Kapitel 2: crystall blue eyes

22: 45 Uhr
Ich sitze bereits in dem Bus der um 40 kommen sollte und welcher mich hoffentlich ohne weitere Vorkommnisse zum Bahnhof des Stadtteiles bringt. Prinzipiell sitze ich im Bus immer direkt irgendwo am Ausgang , damit ich möglichst schnell wieder aus ihm heraus kommen kann, wenn es soweit ist. Ich fahre nicht wirklich gerne mit sowas. Es ist für mich nicht mehr als ein Mittel zum Zweck um welches ich nicht herum komme. Es schaukelt ein bisschen und ich wanke etwas hin und her . Die Straßen sind hier nicht immer die besten. Wir kommen an recht trostlosen Häuserzeilen vorbei. Kein schöner Ort, aber auch er erfüllt für Tausende Menschen einen überlebenswichtigen Zweck . Hier sind die Gehwege recht leer. Mein Hoffnung darauf, dass niemand unerfreuliches zusteigt, hält sich und ich betrachte meine violetten Nägel. Ich habe diese Farbe schon immer gemocht. Sie hat etwas altes, edles an sich . Meine Tasche halte ich eng bei mir , während die Häuser auf unserer Strecke immer höher zu werden scheinen. So ist das eben , wenn man auf den Mittelpunkt einer riesigen Metropole zufährt . Es wird heller, voller, anonymer . Wie keine Stadt , die so viele Seelen bewohnen so seelenlos wirken. Tausende von Leben, die parallel laufen, existieren hier und trotzdem sieht man die meisten allein gehen oder zumindest so tuend als ob es alle anderen der Masse gar nicht geben würde.
Die Gehwege an den Straßenrändern werden immer voller je weiter wir fahren. Hier ist die Nacht lebendig anders als in den Wohnorten. Schon ewig bin ich um diese Zeit schon nicht mehr unterwegs gewesen und es hat etwas erfrischendes...magisches an sich. Mir kommt ein seichtes Lächeln auf. Nur noch ca zwanzig Minuten trennen mich von meinem Ziel und ehrlich? Ich kann es praktisch kaum noch erwarten. Millionen Lichter ziehen an uns vorbei und ich nehme die anderen neben mir kaum noch wahr . Der Bus hält und ich finde mich rennend auf dem Gehweg wieder. Meine Vorfreude trägt mich beinahe von alleine als würde ich meine Beine gar nicht brauchen. Der kühle Wind zieht durch mein Haar, während ich den entgegenkommenden Menschen ausweiche. Kurz darauf springe ich schon die Treppe zum Bahnsteig hinauf und noch im selben Moment läuft die erhoffte Bahn auch schon ein. Perfektes Timing. Hibbelig warte ich die letzten Sekunden ab bis der Zug vor mir zum stehen kommt und sich die Schiebetüren quietschend öffnen. Da mir niemand entgegen kommt, steige ich ein und bleibe direkt an der durchsichtigen Abtrennung zu den Sitzen stehen. Ich halte mich gut an der Haltestange fest da ich zu klein bin um mich oben an den Riemen festzuhalten. Ungünstig war das vor allem immer dann, wenn es mal wieder morgens total voll in der Bahn war und nicht nur alle Sitzplätze belegt waren sondern ich auch keine Chance hatte an eine dieser Stangen oder direkt ans fest irgendwo zu kommen. Dann muss ich immer haltlos mitten in der engen Masse stehen und werde permanent gegen die anderen gedrückt gerade dann wenn der Zug mal wieder anfahren muss oder anhält. Das ist immer unglaublich anstrengend. Um hier morgens einen guten Platz zu bekommen, muss man am besten so früh wie nur irgend möglich nach dem losfahren des Zuges zusteigen. Eine andere Chance zu bekommen ist eher unwahrscheinlich. Verglichen mit den Zeiten zu denen ich sonst hier mitfahre ,ist das hier jetzt wahrlich entspannt .Jeder hier hat noch mindestens