Sind die lachenden Tage vergangen,
versickert, Glitzernebel im Boden,
halte inne, schweige, schaue, lausche:
Liebe hat so viele Gesichter, und
ganz bestimmt nicht nur das eine, das

dich anlächelt in diesem Augenblick:
Liebe ist das Antlitz aller Gesichter,
der lebenden und toten, und zugleich
ihrer Bilder. Gesichter in Spiegeln, in
prunkvollen, barocken, ziselierten, in

den einfachen, den praktischen, den
zerbrochenen, schmutzigen, blutigen,
Gesichter in nur-noch-Scherben-Spiegeln.
Gesichtern im Wasser des Sees, still
oder zerrissen vom Wind. Gesichter,

die verbrennen im Licht der Sonne wie
Ikarus. Gesichter, die verblassen in den
Monitoren, den Displays, den OLEDs,
die verblassen in Sprachlosigkeit inmitten
der Wörtersintflut. Gesichter, die verloren

bei Kerzenlicht in schwarze Fernsehschirme
starren. Gesichter in den Spiegeln im
Dunkel der U-Bahn. Gesichter in Spiegeln
beim Vorübergehen an den Schaufenstern
der großen Stadt. Gesichter in den Spiegeln

der Straßen, die sich selbst nur noch mit
den Augen der Anderen sehen können.
Gesichter, die mit lautem Lächeln für die
Fotografen leben, als sei eine Kamera der
Garant ihres Lebens. Gesichter in den

nächtlichen Spiegeln der Bars, die an der
Oberfläche schwimmen und still untergehen.
Gesichter all der Ahnen, die nicht viel sahen
von der großen Welt und ihren Gesichtern. --
So ist sie, die Liebe. So ist sie, sie ist jedes

Gesicht und die Summe aller Gesichter,
aller dieser Spiegel und Spiegelungen.
Grenzenlos und still bindet sie Zeit und
Raum. Einzig dein Herz vermag ihr wahres
Gesicht zu erkennen, zeigt sie sich dir.


© by Volker Knapp-Diederichs


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