Der aufkommende Herbst zeigte sich erkenntlich als er mit einer leichten Brise über den Buswendeplatz wehte und die bunten Blätter verschiedenster Braun-, Orange- und Gelbtöne in kuriosen Formationen aufwirbelte. Dort wartete Kevin gerade, bis er sich von seiner Gruppe Freunden, mit denen er gerade noch gesprochen hatte, entfernte und geradewegs über den Platz schritt, an dessen Ende er eine Freundin zu erkennen meinte. Ihr Gesicht war ihm so unglaublich vertraut, unmöglich für seinen Kopf, in dem sie so lange Platz eingenommen hatte, zu vergessen. Viel hatte er mit ihr durchlebt. Sich ihr vollkommen geöffnet, wie keinem anderen Menschen je zuvor. Doch wie bei vielen anderen jungen Pärchen, fand auch ihre Partnerschaft ein baldiges Ende. Die Entfernung, die zwischen ihnen gelegen hatte, Probleme mit den Eltern, die in jungen Jahren noch ein frisches Leben zu bestimmen vermochten und eine kindliche Vorstellung von Liebe hatten den Beiden eine gemeinsame Zukunft verwehrt. So zögerte Kevin einen Moment lang, als er Sophia zum ersten Mal wieder erblickte, wo doch bereits so viele Jahre vergangen waren. Und kurz tat sie es ihm gleich, als sie erkannt hatte, mit wessen Blick sich ihrer gerade eben gekreuzt hatte. Unkontrollierbares Herzrasen ließ die Bewegungen Kevins immer wieder stocken, doch der entfaltende Wille, mit diesem Mädchen wieder zur selben Zeit, am selben Ort zu sein, räumte jegliche Blockade aus dem Weg. Als würde die einstige Entfernung zwischen ihnen plötzlich auf die Länge des Wendeplatzes geschrumpft sein, trugen seine Schritte ihn immer näher zu ihr. Als er schließlich doch sicher auf sie zukam, lächelte sie ihn warm, wie die Sonne es vor einer halben Jahreszeit noch gewesen war, an und eine sinnliche Umarmung hieß ihn bei ihr willkommen, sowie die erste Träne über ihre Wange rann. Keine Worte kamen über die Lippen der Beiden, obwohl sie doch so viel zu sagen gehabt hätten. Ein Drittel eines Lebens hätten sie in Form von Berichten, Erzählungen und Geschichten aufholen können. Und in ihrem Sehnen nach einander, vielmehr müssen. Doch alles, was für Kevin in diesem Moment zählte, war die gerade erst komprimierten Gefühle in Form von ehrlichen Schluchzern und sanften Handbewegungen an ihrem Rücken herauszulassen. Was hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht alles sagen wollen. Doch hätte kein Wort, kein Satz es beschreiben können. Ihre gemeinsame Geschichte schien längst beendet gewesen zu sein und plötzlich steht sie dort, wie die Illusion eines trauernden Mannes mit gebrochenem Herzen. Ihre gemeinsame Geschichte war nie beendet gewesen. Doch war ihre Perspektive nicht mehr seine und seine, nicht mehr ihre. Als sie sich aber in die Arme schlossen und die Tränen beider sich in den Klamotten des Anderen festsaugten, setzte die Feder erneut an, um eine Geschichte der Zweisamkeit weiterzuerzählen. Frisch in schwarze Tinte getunkt, all die Emotionen zweier junger Liebenden aufgesaugt, ging die Federspitze auf einer neu aufgeschlagenen Seite nieder, das viele leere Papier, zwischen ihr und der bis vor kurzem noch für beendet geglaubten Liebesgeschichte ignorierend. Der erste gesetzte Punkt klammerte sich an das noch leere Papier, sowie Kevin und Sophia es ihm aneinander gleichtaten, und ein sanfter Schwung der Feder führte eine filigrane Linie über eine neue Seite, einer endlich weiterzuerzählenden Geschichte, welche es vielleicht doch vermögen könne, ihre Gefühle festzuhalten. Da fiel die Feder, landete still auf dem Papier und unkontrolliert schien Tinte, die gerade noch als Mittel zum Zweck gedient hatte, plötzlich die Erzählung zweier gerade erst wieder zusammengeführter Leben zu zerstören. Da wachte Kevin auf, sich um ein Kissen klammernd, trauernd im Bewusstsein, seines Verlusts. Tränen, aufgesaugt von seinem Bettbezug, erfüllte sein verwundetes Wimmern den Raum und erschuf eine Atmosphäre der kristallisierten Trauer. Was hätte er nicht alles dafür gegeben, als er so in seinem Bett lag und sich nicht traute, die Augen zu öffnen, in seinen Traum zurückzukehren und endlich wieder Angesicht in Angesicht mit ihr zu sprechen. Alles im Wissen, dass Träume die letzte Möglichkeit waren, ihre Nähe wieder spüren zu können. Lediglich um ein letztes Mal ihre Stimme vernehmen zu können.


© Feeling Mask


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