einen Sicherheitsabstand von einem Meter um sich . Welch ein Luxus hier in Tokyo. Ich weiß, dass die Fahrt bis zu meiner Haltestelle nur knapp sieben Minuten dauert, aber die kommen mir wie eine Ewigkeit vor. Ich sehe um mich herum in duzend müde Gesichter. Eines leerer als das andere. Augenringe dunkler als die Nacht und tiefer als jedes Meer. Es ist erschreckend , was zu viel Arbeit aus Menschen machen kann, die keine andere Wahl haben als einfach so weiter zu machen, weil sie immerhin froh über das sind, was sie wenigstens an Arbeit haben . Alternativen , die besser sind, haben die meisten weiß Gott nicht in Aussicht . Zumindest sagen mir das die ganzen Augenpaare, die halb geöffnet zu Boden starren .Drei Minuten lasse ich diese ,aber such schon wieder hinter mir und trete mein letztes Stück Weg an. Nur noch 200 Meter. Meine Schritte werden schneller. 150 Meter. Ich gehe auf leichtes joggen über. 100 Meter. Ich renne als ob mein Leben davon abhinge. Ich biege in die letztes Kurve ein und eine Ecke später ist es auch schon in Sichtweite. BITTERSWEET . Der Ort meiner Begierde.... Kurz bleibe ich stehen . Umdrehen ist für mich keine Option und doch steigt die Unsicherheit in mir auf, ob sie mich überhaupt herein lassen. Ohne ein Feigling sein zu wollen, werde ich nervös. Nur langsam setzte ich mich erneut in Bewegung und laufe zwischen den anderen Passanten auf den Eingang zu über dem der Name des ganzen in einer großen beeindruckenden Leuchtreklame prangt .Das sogar auf Englisch und nicht in den typisch japanischen Schriftzeichen. Allein das verwundert mich schon enorm. Mein Herz gleicht unter meinem zarten Oberteil mehr einem Presslufthammer als einem Puls. Schon lange habe ich nichts mehr auf eigene Faust unternommen. Dieses Gefühl der Angst und der Euphorie ist einmalig und es nimmt immer mehr zu , während ich mich unter die beeindruckendsten Gestalten mische , die ich je gesehen habe. Kleider wie aus anderen Welten, wie bei einem Maskenball aus längst vergangenen Zeit und das mit diesem Touch von düsterem impulsiven, Cyber Goth. Mir raubt es fast den Atem als ich zwischen ihnen hindurch schreite und auf die weit geöffneten Türen vor mir zulaufe. Die stämmigen Männer in den Uniformen, welche mit ihrer Arbeit zur Sicherheit das Bild der schlaflosen Nachtgesellschaft nur noch abrunden, begutachten jeden kurz, der rein will. Dass ist der entscheidende Moment. Der Eintritt ist heute zur Eröffnung frei. Mein Glück also. Nur die Uniformierten stehen zwischen mir und der Welt hinter dieser Fassade . Ich komme mir gerade so unglaublich klein vor, während ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen . Unauffällig laufe ich den anderen hinterher , die da ebenfalls rein wollen und hoffe, dass ich nicht so jung aussehe , wie ich es leider bin. Meinen Blick versuche ich gerade aus zu halten um so aussehen zu lassen, als würde ich sowas jede Nacht besuchen und nur einer von vielen hier sein, die alle das selbe wollen und zwar eine Nacht an die sie sich noch lange erinnern werden und das wäre ja auch bei mir nicht gelogen. Meine Schuhe machen mich noch mal um sieben Zentimeter größer und mein Mundschutz verdeckt mein Gesicht und tuscht mein Alter auch noch mal etwas. Ein Schritt nach dem anderen und dann ist es auch schon soweit. Der Blick des Vorstehers trifft mich und bleibt länger an mir hängen als es mir lieb ist. Langsam schließe ich meine Augen und