....aber das Leben geht weiter

16.August 2010. Es war ein heißer Sommertag. Meine siebenjährige Tochter und ich machten gerade Urlaub in einem kleinen Häuschen mitten in Venedig. Von meinem Fenster aus konnte ich das blaue Wasser, den wolkenlosen Himmel und die vorbeifahrenden Schiffe sehen. Meine Tochter schrie voller Begeisterung :” Mami schau mal Delphine, Papis Lieblingstiere!” Ich fühlte einen stechenden Schmerz in meiner Brust. “Ja mein Schatz, stimmt! Lass uns einen Brief an Papa schreiben. All das was wir heute vor haben und ihm alles gute zum Geburtstag wünschen!” ,entgegnete ich ihr mit gemischten Gefühlen. Wir schrieben einen Brief und meine Tochter Lucy dekorierte ihn mit Glitzer und Stickern.

Lieber Papa! Mami und ich werden heute eine Radtour machen und dann werden wir shoppen gehen. Ich freue mich schon sehr! Doch am meisten freue ich mich auf deine Antwort! Mami und ich wir wünschen dir alles gute zu deinem Geburtstag. Ich kann es kaum erwarten dich wieder zu sehen, ich vermisse dich so sehr! Ich hab dich so lieb! Bussi!

Ich erzählte ihr Geschichten von früher, bis sie dann in meinen Armen einschlief. Der Tag hätte nicht schöner enden können. Mir kullerte eine Träne über die Wange und ich schlief Arm in Arm, mit meiner Tochter ein. Am Nächsten Morgen lag ein blauer Briefumschlag auf der Kommode im Eingangsbereich. Meine Tochter fand ihn und ich las ihn ihr vor. Darin stand:

Hallo mein Engel! Ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut! Ich hoffe du und Mama habt eine schöne Zeit in Venedig! Sei nicht traurig. Ich vermisse dich auch! Vergiss nicht, ich bin immer bei dir, auch wenn du mich nicht sehen kannst! Daddy liebt dich!

Sie hat sich so gefreut und sprang herum vor freude. Ich spürte schon wieder diesen stechenden Schmerz in meiner Brust. Wir machten uns einen schönen Tag und ich erfüllte ihr einen ihren größten Wünsche. Wir gingen mit Delphinen schwimmen.
Danach gingen wir am Strand spazieren. Sie war so unendlich glücklich.


20.Juni 2012. “Lucy...Lucy...wach auf...bitte wach doch auf….”, Ich war verzweifelt!
Lucy lag am Badezimmer Fußboden. Wir hatten beschlossen nach Venedig zu ziehen und mieteten uns das Apartment in dem wir vor zwei Jahren Urlaub machten. “Mum...mum wo bin ich?” “Lucy du bist im Krankenhaus, du bist zusammengebrochen.” Ich sah Lucys ängstlichen Blick. Ich versuchte sie zu beruhigen. Nach ein paar Untersuchungen durfte ich sie mit nach Hause nehmen. Zu Hause angekommen fragte sie mich was los sei. Ich beruhigte sie und meinte, sie habe nur zu wenig getrunken. Deshalb habe der Kreislauf schlapp gemacht und sie sei zusammengebrochen. In der letzten Zeit fragte sie oft nach ihrem Vater. Wir schrieben jeden Abend zusammen einen Brief. Doch es kam nur mehr sehr selten einer zurück. Diesen Abend berichteten wir ihm was geschehen ist.

Hallo Papa, wann sehen wir uns endlich? Ich vermisse dich so sehr! Ich bin heute zusammengebrochen. Mir geht es gut keine Sorge! Ich bin so traurig, warum schreibst du mir nicht mehr? Bitte komm bald nach Hause! Mama und ich vermissen dich so sehr! Wir haben dich ganz doll lieb!

Ich fragte Lucy, wo sie schon immer mal hinwollte und was sie unbedingt sehen möchte. Sie antwortete, sie wolle nur ihren Vater sehen und die ganze verpasste Zeit mit ihm nachholen. Das wäre ihr größter Wunsch! Und da war er wieder, dieser stechende Schmerz in meiner Brust. Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Als ich gerade antworten wollte, bat mich Lucy, ihr von früher und Erlebnisse mit ihrem Vater zu erzählen. Dies tat ich bis sie einschlief. Ich schlich mich dann raus und setzte mich an den Küchentisch und fing an zu weinen. Die Zeit früher, Oh man…

...diese wunderschöne Zeit mit meinem Mann. Wir lernten uns in Berlin auf einem Jahrmarkt kennen. Ich war damals 17 und er 19. Wir lernten uns besser kennen und lieben. Trotz der großen Entfernung unserer Wohnorte, schafften wir es zusammen zu bleiben. Gleich als ich 18 geworden bin zogen wir zusammen. Zwei Jahre später heirateten wir und ein halbes Jahr darauf folgte unsere wunderschöne Tochter Lucy. Alles war perfekt. Doch dann geschah es...

