Die Zeit fällt herab, ein immerwährender Regen aus Warten,
die Jahre schlagen das Land mit stockendem Atem,
Staub deckt die Blumen im Gras und die Teiche...
Dornröschen schläft mit Purpurschimmer im Haar.
Der Küchenjunge, die Katze, die Hühner stehn stumm,
weit fort ist ihr Blick und ruht zugleich in sich,
Dornröschen schläft, doch da es nicht atmet,
ist das Schloss erstarrt und von Wolken gemieden.

Die Dornenranken, die die Mauern umklammern,
sind ohne Getier, keine Biene saugt Honig
aus flammenden Blüten, der Wind lässt die Blätter
unberührt. Dornröschen schläft, seine Arme hängen ins Leere.

Da!

Am Horizont, der nur waagrecht ist, nichts sonst,
erhebt sich ein Staub, aus dem der Prinz kommt!
Er ist gepanzert mit schimmernder Rüstung
und sein Bart glitzert schwarz in der Sonne.
Ohne Wort, ohne Fluch, ohn’ Besinnen zerfetzt er
die Dornenranken, zerschmettert die Türe des Zimmers,
in dem Dornröschen schläft, reißt sie vom Lager empor
und küsst gierig die erkalteten Lippen des Mädchens.
Dornröschen schlägt erstaunt die Augen auf,
erkennt den Prinzen
und lässt die Arme fallen zum Zeichen der Unterwerfung.

Am nächsten Morgen erhebt sich der Ritter vom Lager,
schwingt sich aufs Pferd und bereitet den Horizont,
der nur waagrecht ist, nichts sonst. Das Schloss
ist ein rauchender Schutthaufen, die Gebeine Dornröschens
sind zu weißer Asche zerglüht. Der Küchenjunge
liegt geschlachtet ohne Augen zwischen den Töpfen.
Hund und Katze sind Abfall - staubiges Blut.
Nur Dornröschens Hand ragt aus den Trümmern
– grotesk verwachsener Strauch –
und hält eine Rose.

Diese fällt etwas später
als ihr Geschenk in den Schutt.


© Peter Heinrichs


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