warte nur auf ein : Komm mal raus da. Oder: Hey du! Bist du überhaupt schon alt genug .Sieh zu , dass du weg kommst. Aber.... nichts der gleichen kommt und ich kann aus dem Augenwinkel sehen, wie sich der Aufseher den nächsten Eintretenden widmet. Leise Atme ich auf . Auf den letzten Metern hatte ich vor Angst die Luft angehalten . Geschafft.... wie auch immer. Ich bin drin und folge den beiden Frauen, die wesentlich größer und älter sind als ich durch den dunklen Gang , der nur spärlich mit blau leuchtenden Lämpchen an den Deckenseiten erhellt wird. Ich kann kaum etwas sehen,aber die dröhnenden Bässe der Musik sind von drinnen schon zu hören. Am liebsten würde ich an den beiden vor mir vorbei sehen können . Sie hatten anscheinend auch die Idee mit den Platoschuhen, obwohl ihre bestimmt gut zwanzig Zentimeter hoch sind. Dagegen sehen meine eher niedlich aus . Außerdem ist ihr Outfit nicht nur aufeinander abgestimmt , sondern auch ganz schön knapp . Jetzt komme ich mir wirklich jung vor. Ihre Röcke gehen kaum bis über den Arsch , sind Blick durchlässig und wohl nur aus Lack und Latex. Bei der einen in giftgrün und der anderen in blutrot . Außerdem kann man dadurch klar die schwarzen String Tangas unter ihnen erkennen. Sowas könnte ich nicht tragen....geschweige denn , dass ich es mich trauen würde. Viel schlimmer ist aber mein Starren, da ich kaum meinen Blick von ihnen abwenden kann,was mir schon ziemlich peinlich ist. Wie bei einem Autounfall . Irgendwas zwingt einen hinzusehen vor allem, da die beiden locker die üblichen Modellmaße erreichen, nur machen sie diese Outfits noch anziehender (zumindest für mich) und vor allem nicht so stereotypisch wie diese anderen magersüchtigen Modells aus den Zeitschriften.
Bei der Menge , die hinter mir noch nach kommt, versuche ich möglichst nicht gegen sie zu stoßen, obwohl ich schon etwas voran geschoben werde. Es ist ziemlich warm und stickig und ich hoffe , dass dieser Gang endlich mal ein Ende nimmt.
Ein leichter Windzug erreicht mich nach einigen weiteren Schritten und ich kann an den Wänden neben mir schon das Aufblitzen von blauem Flutlicht erkennen. Es ist dunkel, aber für Augenblicke wird es wie taghell . Es ist wie ein Flackern vor meinen Augen und die Schatten der anderen Gäste vor mir zeichnen sich immer kurz auf den Wänden ab .Endlich der Hauptraum. Dir Ansammlung vor mir löst sich auf und strömt in den Raum. Fast wäre ich vor Erstaunen mitten im Eingang stehen geblieben. Die Flutlichter , die auf den Eingang hier gerichtet sind, hatten mich kurz geblendet und war von den ganzen aufblitzenden Lichtern irritiert gewesen und ohne Orientierung , aber nun bekomme ich einen weiten Blick über das Geschehen. Vor mir führt eine große Rundtreppe mit flachen Stufen wie in einem Palast oder einer Oper direkt auf die schon jetzt ziemlich gut gefüllte Tanzfläche. Alles ist in schwarz und dunkelblau gehüllt. Der Tanzbereich ist der tiefste Punkt des Raumes und wie in einer leichten Versenkung gelegen. Das ist wirklich extra vagant . Aus der großen Tanzfläche selbst führen breite von unten beleuchtete Kunststoffröhren bis zur Decke in denen sich junge Frauen in noch krasseren und knapperen Klamotten zum Takt der Musik räkeln und bei der tobenden Menge vermutlich untergingen, wenn diese Röhren nicht wären. Die kämen bestimmt auch gut an einer Stange oder auf einem Plato in der Masse bei der Performence, die sie hier abliefern.
