Ich war schon vor meiner Geburt
auf Leben und Tod.
Meine Mutter war ungewollt schwanger.
Sie war noch nicht verheiratet.
Damals gab es für Paare keine Wohnung.
Sie lebten bei der Tante meines Vaters.
Die Ärzte im Krankenhaus sagten ihr:
Sie oder ihr Kind werden sterben.
Wir haben es dann zusammen geschafft.
Als 4jährige hatte ich schlimm Keuchhusten,
musste zu Oma und Opa, wochenlang
war ich dort allein ohne Mama und Papa,
um die kleine neugeborene Schwester
nicht anzustecken und in der Klinik zu inhalieren.
Als es mir besser ging, kam ich noch weiter weg,
in die sogenannte Kinderlandverschickung von
Nordrhein Westfalen nach Bayern zur
Luftveränderung und zum Aufpäppeln.
Diese Zeit hat mich verändert.
Man sieht es auf den Kinderfotos.
Vorher war ich ein fröhliches Mädchen.
Hinterher waren die Locken abgeschnitten
und ich schaute ernst in die Kamera.
Ein ganz anderes Kind kam da zurück.
Ich war schwach und dünn damals
aber niemand hat mich getröstet.
Ich musste ja vernünftig sein.
Es war ja auch meine kleine Schwester,
die dann mehr im Mittelpunkt stand.
Ich war an die zweite Stelle gerückt.
Von da an war ich die Stellvertreterin.
Ich war die große Helferin und Trösterin.
Ich war die Geschichtenerzählerin,
die große Schwester als dann noch
ein Mädchen kam, die Babysitterin.
Immer für die Kleinen da und für die Mama auch.
Diese Geschichte holt mich immer wieder ein. Gerade leide ich so unter starken Nackenverspannungen. Es hat sich körperlich verfestigt, was damals alles geschah. Nun muss ich es wieder psychologisch aufarbeiten. Ich weiß nicht zum wievielten mal!
Jetzt bin ich wieder in der Rolle der Ältesten Frau in der Familie, da meine Mutter starb. Und ich wohne am nächsten bei meinem 89jährigen Vater...
Kommentar:Das ist ja eine anrührende Geschichte, liebe Angelika, die einen gewiß ein Lebenlang prägt. Von der Kinderlandverschickung habe ich später auch gehört, allerdings nichts Gutes. Ich selbst war davon nie betroffen. Da ich Einzelkind bin, mußte ich auch auf kein Geschwisterchen aufpassen. Hörte es damals immer nur von meinen Mitschülern, die nicht immer in Begeisterungsstürme ausbrachen. Heute sind es nur noch Erinnerungen. Schicke lG in Deinen abend, Helga
Kommentar:Danke, liebe Helga, ich musste das mal aufschreiben. Manchmal befreit das ja...Da ich erst 4 Jahre alt war, weiß ich auch nicht viel von der Verschickung, nur dass ich vor meinem Mittagessen, das ich erbrochen hatte, sitzen bleiben musste, bis alle fertig waren. Und zur Strafe am nächsten Tag allein in der Ecke am Katzentisch im Jungenspeisesaal essen musste. Auch der Mittagsschlaf, den man im Bett verbringen musste unter Bewachung. Und die lange Zugfahrt, von der ich ein entzündetes Auge hatte, weil das Fenster offen war. Zu Hause durfte ich dann das einzige mal in meinem Leben im Bett neben meiner Mutter schlafen, wahrscheinlich aber nur, weil mein Vater auf Montage war. Sie war nicht herzlos, aber so unnahbar. Meine kleine Schwester kann sich erinnern, dass sie immer auf Mamas Schoß wollte, wurde aber runtergeschubst. Umarmungen gab es nie. Aber sie hat immer mit uns geprahlt bei andern. Das haben wir allerdings uns selbst zu verdanken, weil wir gut in der Schule waren...
Ich hör mal auf. Ich habe ihr verziehen. Sie hatte keine schöne Kindheit im Krieg mit ausgebombt sein, Flucht nach Thüringen und nach Kriegsende wieder zurück, teilweise zu Fuß. Sie das Mädchen mit 3 Brüdern. Aber sie wurde von den Brüdern Feldwebel genannt. Liebe Grüße Angelika
Kommentar:Ohhhh...Gott, was für ein Scheiß hast Du da mitgemacht! Grauenhaft! Ich war ebenfalls ein Verschickungskind. Damals hat man mich nach Karlshafen geschickt. Ich war 6 Jahre alt. Dort sollte ich auch aufgepäppelt werden. Meine Mutter wollte ein Rotbäckchenkind haben, so wie das Kind auf der Fruchtgetränkeflasche. Schön, dicke, volle Backen aber ich war eben quirlig. Bin auch überall herumgemacht. Der Wald war mein Spielplatz und da lässt man eben seine Kalorien raus. Der war bei uns in Sontra damals nur 50 Meter von zu Hause. Dort hatte ich später dann auch mein Baumhaus. Ich war spindeldürr. Bin mit Oma schon immer im Wald herumgesprungen, wenn sie auf Brennholzsuche war. Ich war immer dabei, weil ich meine Oma vergöttert habe. Sie war der Mensch, zu dem ich Vertrauen hatte. Selbst meine Mutter war zweitrangig. Wenn meine Oma nicht schon früh gestorben wäre, hätte ich wohl einen anderen Beruf ergriffen. Hätte was wie Gärtner gelernt oder ähnliches. In Karlhafen haben sie mich dann auch beim Essen zum Kotzen gebracht. Es gab Erbsensuppe mit Speckeinlage. Da sah man noch vom Schwein die Borsten drauf. Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiigitttegittttt! Und ich war damals so ultrapeinlich. Wenn ich einen Tropfen Urin in der Unterhose habe, wollte ich sie schon nicht mehr anziehen und dann solch ein Scheißdreck zu essen. Ich habe dann gar nix gegessen und wurde daraufhin eingesperrt. Diese Geschichte habe ich auch im Internet über Geschädigte veröffentlicht. Nach 6 Wochen kam ich als lebensgefährlich unterernährt nach Hause. Mein Vater ist geplatzt vor Wut und meine Eltern sind dann gleich zu unserem Hausarzt. Der hat die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und meinte ich sollte auf der Stelle in ein Krankenhaus. Das wollten dann meine Eltern nicht. Meine Oma und meine Mutter haben mich dann wieder aufgepäppelt. Ich habe das gekommen was mir schmeckte und nach 2 Wochen ging es dann wieder bergauf. Mein Vater wollte noch vor Gericht gehen, wegen Körperverletzung etc. aber gegen diesen Verein (christliche Organisation) war dann nicht gegen anzukommen. Somit alles im Sand verlaufen. Ich wurde auch ein Jahr später eingeschult. Da hatte ich dann wieder ein Problem mit dem Lehrer der genau die selben Allüren hatte wie diese Schwestern in Karlshafen. Anfänglich war ich schlecht in allen Fächern nur im Zeichnen und Sport nicht. Das hat sich dann mit einem anderen Lehrer gebessert. Scheiße wenn man solch eine Kindheit wie wir hatten. Man wird um die Chance gebracht, ein besseres Leben zu leben und das von Anfang an.
lg Michael
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Habe ich mein Herz an dich verloren.
Und ich weiß schon jetzt:
Irgendwann zwischen Heute und Morgen werde ich es wieder an die Welt verlieren.
Irgendwann zwischen Gestern und Heute.
Wurde meine [ ... ]