Du hast es mal aus der Ferne gesehen
Das Hellste, das Licht aller Lichter
Im Wald, beim Spazierengehen
In den Augen mancher Gesichter

Hat jedes Mal dein Herz ergriffen
Ein Schmetterling im Magen
Dich aus der Bahn geschmissen
Und in seinen Bann geschlagen

Sahst es manchmal in Drogen
Als Kind im windigen Sommer
Als sich die Vorhänge hoben
Oder im nächtlichen Grollen von Donner

Legte sacht sich ins Auge
Jenseits von Tugend und Schönheit
Jenseits von Intellekt, Natur oder Glaube
Vereint dich mit der Welt in ewiger Hochzeit

Schimmert ein Funke davon so rein
Im gewaltigsten Orgasmus
Und auch ein Lichtlein ganz klein
Schwebt im alltäglichen Rhythmus

Ein Staubkorn im einzelnen Lichtstrahl
Die Momente getragen vom Wind
Verblassen leis‘ ihre Vielzahl
Dein Körper wird wieder zum Kind

Du stehst jetzt direkt davor
Deine Augen tränen vor Grelle
Deine Ohren bersten vom Chor
Und es ruft dich die Helle

Die Schönheit lässt bluten die Sicht
Endlich wahrgewordene Legende
Du wirst gerufen vom Licht
Läufst zu auf dein Ende

Dein Körper – er brennt
Du lässt es geschehen
Realisierst im letzten Moment
Es ist ein Wiedersehen


© IchWillKeinenNamen


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Kommentare zu "Nackte Singularität"

Re: Nackte Singularität

Autor: possum   Datum: 01.08.2020 1:03 Uhr

Kommentar: Ein feines Werk steht hier, gerne angehalten,

lieben Gruß!

Re: Nackte Singularität

Autor: IchWillKeinenNamen   Datum: 01.08.2020 14:51 Uhr

Kommentar: Das ist lieb, possum

“Bleibt ein Weilchen.. und hört zu“

Re: Nackte Singularität

Autor: ThomasNill   Datum: 25.08.2020 7:23 Uhr

Kommentar: Schönes Gedicht, neun Strophen und gereimt.

Besonders gefallen mir die ersten drei Strophen,
die vierte nicht so, "Vereint dich mit der Welt in ewiger Hochzeit"
passt mir nicht so, ist sperrig finde ich,
vielleicht "die Welt feiert ewige Hochzeit"

statt
"Verblassen leis‘ ihre Vielzahl"
lese ich lieber
"Verblasen leis‘ ihre Vielzahl"
das finde ich auch sehr schön dieses Bild.

Bei der Deutung schwanke ich hin und her. Einmal "nackte Singularität"
da denke ich an Physik, schwarze Löcher, deren Singularität sichbar ist.
Ein Deja-Vu, man trifft jemanden, den man schon lange nicht sah.
Man erlebte etwas, was man schon lange nicht mehr erlebt hat.
Etwas ganz Besonderes. Ein Legende. Das kann ein berühmter, allen bekannter Mensch sein, oder etwas, von dem man sich erzählt, was da einmal geschah.
Eine Erinnerung an ein Ereignis.

"Läufst zu auf dein Ende" läßt mich an den Tod denken. Der Text ist aber doch eher leicht und mit vielen Lufsprüngen. Eine Singularität ist etwas Außergewöhnliches, dort passiert etwas, da ist es nicht glatt und ununterscheidbar. Eine Singularität hat Charakter, Individualität. Ende heißt einfach, bei dieser Singularität ankommen.
Beim eigenen Ich, bei sich ankommen?

Bei Deinem Gedicht kann man einiges heraus und hineinlesen. Ein Gedicht über Gefühle.
Das Gefühl vielleicht, aufgehoben zu sein in der Welt. Zu dieser einzigartigen, sichtbaren, nackten Singularität zu gehören. Darin heimisch zu sein.
Ohne darüber nachzudenken, einzuteilen.

Vielleicht nur einfach einen Menschen wiedersehen,
den man lange vermisst hat.

Jedenfalls ein sehr schönes, freies, feines, luftiges Gedicht!

Re: Nackte Singularität

Autor: IchWillKeinenNamen   Datum: 25.08.2020 12:13 Uhr

Kommentar: Danke für deinen Kommentar Thomas.
Der Vers mit der Hochzeit hat mir viele Probleme gemacht - allgemein mit Reimen auf "-heit" tue ich mich schwer.

Inspiration war tatsächlich die Physik. Ich zitiere mal salopp Wikipedia:
"Eine nackte Singularität ist in der allgemeinen Relativitätstheorie eine gravitative Singularität, [...] die aber im Unterschied zu einem Schwarzen Loch nicht von einem Ereignishorizont umgeben ist."

Diese wurden jedoch noch nie beobachtet, sondern nur mathematisch und mit Computersimulationen behandelt.

Wenn man ihr in ihrer wahren, unverhüllten und einzigartigen Gestalt zu nahe kommen würde, so würde man zerissen werden.
Dennoch versucht man sich ihr zu nähern und hinter den Vorhang zu blicken, denn man erwartet sich Schönheit und Erkenntnis von ihr.

Wenn du möchtest, kannst du auch die letzte Strophe aus der Sicht der Physik als Big Crunch interpretieren - die Rückkehr zur Singularität. Daran habe ich beim Schreiben nicht direkt gedacht, aber abwegig finde ich es auch nicht.

Welches Gefühl den werten Lesern und Leserinnen auch auf die Beschreibung eines solchen Objekts passend erscheint, ist ja im Grunde genommen nicht so wichtig - da wird sich jede Person etwas anderes darunter vorstellen.

Grüße,

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