So viele Eindrücke hageln auf mich ein , während der Beat den ganzen Boden zum beben zu bringen scheint. Der harte Bassschlag pocht in meiner Brust, während ich mich versuche am Rand entlang zu bewegen. Da ich allein bin und noch nie in einer richtigen Nachtdisco war , weiß ich nicht so recht, wo ich nun hin soll. Links ist eine lange Bar mit Tresen in die Wand eingelassen. Da ist wohl ein sehr kreativer Architekt am Werk gewesen. Ich bin schwer beeindruckt und zugegeben auch ziemlich überwältigt von allem.
Der Bereich um die Bar hebt sich um die Höhe von zwei Treppenstufen von der Tanzfläche ab . So wird beides räumlich etwas voneinander getrennt . Außerdem standen beinahe willkürlich überall dicke Glasscheiben im Raum um die Tanzfläche herum und das auch nur vereinzelt.Ich muss kurz überlegen, aber ich kann mir schon denken, wozu sie gut sein könnten. Sie dämpfen die Musik soweit punktuell ab, dass man im Bereich des Tresens noch sein eigenes Wort verstehen kann , wenn man sich mit wem anders unterhält. Hier neben der tanzenden Menge wäre ein Gespräch anzufangen bei dieser Dröhnung und Lautstärke wohl total sinnlos.

Möglichst unauffällig versuche ich über den Rand der Tanzfläche zu der Bar zu kommen. Ab und zu streift mich jemand als ich mich mehr schleichend als gehend auf die paar Treppenstufen zu der Erhöhung zu bewege. Ein bisschen Angst keimt doch in mir auf. So ganz ohne Begleitung an solch einem Ort zu sein. Mit meinen alten Freunden wäre ich später in London bestimmt auch an solche Ort wie diese gegangen. In einer Gruppe würde ich mich sicher nicht so verloren fühlen wie jetzt. So viele Menschen, aber immerhin mit dem was sie am Körper tragen , kommen sie mir alle so vertraut vor. Lifestyle verbindet und ist man an sich auch noch so verschieden.
Ich erwische mich dabei wie ich praktisch permanent meine Klamotten zurecht zu zuppel so als ob mich hier irgendjemand bemerken würde in der Menge. Genauso oft flüstere ich entschuldigende Worte, wenn ich mal wieder jemanden anstoße beim Versuch am Rand entlang zu kommen. Es sind nur noch vier Meter und....ich habs geschafft. Erleichtert atme ich auf und sehe mich hier mal etwas genauer um . In diesem Bereich ist der komplette Boden von unten beleuchtet , was ich total genial finde und halte Ausschau nach einem Platz , wo ich mich etwas hinsetzten kann um mich ein wenig auszuruhen. Der Tag ist nun doch schon ziemlich lang geworden. Es ist bestimmt schon bald Mitternacht. Erst ab da wird es wohl hier richtig los gehen.
Etwas unbeholfen finde ich mich in einem freien Bereich zwischen der Tanzfläche und der Bar wieder. Wo soll ich bloß hin? Zum tanzen fehlt mir alleine doch zu sehr der Mut und mich einfach an die Bar zu setzen, erscheint mir auch zu unsicher. An den Türstehern vorbei hatte ich es zwar geschafft, aber zum trinken würde ich den Mundschutz abnehmen müssen und die Gefahr, dass mich einer der Angestellten hier doch noch für zu jung einstufte, war nach wie vor präsent .
Ich spüre wie mich langsam Verzweiflung und Unsicherheit durchziehen und mein Blick unbeholfen auf dem Boden zu meinen Füßen klebt.
Genau so lang bis mich ein kalter Schauer durchfährt. Ich beginne zu frieren . Was ist los? Es sind hier bestimmte zwischen 25 und 30 Grad , also kein Grund um zu frieren, aber es ist auch keine normale Kälte, die hier gerade meinen Körper erstarren lässt. Es ist die Kälte der Vorahnung, denn ich spüre, dass der Blick von jemandem fest auf mir liegt...als würde man mich wie einen Magneten anziehen wollen. Gefangen von dieser Ahnung hebe ich unsicher meinen Blick und schon ist es auch schon zu spät . Ich finde die Augen , die mich gerade mit Ketten zu fesseln scheinen um mich ihrem Besitzer zu eigen zu machen.
