Der Verlobungsring


?Bitte, setzten Sie sich doch, ich komme gleich mit einer Auswahl zu Ihnen?, zuckersüss lächelte die gepflegte Erscheinung ihn an. Adrett sah es hier aus, sehr nobel. Sessel mit rotem Samtüberzug, sicher irgend so eine Louis irgendwas Antiquität. Ein glänzender Kronleuchter hing direkt über seinem Kopf, auch dieser sah ziemlich luxuriös aus. Er erinnerte sich, so einen schon mal in irgend einem Palazzo in Florenz oder Venedig gesehen zu haben.

Die makellose junge Dame kam rotlippig und vollbusig auf ihn zu, setzte sich graziös auf den Stuhl gegenüber, schlug elegant die Beine übereinander und legte ein mit edlem, glänzenden Tuch bespanntes tablettähnliches Etwas vor ihn auf den blitzblanken Glastisch.

?So, das wäre unsere neue Kollektion, hier die goldenen, links oben weissgold oder ein Unikat aus Platin?, äusserte sich die junge Frau. ?An was haben Sie genau gedacht? ?Vielleicht ein Diamantring?? Sie klimperte bei dem Wort ?Diamant? auffällig mit den langen, weichgeschwungenen Wimpern. Ja, sie war hübsch, nettes Figürchen, dunkles, gewelltes Haar. Und sie hatte wunderschöne Zähne.

Verwirrt dachte er über ihre Frage nach. Er wusste überhaupt nicht was er wollte. Vage konnte er sich an den Abend erinnern, an dem ihm seine langjährige Lebenspartnerin detailliert erklärt hatte, wer von ihren Freundinnen alles heiraten oder sich verloben würde. Nur sie, sie sei bald die einzige, die noch keinen Verlobungsring hätte und mit weinerlicher Stimme fuhr sie fort, dass dieser Zustand für sie entwürdigend sei, da sie doch bald dreissig werde. Na ja, er war schon bald vierzig und fand den Zustand durchaus erträglich. Überhaupt war sie, seine Liebste, seit einiger Zeit etwas zurückhaltend, leicht unterkühlt, wenig gefühlsbetont. Ihre dünnlippige Art, ihre mageren Handgelenke, irgendwie konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, dass seine Freundin einen Diamantring an einem ihrer knochigen Finger tragen könnte. Das dünne, blond gefärbte Haar, die rechthaberische Art, ihre spiessigen Eltern, die es nur zu gerne sehen würden, wenn die Tochter endlich mit einem gutverdienenden Anwalt den Bund für?s Leben schliessen würde.

Seine Gedanken drehten sich, etwas in seiner Brust schien eng zu werden.

Was machte er überhaupt hier? Die Frage kam überfallartig, sie erschreckte ihn zutiefst und ihm wurde mit einem Schlag bewusst, dass er die Antwort nicht kannte. Er wusste es nicht. Verloben, heiraten, war es dass, was ER wirklich wollte? Nein! In diesem Augenblick sah er der Verkäuferin direkt in die veilchenblauen Augen. ?Vergessen Sie den Ring, haben Sie heute Abend schon etwas vor??.


© Daniela Affolter-Mangold


0 Lesern gefällt dieser Text.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Der Verlobungsring"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Der Verlobungsring"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.