Das gestohlene Möhrchen

© Heike Henning

Ach du Schreck, des Schneemanns Nase,
hat gestohlen heut der Hase!
Wackelte mit seinen Öhrchen
und stibitzte frech das Möhrchen!

Schnurpste es – wie köstlich, köstlich –
im Wald, paar Meter weiter östlich!
War’s doch seine Lieblingsspeise –
sein Magen brummte wohlig, leise.

Der Schneemann weinte Eistau-Tränchen.
Traurig war das frost’ge Männchen:
„Ohne Nase, ach du je,
bin ich nur ein Clown im Schnee!“

Ein Eichhörnchen, so rötlich-keck,
hatte den Dieb im Wald entdeckt.
Schnell schwang’s sich von Ast zu Ast
und ist zum Rehlein hingerast.

„Was, der Has’, er ist ein Dieb?
Eigentlich ist er so lieb!“,
tat sich’s Rehlein wirklich wundern.
„Nun, es ist jetzt nicht zu ändern.

‘ne neue Nase muss gleich her,
der Schneemann trauert gar zu sehr!“
Dem Eichhorn fiel was Tolles ein:
„Ein Tannenzapfen muss es sein!

Schön groß und lang – perfekt als Nase.
Doch, wie bestrafen wir den Hase?“
„Ganz einfach“, tat das Rehlein flüstern,
„wir sagen’s seinen Brüdern, Schwestern.

Auch Papa Hase soll es hör’n.
Er wird sich sicher sehr empör’n.
Ist es doch sein Lieblingssohn!
Das ist nun der Erziehung Lohn.“

Gesagt, getan. Der Tannenzapfen
tat auf ‘nem hohen Baume wachsen.
Das Eichhörnchen pflückte ihn früh
und hatte damit keine Müh’.

Und Meister Lampe? Tat sich schämen.
Er weinte sogar Mitleidstränen!
„Das war von mir recht unbedacht –
das Möhrchen hat mich angelacht!

Da konnte ich nicht widersteh’n.“
Doch die Familie wollt’ ihn nicht seh’n!
„Ein Hase stiehlt nicht, das ist Ehrensache!“,
empörten sie sich, in der Hasensprache.

Mit Schlappohr’n, im Gesicht ganz grau,
schlich er, voller Reue, in den Hasenbau.
„Stopp!“, sprach’s Rehlein, schnappte ihn am Kragen.
„Du wirst dem Schneemann erst „Verzeihung“ sagen!

Schenk’ den Tannenzapfen ihm als Nase!“
Und prompt, gehorsam, tat’s der Hase.
Der Schneemann freute sich. Nahm’s ihm nicht übel.
Eine neue Nase! Sie war gar nicht übel:

„Stehlen wird sie keiner
und ich kann ruhig schlafen!
Bin wieder hübsch und stattlich,
kann nachts sogar mal schnarchen!“,

dachte der Schneemann klug.
Da wurd’ das Häschen froh:
„Ich stehle nie, nie wieder,
auch nicht mal einfach so!“,

gelobte es ganz feierlich.
Das Rehlein rief: „Applaus!“
Als alle jubelnd klatschten,
war die Geschichte aus.


© Heike Henning


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Beschreibung des Autors zu "Das gestohlene Möhrchen"

Schneemann's Nase wurde gestohlen vom Hase! Das Möhrchen ist weg! Doch der Dieb wurde im Wald gesehen...
Ein lustiges Kindergedicht, Wintergedicht, Vorlesegedicht von einem traurigen Schneemann, der bald eine neue Nase bekommen sollte. Das Gedicht könnt ihr auch beim Lese-Fröschlein lesen.

Copyright Text und Bild: Heike Henning

Weitergabe des Gedichtes bitte nur mit Angabe meines Copyrights.
Keine kommerzielle Verwendung.




Kommentare zu "Das gestohlene Möhrchen"

Re: Das gestohlene Möhrchen

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 31.12.2022 9:37 Uhr

Kommentar: Liebe Heike,
da geht mir das Herz auf. Ein schönes Abschlussgedicht für 2022. Dieses Jahr brachte uns leider auch böse Überraschungen.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Das gestohlene Möhrchen

Autor: Heike Henning   Datum: 28.01.2023 3:18 Uhr

Kommentar: Danke, lieber Wolfgang, ich freue mich, dass ich Dich etwas aufheitern konnte. Das Schreiben lenkt mich selber auch manchmal vom Ernst des Lebens ab.

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