Ich kann mich nicht mehr bewegen.Was ist nur mit mir? Uns trennen bestimmt zehn Meter und doch versinke ich in den Augen dieser Gestalt...was heißt hier versinken, wo ich doch viel mehr schon ertrinke.
Sie sind Stahlblau und tiefer als jedes Meer über welches ich jemals geflogen bin. Was ist es dieses Gefühl?
Ich bleibe unbewegt im Gegensatz zu meinem Gegenüber, welcher langsam mit der Hand neben sich geht und anweisend auf den Platz neben sich deutet. Auf dem meterlangen und unglaublich teuer aussehenden Ledersofa sitzt nur eine einzige Person auf einer Art Plato, welches noch höher liegt als der Barbereich. Hinter ihr stehen edel gekleidete Männer in schwarzen Anzügen, welcher den Eindruck machen als würden ihnen nur die Generalsabzeichen fehlen und vor ihr? Auf dem Boden und den Stufen zu ihren Füßen sitzt anscheinend ihre Gefolgschaft, welche zu ihr gehörte und sie in ihrer Erscheinung nur noch mächtiger und einflussreicher erscheinen lässt. Im Nachhinein scheint der ganze Raum wie er ist nur auf sie ausgerichtet zu sein, denn es ist eine Frau, dich mich anwies mich neben sie zu setzen.
Ich kann nicht begreifen, wie faszinierend und gleichzeitig so unglaublich besitzergreifend die Aura eines Menschen sein kann , aber sie zieht mich zu sich, während mein Verstand die ganze Zeit nur schreit, dass das doch viel zu gefährlich sei. Wer weiß schon wo ich hinein gerate, wenn ich auf ihre „Einladung“ eingehe, doch Flucht macht in meinen Augen keinen Sinn. Als würde ich nach vorne fallen , mache ich den ersten Schritt auf sie zu und damit ist mein Schicksal auch schon besiegelt, denn mein Körper lässt mich nicht mehr stehen bleiben, während mein Herz um sein schwaches Leben schlägt. Die Schönen auf den Stufen vor mir weichen beiseite und lassen mich vorbei.Es war als würde ich in andere Sphären hinauf steigen, als ich einen Schritt vor den anderen setze, wobei die Worte meiner Vernunft mich schon lange nicht mehr erreichen .
Um uns herum herrscht ein Gewitter aus Lichtern und Schatten und die Musik dröhnt weiter durch meine Lungen. Die Luft in den meinen zittert. Nur noch drei weitere Schritte und uns trennt kaum noch ein Meter .Es ist als würde mein Herz versuchen meine Brust zu sprengen so wie es gegen meine innersten Wände hämmert. Es ist kaum zu glauben, aber es schlägt weniger vor Angst als vor purer Anspannung angesichts des kommenden . Meine Beine zittern und mein Blick wirkt so schwach und willenlos verglichen mit ihrem. Sie ist noch jung...zumindest glaube ich das. Anfang Mitte zwanzig. Ihr Haar ist von einem starken Türkis ,wobei ihre schulterlangen Haare klare Wellen schlagen. Eine ziemlich exakte Frisur. Aufgeteilt durch einen Seitenscheitel, welcher die Grenze zu ihrem Sidecut bildet. Das restliche Gesicht verborgen durch eine typische Cybergothgasmaske , welche hier fast überall getragen wird.
Sie sitzt. Ich stehe. Ich sehe nun auf sie herab, aber warum komme ich mir dann gerade so unglaublich klein vor ?
