Und Sherlock Holmes brüllt wie ein Tier:
"Bestie, lass ab von mir!
Und Moriarty*, du Bösewicht,
Hau' endlich ab, du kriegst mich nicht!
Ich sehe Schatten, die mich jagen,
sie alle woll’n mir an den Kragen."

"Holmes, sorry, dass ich Sie ermahn',
Sie leiden an Verfolgungswahn.
Wann sind Sie endlich wieder clean?
Es ist nämlich das Kokain**,
das Sie fast täglich zu sich nehmen
und süchtig macht, man muss sich schämen.
Ich seh' es Ihren Augen an,
Die Droge zieht Sie in den Bann."

"Nein, Watson, ich bin doch nicht süchtig,
sonst wäre ich wohl nicht so tüchtig.
Aus Langeweile nehm' ich's meist,
Die Droge schärft auch meinen Geist."

"Das Koks bringt Ihnen doch nur Leid,
weckt Geister der Vergangenheit.
Die Mörder, die Sie überführt,
erscheinen dann, was Ängste schürt.
Das Zeug, das wird Sie bald schon killen,
dagegen gibt's auch keine Pillen.
Ich helf' auch gegen Ihren Willen,
Wir werden Ihre Sucht schon stillen.

In Wien gibt's einen klugen Mann,
der einzige, der helfen kann.
Sein Name, der ist Sigmund Freud***
Und keiner hat es je bereut,
sich seiner Kunst zu unterzieh'n.
Auf, auf! Wir fahren jetzt nach Wien!"

Dort treffen sie, nach langer Fahrt
'nen großen Mann mit einem Bart.
Watson fragt ob dieser Mann
Holmes von der Sucht befreien kann.

Freud meint, er sei jetzt schwer in Mode,
und er erklärt seine Methode.

"Für Viele ist meine Kunst ein Segen.
Sie müssen auf die Couch sich legen,
weil ich durch Ihren Geist nun düse,
ich nenn' es Psychoanalyse***.
Diese deckt auf, und sie besiegt,
was unbewusst vergraben liegt,
denn das, was psychisch ist verborgen,
bereitet Ängste uns und Sorgen.
Mit ander'n Worten – es klingt recht dumm –
wir handeln und wissen nicht warum.
Doch werden die Gründe uns bewusst,
finden wir neue Lebenslust."

Und Holmes meint: "Tun Sie Ihren Job
und schau'n mir mal in meinen Kopp."

Freud sagt: "Wir machen jetzt ein Spiel,
Bewusstmachung, das ist mein Ziel.
Man nennt es auch Assoziieren,
Sie dürfen sich jetzt nicht genieren.
Ich nenne Ihnen nun Begriffe,
wodurch ich Ihren Geist umschiffe,
so fühl' ich Ihnen auf den Zahn,
und Sie, Sie antworten spontan,
was Ihnen kommt so in den Sinn.
Nun legen Sie sich bitte hin."

Zuerst wird das Wort "Pfeife" gereicht,
"Tabak" ruft Holmes, "das ist doch leicht!"
Bei "Kokain" wird’s ihm schon heiß,
"Erregung und Freude", sagt er leis,
und beim Wort "Watson" flüstert er zart,
"Hilfe und bester Kamerad."
Bei "Moriarty", die Stirne kraus,
presst Sherlock wütend "Feind" heraus.
Als er dann das Wort "Vater" hört,
sagt er "Soldat", was ihn verstört,
bei "Mutter" gar, wie kann das sein,
hört er sich "alter Drache" schrei’n.
Als Freud zum Ende kommt geschwind,
da heult Holmes längst schon wie ein Kind.

"Des Übels Kern," sagt Freud bewegt,
"wurd' in der Kindheit angelegt.
Ach, Holmes, ich sage, was ich denk',
die Eltern waren viel zu streng.
Die haben Ihnen im frühen Leben
zu wenig Liebe mitgegeben.
Hat Ihre Mutter Sie mit Wonnen
je zärtlich in den Arm genommen?"

