entdeckte auf dem Tisch seines Techniker eine Lötstation. Das ist die Lösung, dachte er, damit kann ich die Zigarette anzünden. Mit seinen dicken, aber geschickten Fingern schaltete Robbi die Lötstation ein. Er wartete die Aufheizphase ab, nahm den Lötkolben aus den Ständer und hielt ihn an die Spitze der Zigarette. Er musste nicht lange warten, da entstand schon die Glut. Erst ein bisschen, dann ein bisschen mehr, dann viel, dann zu viel … Gierig sog der Lüfter den Rauch in sich hinein. In Sekunden war Robbis Arbeitsplatz eingenebelt wie bei einem Feuerwerk.

Ich weiß nicht, meinte Robbi, wenn die Menschen rauchen, qualmt es irgendwie weniger, und so richtig Spaß empfinde ich dabei auch nicht. Seine neuen Gefühle konnte er nicht weiter verfolgen, denn es kam wie es kommen musste. Der Rauchmelder wurde durch diese Rauchorgie ausgelöst.

Hastig kam Robbis Techniker und ein Beauftragter vom Brandschutz mit einem Feuerlöscher in der Hand in Richtung des Rauchs gehetzt. „Schnell, Robbi brennt. Los, löschen!“ Gerade wollte der Mann vom Brandschutz den Feuerlöscher aktivieren, da brüllte der Techniker: „Stopp, falscher Alarm!“ „Was ist denn los?“ „Irgend so ein Witzbold hat eine brennende Zigarette in Robbis Lüftergitter gesteckt.“

Als sich die Hektik etwas gelegt hatte, sollte endlich die Produktion wieder anlaufen. Der Techniker wollte gerade grünes Licht geben, als ihm auffiel, dass Robbi im „Manuell“ Modus stand und seine Lackierpistole auf dem Tisch lag. Schmunzelnd sprach der Techniker zu Robbi: „Ey Robbi, es ist aber noch kein Feierabend“, und drückte ihm die Lackierpistole wieder in die Hand und schaltete auf „Automatik“.

Der Techniker sprach zu seinem Feuerwehr Kollegen: „Auf den Schreck gehen wir erst mal eine rauchen.“ Er wunderte sich über die leere Schachtel auf seinem Tisch, nahm eine neue aus seiner Kitteltasche.

Der Beauftragte vom Brandschutz war noch damit beschäftigt, den Feuerlöscher wieder zu sichern. Er schaute etwas verdutzt zwischen Techniker und Robbi hin und her und murmelte vor sich hin: „Jetzt spricht der schon mit einem Lackier-Roboter. Als wenn der ihn verstehen würde.“

Robbi, der vom Rauchen geheilt war, schaute mit einem innerlichen breiten Grinsen hinter den beiden her und sagte zu sich selbst:
Wenn die wüssten ...


© Wolfgang Sonntag


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Beschreibung des Autors zu "Robbi raucht"

„Robbi raucht“ hätte eigentlich gut in die Kategorie „Kindergeschichten“ gepasst. Wenn da nicht diese Raucherei wäre. Deshalb könnte man diese Geschichte auch ein Märchen für Erwachsene nennen. Ich habe mich für „Kurzgeschichten“ entschieden.

Bei meinem Gedicht „Robbi ist krank“ habt ihr so viel Gefühl und Mitleid gezeigt, dass ich es euch schuldig war, diese Fortsetzung zu schreiben und zu veröffentlichen.

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Kommentare zu "Robbi raucht"

Re: Robbi raucht

Autor: Callme-ismael   Datum: 02.11.2019 12:53 Uhr

Kommentar: ... ich finde die Kurzgeschichte sehr originell & witzig Wolfgang: mir gefällt sie
:)

Grüße & Ahoi
ismael Alexander

Re: Robbi raucht

Autor: Vergissmeinnicht   Datum: 02.11.2019 21:25 Uhr

Kommentar: Oh...wie süss.... bestell ihm schöne Grüße vom Vergissmeinnicht...und sag deinem "Robbi" das ich ihn mag....( dich mag ich auch)

Re: Robbi raucht

Autor: possum   Datum: 03.11.2019 1:40 Uhr

Kommentar: Hallo lieber Wolfgang,
also dies hast du so etwas von allerliebst verfaßt, ich sitze nun hier und darf breit grinsend genießen ... Super ist deine Geschichte ... voll zum auskosten!!
Es tut so richtig gut ...!

Ganz liebe Grüße an dich!

Re: Robbi raucht

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 04.11.2019 12:44 Uhr

Kommentar: Hier der fundierte Kommentar meines Freundes und Neffen Alin
(Übersetzt, dass wir alle seinen Gedanken folgen können):

Ich habe deine Geschichte „Robbi raucht“ gelesen. Eine so komplexe Erzählung. Es ist in der Tat ein Märchen für Erwachsene, aber es passt auch für Kinder. Robbi geht über seine Situation hinaus, geht in den manuellen Modus und schafft es, das zu erreichen, was er will. Die Botschaft ist, wenn man etwas will, sollte man den eigenen Zustand übertreffen und für diese Sache kämpfen, bis man sie hat.

Re: Robbi raucht

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 05.11.2019 15:22 Uhr

Kommentar: Hallo alle meine Lieben,
ich bedanke mich für eure Kommentare. Sie zeigen, dass ihr meinen Robbi mögt.
Es ist ein erhabenes Gefühl, dass wir Gedichte- und Geschichten-Schreiber einem Gegenstand, der sich normalerweise nur bewegt, Leben einhauchen können.
Dank auch an die Knöpfer und an diejenigen, die noch in meinen Zeilen verweilen werden und Robbi beim Rauchen helfen (oder lieber nicht?!).
Bis zu meinem nächsten Werk.
Euer Wolfgang

PS Hihihi, ich muss gerade so herzhaft lachen: Unter meiner "Robbi raucht" Geschichte erscheint die Werbung: Neuartige Rauchstopp-Methode
... unglaublich ...

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