Eine weitere kurze Handbewegung ihrer Seite, die meinem Verstand zu befehlen scheint, bringt mich dazu mich neben sie zu setzen. Was passiert hier bloß?Still sitze ich zu ihrer Linken. Es fällt kein einziges Wort und ich glaube auch, dass kein gesprochenes Wort hier interessant wäre. Unverblümt tanzen die Schatten weiter, während ich kerzengerade auf dem vordersten Rand der Sitzkante kauere. Weiter nach hinten traue ich mich nicht zu rutschen. Es ist so als lehne ich an eine unsichtbare Wand. Ohne zu wissen, wie ich mich wirklich verhalten soll, schweift mein Blick über die tiefer gelegene Tanzfläche vor uns.
Plötzlich legen sich zwei Hände von hinten an meine Hüfte und ziehen mich nach hinten.Nicht grob...mehr wie führend in der Dunkelheit in meinem Kopf. Mehrere Schauer durch ziehen meinen Körper als ich mich auch schon dicht an ihrer Seite wiederfinde. Das Kältegefühl ist endgültig verschwunden. Viel mehr glühen meine Wangen unter dem weichen Stoff. Wir können von dem jeweils anderen nur die Augen als Teil des Gesichts sehen, der Rest wird von Masken gewahrt. Das ist wohl der einzige Punkt in dem wir uns gleichen. Sie legt ihren rechten Arm lang hinter mir auf die lederne Rückenlehne anstatt ihn direkt um mich zu legen.Das gibt mir ein wenig Freiraum auch wenn ich ihn nicht nutze um wieder etwas Abstand zu ihr zu gewinnen. Wir sitzen so dicht , dass sich unsere Hüften in der Bewegungslosigkeit seitlich berühren. Zu meiner Überraschung belässt sie es dabei und ihr Blick liegt nicht länger auf mir , sondern auf den Tanzenden vor uns. Ich weiß nicht warum, aber diese Tatsache lässt mich mutiger werden. Es ist erschreckend, aber so wohl und geborgen.....habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Als gebot mir ihre bloße Anwesenheit einen Schutz, stärker als jeder Betonwall. Langsam,andächtig lasse ich mich an ihre Schulter sinken. Lehne mich an das Sofa in meinem Rücken an und schmiege meinen Kopf zurückhaltend an ihre starke Schulter. Ihre Erscheinung strahlt mehr als nur ein bisschen Selbstvertrauen und auch Kraft aus. Die Stelle an die ich mich lehne ist nicht mit Stoff bedeckt. Nur ein schwarzes Tubetop verhüllt obenrum das nötigste, während man beim mustern ihres Körpers wohl unumgänglich an ihrem Bauch hängen bleibt. Viele schlanke Frauen tragen in Diskos ihren Körper und dabei gerade ihren flachen Bauch zur Schau, aber eine solche stattlich ausgeprägte Muskulatur konnte bestimmt selbst den ein oder anderen Mann mit Sixpack erbleichen lassen. Das ist wirklich beeindruckend. Sie ist anscheinend klar der sportliche Typ, dem man das auch durchaus ansieht, wobei sie aber trotzdem nicht überbaut wirkt. Mit meinem Ballett bin ich auch sehr sportlich , aber mich macht das weniger muskulös als nur sehr schlank ,schmal und zierlich. So dünn wie meine Beine sind ,glaube ich manchmal selbst kaum, dass sie mein Körpergewicht wirklich tragen. Sie hingegen hatte ihre vermutlich genauso trainierten Beine unter dem schwarzen robusten Stoff einer langen Hose verborgen. Sie erinnert schwer an eine ,welche die Soldaten der heutigen Zeit im Außeneinsatz tragen mit eingenähten Karbonschonern und vielen Taschen . Zu der Hose passen natürlich auch ihre ebenso schwarzen schweren Stiefel. In der Kombination konnte man das mit dem passenden Körper auch als Frau ziemlich gut tragen. Sie sieht nicht so aus als würde sie in der weiten Kleidung ertrinken.
