Seh ich den Mensch vorüber gehen
in der Nacht , am Gleis der Bahn,
bleibt vor mir oft die Frage stehen:
Wer hat ihnen das wohl angetan?
Ob Gewichte ihre Rücken krümmen?
Die Schritte scheinen schwer.
In den Augen fehlt das Glimmen.
Ausgeraubt. Und leer.

Rechts lärmt laut das arisch Weiße,
dass an Herrenmenschen glaubt,
riecht beim Reden so nach Scheiße,
dass es mir den Atem raubt.
Am Bürgersteig in Lederjacke
geht eine Breitlinguhr vorbei,
plötzlich hallt es: „Alter! Kacke!“;
ein entsetzter, kurzer Schrei.

Unter all dem Elend am Ersticken
begraben unter blankem Hohn,
gehetzt von Uhren, die gen Ende ticken,
kreischt verzweifelt die Evolution
weil die Bettler Blut schwitzen,
weil der Winter sich anschickt,
weil sie festgefroren sitzen.
Im Eis, das aus dem Schicken blickt.

Luft, sie riecht nach fiesen Dämpfen,
das Leben schwitzt geschafft.
Der Mensch, anstatt zu kämpfen?
Raubt er sich die letzte Kraft
mit der sie durch die Gassen stressen,
auf die der saure Regen fällt,
den sie aus dunklen Wolken pressen,
an denen man sich krampfhaft hält.

Am schwarz verhüllten Horizont
dämmert Morgen kalt und grau –
wo man hinschaut: Wolkenfront!
Erfrischung, sie schmeckt eklig lau,
es ist kühl. Und ich schwitze.
Es knistert die Natur, der Wald
in tüchtiger Betriebshitze.
Die Flammen lodern eisig kalt.

Es zieht vorbei, ich steh daneben
und frag mich, wo ich bin.
Plötzlich. Denn bis eben
war ich mittendrin.
Es zieht vorbei, ich steh darüber
und weiß nicht, was ich fühl.
Aus einem Feuer wurde Fieber,
das im Kopf brennt. Und zwar Schwül.

Ratlos such ich meinen Mittelfinger,
find ihn in der Faust versteckt.
Mal ehrlich: Nicht mehr so der Bringer!
Schlaff, als sei er drin verreckt.
Ich seh nach oben, seh mich fallen,
von unten hör ich’s grüßen:
Besser sei’s, sich festzukrallen!
Klingt nach kalten Füßen.

Ich suche mich, will mich erinnern,
ich schaue mich im Spiegel an
und frage mich: In euren Zimmern,
seht ihr euch – was seht ihr dann?
Seht ihr es dort vor uns stehen,
das Vergessen? Es kommt nah!
Zeit wird‘s wohl, in sich zu gehen,
sonst ist es morgen letztlich da.

Wenn wir uns nicht zu packen wissen,
dann erwachen sie. Erblinden.
Was heute fehlt und wir nicht missen,
wird kein Kind mehr je noch finden.
Wenn wir uns heute selbst vergessen
dann ist sie morgen weg,
die Traurigkeit wird dann besessen
auf Beton zum roten Fleck.

Ich such und such und strecke
bis auf kaltes Glas die Hand,
vor‘m Raum, in dem ich stecke,
hinter der Gedankenwand,
such ich in jeder kalten Ecke.
Inmitten der Gedankenschlacht
find ich was und recke
nach der Träne, die dort lacht.

Ich lach sie an, schreib sie nieder
und just in dem Moment
lächeln vor mir Menschen wieder
und der Weg, der uns noch trennt.
Ich hol sie raus und schreib sie nieder.
Seht! Für den Moment!
Dort am Ende scheint es wieder!
Das Licht, das sich durch’s Finster brennt.


© Seibastian Deya


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