Ich sah ihn nur schemenhaft durch das Fenster des Zuges. Seine markanten und doch jungenhaften Gesichtszüge, die mir so sehr vertraut waren. Mit meinen Fingern, in schönen Momenten liebevoll nachgezogen, wurden sie zu einem Gedankenbild, das ich längst tief in meinem Herzen trug.
Lachend sah ich hinein zu ihm, dachte daran, wie schön die letzten zwei Tage gewesen waren und wie still ich nun die Welt empfinden würde. Wenn er fuhr, dann schien die Welt immer etwas stiller. Das Gefühl lies nach, hielt nie lange an, war aber immer da – und das war gut so. Es zeigte mir, dass ich ihn vermisste. Seine Gegenwart genossen hatte.

Seine Hände auf meinem Rücken zu spüren, seine Lippen auf meinen, während er mich zum Abschied umarmte und liebevoll küsste, machten es mir erträglicher ihn gehen zu lassen und umso schmerzlicher, wenn er seine Umarmung löste. Der Wunsch nach der Berührung eines einzigen Menschen, kann selig und unglücklich zugleich machen.
Da stand ich, so nah bei ihm und zwischen uns dieser Zug mit seinen Fenstern, die sich nicht öffnen ließen und der bald davonfuhr, ohne Rücksicht auf uns, auf mich. Ohne Rücksicht auf Gefühle.
- Wir sehen uns wieder -, ein beruhigender Gedanke, aber nicht in diesem Moment. Meine Hand legte sich auf die Scheibe und seine tat es ihr nach. Eine Szene, die sich in meinem Kopf abspielte. Sie brachte mein Gesicht näher an dieses verschlossene Fenster, dass keinen innigen Kuss mehr zuließ. Nur die Andeutung eines solchen war möglich und wir nutzten, was uns blieb. In Filmen konnten Zugfenster geöffnet werden, aber eben nur in Filmen.
Ich winkte noch einmal, lächelte tapfer und wandte mich ab. Eine Rolltreppe tat, was meine Beine nicht wollten: Sie entfernte mich.
Gut, dass Herzen keine Rolltreppe fahren.


© Kyhria Schindler 2006


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