Ob sie dieses uniformartige Outfit wohl trägt, weil sie selbst zu Armee geht? Oder bloß ,weil ihr der Stil gefällt? Jeder eigene Gedanke war hier wohl reine Spekulation, aber eigentlich fände ich es schon sehr interessant es zu wissen.
So zufrieden mit der Welt, fällt mich erst jetzt auf, dass sie ihren Arm anscheinend von der Lehne genommen und um mich gelegt hat. Ohne mich zu wehren, lasse ich es zu , dass sie mich noch etwas enger an sich zieht. Der Duft den sie an sich hat, ist mehr männlich als weiblich rosig, aber ich glaube das passt auch einfach besser zu ihr. Meine Müdigkeit ist wie vergessen auch, wenn ich meine Augen geschlossen habe um für den Moment inne zu halten. Sekunden in denen mir alles andere auf der Welt egal ist.
Noch traue ich mich nicht sie anderweitig selbst zu berühren und halte deswegen meine Arme eng bei mir, aber diese Nähe so reicht mir schon um mich wahrhaftig glücklich zu fühlen. Die Aufregung vom Anfang ist jedoch nicht gewichen. Wie könnte sie auch angesichts dieser Situation.
„ Möchten sie etwas trinken Madame?“ höre ich eine männliche Stimme höflich fragen, woraufhin ich ein bisschen erschrocken meine Augen öffne und etwas hoch fahre. Ihr Blick liegt erwartend auf mir. Genauso wie der des Kellners, der in seiner Uniform und einem weißen Tuch über den Unterarm gelegt, vor uns steht. Er hatte mich auf Englisch gefragt. Ist das hier etwa so üblich? Und das in einer Metropole Japans? Das kann eigentlich nicht sein, aber nun galt es erst mal klug darauf zu reagieren. Ich will etwas sagen, aber es will kein Wort erklingen. Ich bin so nervös , dass ich einfach nur in Panik peinlich berührt den Kopf schüttle und hoffe, dass das nicht allzu dumm von mir gewesen war.
Daraufhin weist sie den Kellner mit einer kurzen Handbewegung zum gehen an, welcher sich verbeugt und wieder davon schreitet. Ich komme nicht umhin wegen meinem peinlichen Verhalten etwas beschämt und bedrückt zu sein auch, wenn man es mir unter dem Mundschutz kaum anmerken dürfte. Ich wende betrübt meinen Blick zu Boden und sitze mittlerweile wieder ähnlich wie ganz zu Anfang und das nur, weil mich ein Kellner gefragt hat, ob ich etwas zu trinken wollen würde.
Was hätte ich anderes tun sollen? Mein Hals war wie zugenäht und wenn ich etwas gesagt hätte , wäre vielleicht mein wahres Alter aufgeflogen.
Was ist das? Ich erzittere , als sich eine Hand um mein Handgelenk legt . Nicht fest .Mehr zärtlich und rücksichtsvoll. Mein Blick wandert zur Seite und trifft ihren, wobei ich in den Augen meines Gegenübers einen Glanz erkennen kann, den ich nicht zu deuten vermag. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin , kommt erneut ein Kellner gelaufen ,welcher jedoch diesmal kein Tablett bei sich hat, sondern eine kleine Schachtel in dunklem blau in der einen Hand hält. Unwissend und unfähig etwas zu sagen wechselt mein Blick stetig zischen dem Kellner und ihren Augen , welcher sich nicht eine Sekunde von mir abwendet. Der Mann im schwarzen Anzug kommt vor uns zum stehen und öffnet die Schachtel indem er den Deckel nach hinten aufklappt. Ich würde es nicht für möglich geglaubt haben, würde ich es nicht deutlich vor mir sehen. Es ist tatsächlich eine Kleine Schmuckschachtel in der sich wahrhaftig ein Ring befindet. Silbern, auf der Oberseite mit dunkelblauen Steinen besetzt und unheimlich fein gearbeitet. So schön, dass ich nicht aufhören kann ihn zu bewundern bis ihre Hand meinen Blick zu dem Ring kreuzt. Blind nimmt sie den Ring vorsichtig heraus . Noch während dessen wird dabei meine Hand von ihrer anderen sachte angehoben. Ich erahne schon, was nun kommen wird, aber das heißt nicht, dass ich es auch glaube.Tatsächlich....Vorsichtig wird mir der Ring an meinen linken Ringfinger gesteckt und ich kann nicht damit aufhören ihn anzustarren. Ist das gerade wirklich passiert?