“Mum...mum wach auf!” Ich wurde aus meinen Träumen gerissen. Ich bin auf den Küchentisch eingeschlafen. Lucy weckte mich auf, denn sie hatte einen Albtraum und konnte nicht mehr schlafen. Ich machte ihr einen Tee, den wir dann gemeinsam tranken und ich sagte ihr sie könne diese Nacht bei mir schlafen. Ich lag die ganze Nacht wach und ich musste weinen. Es war eine Mischung aus Freudentränen und Trauer.
30.Mai 2013. Ein weiteres Jahr war verstrichen und die Zeit wurde immer knapper. Lucy ging es immer schlechter und auch meine Ressourcen waren begrenzt und fast aufgebraucht. Kein Arzt konnte uns weiterhelfen. An einem Tag merkte man kaum etwas von ihrer Krankheit und an anderen...naja.. Ich machte alles was ich konnte um sie glücklich zu machen. Ich las ihr die Briefe ihres Vaters vor, die nun jeden zweiten Tag eintrafen.Wir gingen an den Strand, auf Jahrmärkte und ich erzählte ihr Geschichten von ihrem Vater zum einschlafen. Ich tat alles um sie glücklich zu machen. Doch auch sie merkte schon langsam, dass etwas nicht stimmte. Von einem Tag auf den anderen ging es ihr wieder gut und wir liefen am Strand entlang, sie war wie geheilt….


31.Mai 2014. Nun ist es schon ein jahr her. Genau heute vor einem Jahr, hat sich der größte Wunsch meiner Tochter erfüllt. Mein Baby ist nun bei ihrem Vater. Ich weiß, dass sie immer bei mir sind und auf mich herunterschauen. Meine zwei Engel...
Und jetzt sitze ich hier, alleine. In der alten Wohnung, die einst mit so viel Liebe gefühlt war, in der mein Mann, Lucy und ich wohnten. Diese Wohnung mit den ganzen Erinnerungen und es ist so kalt und leer ohne sie. Ich kann es mir immer noch nicht erklären wo diese Briefe herkamen. Doch es war seine Handschrift, da bin ich mir hundertprozentig sicher! Ich denke an die alte Zeit und weine...
Denn nach dem Tod meines Mannes musste ich einfach woanders hin, ich konnte nicht mehr. Zu viele Erinnerungen. Als Lucy, die damals sieben Jahre alt war, dann auch noch die Diagnose Krebs bekam, schnappte ich sie mir, ließ alles stehen und liegen und zog mit ihr nach Venedig. Ich tat alles für sie, bis zu ihrem Tode, genauso wie ich es für meinen Mann tat…


© Vivien Holzmann


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Kommentare zu "....aber das Leben geht weiter"

Re: ....aber das Leben geht weiter

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 22.03.2020 18:29 Uhr

Kommentar: Liebe Vivien,
ich habe deine ergreifende Geschichte gelesen. Ich bin darauf aufmerksam geworden, weil ich auch am 16. August Geburtstag habe. Du hast viel mitgemacht. Hier bei uns im Schreiber Netzwerk kannst du die Vergangenheit etwas verdrängen und nach vorne schauen. Übrigens, herzlich willkommen bei uns.
Wir lesen voneinander
bleib gesund
Wolfgang

Re: ....aber das Leben geht weiter

Autor: possum   Datum: 23.03.2020 0:42 Uhr

Kommentar: Liebe Vivien,
manchmal lese ich eigentlich längere Werke nicht, ich weiß nicht warum ich hier doch angehalten habe, aber nun legt sich deine Lebensgeschichte in meine Seele, es ist sehr traurig, dass du gleich zwei deiner Geliebten Menschen verabschieden mußtest. Ich sende dir im Gedanken eine dicke Umarmung auf die weite Reise, ganz sicher sind sie Beide in ihrer uns noch unbekannten Form bei dir!

Alles Alles Liebe!

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