Es stehen tausend dicke Stäbe
Teilen deine Sicht in Scheiben
Als ob es keinen Ausweg gäbe
Es bleibt dir nur das Bleiben

Es bleibt dir nur das Reimen
Du hast zumindest diese Form
Doch fällt‘s nicht immer ein-
fach. Reime fallen aus der Norm
Und auch aus Metrik

Strophenstraßen Einbahnstraßen
Wo hast du dich da hingedichtet
Du willst die Verse kommen lassen
Der nächste endet auf „vernichtet“
Wirst öffentlich gerichtet
Strophen in ein Schema passen

Verse vier, dann fünf, dann 6
Ja - diese Zahl hast du nicht mehr ausgeschrieben
Langer Vers!
Das hat was
Zu bedeuten

Doch was, doch was?
Was willst du sagen?
Was willst du schreien in die Nacht?
Wo weint dein stilles Herz, wenn Welten brennen?
Wo lebt die Freiheit, wenn dir Stäbe drohen
Wenn Reime drohen – mit Faustus Zwei
Es schrei’n die großen Lyrikgötter
Schaffe!
Du Affe!

Es war doch grad noch klar und schön, was du zu sagen hattest
Und jetzt? Bist du eine alte Leber, die an der Bordsteinkante zerschellt
Ein altes Leder ungetragen Fett ansetzt
Wer bist du, wenn du schreibst?
Was spielst du den Menschen vor?

Leute, schaut mal her:
Ich bin wahnsinnig selbst- und weltreflektiert
Ich hab’s jetzt verstanden
Ich seh es ganz genau
Ich ich ich
Ja ich
Hört her!

Lest und staunt:
Der Sinn des Lebens ward mir offenbart
Es ist ganz simpel, wie es sich mit ihm verhält
So ist das, ja, es hat damit zu tun was ich hier schreibe
Was diese große Kunst hier spricht
Seht ihr’s nicht?

Halt dein schändig‘ Maul da drüben, dumme Sau!
Die Gewalt meiner Worte zertrümmert dir die Zähne und Finger
Meine Reime sind perfekt
Jamben esse ich zum Frühstück
Metaphern, die versklave ich
Und schaffe große Werke
Denen man nichts mängeln kann!

Denn alles was glänzt
Ist wahr

Doch manchmal wird mir leider schlecht
Was ich da so lese von den ander’n
Schlecht umgesetzt, da stimmt nun wirklich gar nichts
Sie labern polternd von der Liebe und der Freiheit, als ob es kein Morgen gäbe. Jedes
Wort
Stört
Mich.
Und komm mir bloß nicht mit experimentell – mit Sprechgesang und Poetry-Slam. Das wollten die alten Götter nicht und auch keine neuen.
Manchmal, klar, da findet auch das blinde Arschloch ein Abort. Da muss man sich dann zügeln.
Dass die Formen mich nicht ergreifen; die Farben nicht eindringen – dem Herz das Pochen unterdrücken wenn es sticht im Dreitakt wie ‘ne Trommel urtümlich die Nacht zerreißt wenn die Stimmen so laut so leise an meinen Ohren lecken nass nass nass es plätschert schön es lullt mich ein wie Mamas Schenkel
Wie Papas Bart umarmt die Finger meines Magens umgestülpt
Das Porzellan-lan-lan klirrt in die Netzhaut seine blutig Risse
Es singt ein Ständchen jeden Tag – es trällert unbeholfen vor sich hin und kann den Grund nicht riechen wo der Schlamm tief brennt
wo brennst du denn fragst du dich zum mittagsmahl und frisst das plastik vom ikeatisch herunter
genau hier
genau dort wo das plastik fehlt weil du es gefressen hast und nicht verdauen kannst – dorthin wo es dich trägt ohne segel
wo dein inneres nach außen ins salz tritt
genau hier
hier brennt es


© Ja


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Kommentare zu "Ausbruch"

Re: Ausbruch

Autor: Verdichter   Datum: 19.09.2020 14:27 Uhr

Kommentar: Ich habe von deinem Ausbruch nicht alles verstanden.
Dem Teil mit den genormten Gedichten stimme ich aber zu.
Die erste Strophe erinnerte mich sofort an Rilkes "Panther", eines meiner Lieblingsgedichte. Und ein bisschen was von dem eingesperrten großen Tier blitzt ja durchaus aus deinen Zeilen.
Bei dir weiß ich oft nicht: ist es Genialität oder Wahnsinn? Weil ich mich immer mal wieder darin wiederfinde, tendiere ich natürlich zu ersterem...:)
Gruß, Verdichter