Warum passiert so etwas?
Ist es ein Geschenk? Eine Leihgabe? Bloß eine Anprobe?
Ich komme gar nicht erst dazu ihr eine der Tausend Fragen in meinem Kopf zu stellen, denn ohne Vorwarnung steht sie plötzlich auf und geht . Ungläubig verfolgt sie mein Blick bei jedem Schritt. Sie geht?...Einfach so? Lässt sie mich jetzt hier einfach....zurück? Meine Gefühle und Gedanken überschlagen sich, als sie plötzlich stehen bleibt und einen Blick über die Schulter zurück wirft. Ein weiteres mal ertrinke ich in diesen Augen,welche mir das Gefühl geben völlig nackt mitten im Raum zu stehen. Eigentlich kann ich es wegen ihrer Maske überhaupt nicht sehen, aber ich glaube fast, dass sie mir hier gerade ein Lächeln zuwirft, während sie ihre rechte Hand zum Abschied hebt. Warum tue ich das nicht auch? Ich bleibe völlig unbewegt, wie in eine Starre verfallen bis sie ihren Arm wieder sinken lässt und ihren Weg , den Blick nach vorn gerichtet, fortsetzt. Unweit von dem Sofa auf dem ich immer noch sitze befindet sich einige Treppenstufen tiefer zu meiner Rechten eine blau beleuchtete Glastür, welche vor ihr von einem Mann geöffnet wird . Kurz darauf schließt selbiger die Tür wieder hinter ihr und sie verschwindet aus meiner Sicht. Verloren bleibe ich zurück, wobei ich nicht weiß, wohin ich nun soll, wo sie jetzt weg ist. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus, als der Kellner von vorhin erneut mit einem Tablett wieder kommt. Werde ich nun angehalten das Feld zu räumen? Wird er mich weg schicken? Natürlich bin ich hier fehl am Platz , aber... um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich gerade will, also warte ich den Moment einfach ab bis der Mann im schicken Anzug wieder vor mir steht . Ich sehe zu wie er das Tablett nun so tief hält, dass ich darauf sehen kann. Auf ihm liegt ein Zettel. Anscheinend ist er für mich und der Kellner wartet hier gerade nur darauf, dass ich ihn endlich nehmen, damit er wieder gehen darf. Um diese Theorie zu überprüfen, ergreife ich den Zettel und nehme ihn an mich . Kurz darauf verschwindet er tatsächlich wieder. Verwundert betrachte ich das gefaltete Stück Papier in meinen Händen und entfalte ihn.
Bis morgen.
Ich werde auf dich warten.
Gebannt streift mein Blick über die wenigen Zeilen, wobei ich unweigerlich an der Telefonnummer hängen bleibe, die unten rechts auf dem Zettel steht. Meine Wangen brennen. Sie wird also morgen wieder hier sein...und...auf mich warten. Ich kann es nicht fassen und halte den Zettel so fest als wäre es das wertvollste der Welt. Ich weiß selbst nicht so recht, warum ich mich jetzt so darüber freuen kann, dass mir jemand völlig fremdes mit dem ich bloß eine kurze Weile verbracht habe, einen Zettel hinterlässt.
Vielleicht...weil das heißt, dass ich diese Augen wieder sehen könnte.

Ich muss mich berichtigen. Ihre Augen waren nicht wie Stahl sondern vielmehr wie Kristall, denn ein solcher hat viel mehr Facetten, als der erste Blick vermuten lässt.


© Red Papermoon


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