Als schluchzend Sherlock dies verneint,
da hat selbst Watson mitgeweint.
Und Holmes, nun schon viel klarer sieht,
als Freud zum Schluss sein Fazit zieht:
"Das Kind muss solche Eltern hassen,
es will, doch kann sie nicht verlassen.
Sie sind noch immer auf der Flucht,
das ist der Grund für Ihre Sucht.
Wenn Sie nun das Problem erkannt,
dann ist die Sucht auch fast gebannt."

Und auf der Straße, nach dem Schreck,
wirft Holmes sein Döschen Koks gleich weg.
"Ich fühle mich wie neu geboren.
Der Mann ist wirklich auserkoren,
der muss ein wahrer Magier sein."
Doch Watson meint nur: "Nein, nein, nein!
Seine Methode, ich ahnte es schon,
ist ähnlich Ihrer Deduktion.
Ihr seid doch beides echte Diven,
was Sie sind unter Detektiven,
das, lieber Holmes, ist nicht gelogen,
ist Freud unter den Psychologen.

Ihnen fehlt Liebe, sagte der Mann?
Da biete ich mich gerne an.
Ich bin zwar keine hübsche Dame,
doch kommen Sie in meine Arme."


P.S.
* Prof. Moriarty ist in einigen Geschichten von Arthur Conan Doyle der Hauptwidersacher von Sherlock Holmes.

** Kokain wurde 1860 von dem deutschen Chemiker Albert Niemann aus Cocablättern extrahiert. Es war also zu Zeiten von Sherlock Holmes schon bekannt und recht beliebt.

*** Sigmund Freud (6.5.1856 - 23.9.1939) österreichischer Neurologe und Begründer der Psychoanalyse. Von Psychoanalyse sprach er erstmals im Jahre 1896 und entwickelte diese in den Folgejahren weiter.


© Pedda/gog 07.06.2013


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Beschreibung des Autors zu "Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud"

Es reizte mich, den arroganten, scheinbar so selbstsicheren Holmes vom hohen Sockel zu stürzen. In der Sekundärliteratur wird an mehreren Stellen seine angebliche Kokainsucht kolportiert. Dies habe ich zum Anlass genommen, hier mal einen schwachen, zerbrechlichen Sherlock Holmes zu präsentieren.

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Kommentare zu "Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud"

Re: Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud

Autor: Alex Anders   Datum: 07.06.2013 15:29 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda,
Superklasse! Durch und durch stimmig und mit Freude gelesen!
Gruß, Alex

Re: Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud

Autor: Annegret   Datum: 07.06.2013 16:49 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda,
wunderbar geschrieben!!! Als Sherlock-Holmes-Anhänger habe ich auch Young Sherlock Holmes von Andrew Lane gelesen. In den bisher 5 Büchern wird viel von seiner Jugend eingeflochten (Vater, Mutter, Musik, Kampfkunst ...). Ich liebe diese Geschichten, obwohl die gemachten Ausführungen nicht zu einem 14-jährigen Jugendlichen passen. Ein kleines Manko, das ich gerne übersehe. Kennst Du die Young-Sherlock-Holmes-Reihe?

Gruß
Annegret

Re: Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud

Autor: Pedda   Datum: 07.06.2013 23:31 Uhr

Kommentar: Hallo Annegret, nein diese Reihe kenne ich (noch) nicht, aber ich werde mal nachforschen. Danke für drn Tipp. Gruß Pedda

Re: Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud

Autor: Pedda   Datum: 07.06.2013 23:33 Uhr

Kommentar: Hi Alex, danke für deinen Superlativ. Mir selbst gefällt es auch bisher mit am besten. Es geht also noch was. Die Themen der Krimigedichte scheinen doch noch nicht erschöpft. Gruß Pedda

Re: Krimigedicht 51: Sherlock Holmes bei Sigmund Freud

Autor: Karwatzki,Wolfgang   Datum: 09.06.2013 2:33 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda,
schon bei der Überschrift von Krimigedicht 51, mit der du Holmes und den urigen Seelendoktor zusammenbringst,habe ich erwartungsvoll geschmunzelt.
Du hast meine Erwartungen weit übertroffen.
Ja,
es kann das absolut beste Krimigedicht bisher gewesen sein.

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