Re: Ausbruch

Autor: IchWillKeinenNamen   Datum: 19.09.2020 15:34 Uhr

Kommentar: Liebe Verdichter,

vielen Dank für deinen Kommentar. Er hat mich zum Lächeln und Lachen gebracht.
"Der Panther" hängt an der Innenseite der Tür zu meinem Kleiderschrank.
Direkt daran gedacht habe ich beim Schreiben nicht, aber es war wohl eine unterbewusste Inspiration.

Ich tendiere eher zu letzterem, aber solange man ihm nicht vollends verfällt finde ich das auch in Ordnung.

Liebe Grüße,

Re: Ausbruch

Autor: ThomasNill   Datum: 21.09.2020 23:23 Uhr

Kommentar: Dieses Gedicht enthält so viel und ist auch ganz schön umfangreich.
Es ganz Stück für Stück durchzunehmen, geht gerade nicht.

Aber klar hat es mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, weshalb ich selbst Reime mag oder gern schreibe, ob ich Tieferes damit ausdrücken will, oder ob ich mir selbst etwas vormache damit. Ich fühle mich also durchaus ertappt. Warum mache ich das?

Ich habe keinen rechten Grund, außer dem, dass es mir gerade Spaß macht.
Es ist ein Zeitvertreib, meine Gedanken in festere Formen zu "pressen".
Aussagen mache ich teils schon. Das ich nicht einfach in Prosaform schreibe
sondern reime, ist ein wenig wie ein Puzzle. Hin- und her probieren, bis dass, was ich sagen will vielleicht etwas schöner daherkommt, als ohne Reim.
Nun bin ich aber auch gern großzügig gegen mir selbst und überlese unreine Reime oder einen holpernden Rhythmus gern. Schreibe es, bin etwas wenig selbstkrtisch
dabei und verspielt. Da ist es dann ganz gut, wenn andere nochmal kritisch drüberschauen, egal wie direkt oder scharf sie sind. Da packt mich dann ein ganz sinnloser Ehrgeiz, noch mehr Spaß, die Klippen zu umschiffen.

Dennoch hänge ich aber nicht mein Leben daran. Es ist nichts Ernsthaftes, nichts wofür ich mich schlagen lassen würde. Es ist ein Reim, ein Rhythmus, nichts was die Welt durcheinander bringt, wenn er mal doch falsch ist, es nicht klappt.
Manche Gedichte sind einfach nur Spaß, andere Gedichte sollen schon etwas aussagen. Philosophisch gewissermaßen meine Haltung zu etwas zeigen.
Ich liebe Gedichte, die etwas völlig Krasses in eine schöne Form bringen.
Eine feste Form liebe ich, nicht, weil sie mir Halt gibt, sondern weil sie es mir nicht leicht macht, weil sie fordernd ist. Dann kann ich probieren und tüfteln,
muss mich anstrengen. Manchmal führt die Suche nach einem Reim auch in eine andere Richtung. Neue Ideen sind da immer gut. Ich opfere aber meine Aussage an Stellen, an denen ich überhaupt etwas aussagen will, nicht dem Klang.
Manchmal werfe ich dann etwas weg, ersetze es aber auch wieder durch etwas in der Aussage zumindest ähnliches.

Was ich auch gut finde ist, dass mich das Schreiben in Kontakt zu anderen bringt.
Mich dazu "zwingt", mich in einer Art zu zeigen, die sich nicht in berufliche oder
andere übliche soziale Rollen fassen lässt. Schon als kreativ, künstlerisch aufzutauchen. Individualität zeigen. Allerdings lache ich auch gern über mich selbst,
über dieses ganze "sich selbst ernst nehmen". Nein, ich nehme mich, glaube ich zumindest, selbst nicht sehr ernst.

Nun ist es schon spät. Ich finde Dein Gedicht gut. Es macht selbstkritisch.
Es fragt einen aus dem Spiegel heraus: Was mache ich eigentlich?
Was treibe ich hier?

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