Es war an einem wunderschönen Sommersonntag im Juli. Mein Heimatort glänzte im Nachmittagslicht und ich beschloss, meinen Garten für ein Weilchen zu verlassen und hinüber, ins Straßencafé zu schlendern.

Schon von weitem bemerkte ich die angenehm ausgelassene Stimmung dort. Gelächter lag in der Luft. Das gefiel mir. Ich nahm an einem leeren Tisch Platz und bestellte mir einen Eiskaffee. Das ist, an warmen Tagen, meine Spezialität.

Hinter mir (in meinem Rücken) unterhielten sich zwei leger gekleidete Männer – ich sage „Männer“ und nicht „Herren“, weil sie auf mich einen offenen und sportlichen Eindruck machten. Sie schienen nicht gerade Kinder von Traurigkeit zu sein, denn sie erzählten sich offenbar einen Witz nach dem anderen. Es könnte auch sein, daß sie andere, aber stets amüsante Dinge miteinander besprachen und zwar in einer Lautstärke, die Optimismus und Tatendrang verriet.

So fing ich an mich wohl zu fühlen. Nebenbei lauschte ich, was es da Lustiges zu erzählen gab, während ich meinen Eiskaffee zu mir nahm. „Ich kannte mal einen“ hörte ich, oder „ich kannte mal eine“.
Fein, dachte ich, wie interessant wohl die Bekanntschaften der beiden gewesen waren? Schließlich hörte ich näher und bewusster hin…

„Ich kannte mal einen, der stand morgens immer ganz früh auf, um sich zuerst zu schminken, als Frau zu verkleiden und sich so ausgiebig zu betrachten. Dann frühstückte er fein, mit spitzen Fingern sozusagen. Nach dieser Prozedur schminkte er sich ab, wechselte die Kleidung, von weiblich auf männlich und ging, wie üblich, seinen Tagesgeschäften nach“.

„Ich kannte mal eine, die ging in den Bibelkreis um dort Kuriositäten zu lernen. Bald ertappte sie sich öfter dabei, daß sie etwas `Schmutziges` sagte. Deshalb wusch sie sich danach sofort mit Seife den Mund aus. Als es jedoch mit ihren üblen Reden so weiter ging, schnitt sie sich kurzerhand die Zunge heraus“.

„Ich kannte mal einen, der leitete Intelligenz von der Fähigkeit, andere Leute zu überlisten, ab. `Was nützt es einem schon groß, wenn man über die Maßen kreativ ist und klug wie beispielsweise Einstein und man lässt sich trotzdem von anderen über’s Ohr hauen? meinte er weise. `Da beweise ich mir doch lieber täglich, wie gut ich jemanden an der Nase herum führen kann, weil er mir eben vertraut`“.

„Ich kannte mal eine, die konnte ihre Dominanz nur ausüben, wenn sie sich umzubringen versuchte. Alle kümmerten sich dann eifrig um sie und sie konnte verlangen was sie auch wollte. Die ganze Zeit zwischen solchen Versuchen verbrachte sie damit, den Menschen der ihr am wichtigsten war zu verunsichern. Mit ihrer gerne ausgeübten Dauerkritik wollte sie sich beweisen, daß sie ihm wichtiger war als er sich selbst“.

„Ich kannte mal einen, der hielt sich für einen ganz famosen Autofahrer. Er fuhr grundsätzlich so schnell es ging und er hielt bei 170 km/h (schneller ging sein Oldtimer einfach nicht) immerhin einen respektablen Abstand von 20 cm von Stoßstange zu Stoßstange. Das sollte mehr als ausreichen, sagte er – außerdem fühle sich der Vordermann dadurch mehr veranlasst beiseite zu gehen. Auf einer zweispurigen Bundesstraße beklagte er sich darüber, daß die Leute nicht links und rechts ganz am Rand fuhren, damit für ihn, in der Mitte, eine Spur frei bliebe. Diese imaginäre Spur nannte er nach sich selbst, die `Christianspur`“.

„Ich kannte mal eine mit einem ganz bestimmten sexuellen Fetisch. Will heißen, sie bevorzugte einen speziellen Typ Mann. Nein, nicht groß, dunkelhaarig, mit Waschbrettbauch. Das nur am Rande! Sie kam sogleich ins Schwärmen, um nicht zu sagen, sie wurde förmlich spürbar feucht, wenn sie einen traf, dessen Vermögen sich auf mehr als 100 Millionen Euro belief. Meisten gab sie dann so lange keine Ruhe mehr, bis sie sich im Bett mit ihm wieder fand. Hübsch war sie übrigens schon auch. Das Ende der Affaire läutet dann aber die Begegnung mit einem `höherwertigen` Mann ein. Derzeit steht sie, wie ich gehört habe, in einer Liaison mit einem Milliardär“.

Um ehrlich zu sein, ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und ich überlegte angestrengt, ob ich da gerade ein paar Schriftsteller belauschte, die sich intellektuell, mit dem Stehgreif-Erfinden von Fantasie-Episoden stimulierten, um dann, zuhause angekommen und „heiß“ geworden, gleich mit dem Schreiben loszulegen.

Meine Überlegungen brachten mich jedoch in einen argen Zwiespalt. Ich sah ein, daß ich vermutlich nicht würde schlafen können, wenn ich die Sache unaufgeklärt ließ. Daher drehte ich mich vorsichtig auf meinem Stuhl um, entschuldigte mich in aller Form und meinte: „Meine Herren, ich muss ihnen gestehen, daß ich ihre ganze Unterhaltung mit angehört habe. Sie sprachen ja auch laut genug. Aber bitte – verzeihen sie mir nochmal, diesmal meine Neugierde – : kennen sie denn auch ganz normale Menschen auf der Welt?“

Kaum hatte ich das gesagt, hörte ich auch schon schallendes Gelächter. Die beiden konnten kaum noch sprechen, so sehr hatte ich sie offenbar amüsiert. „Wir sind ihnen wirklich nicht böse“, ließ einer von ihnen hören, „aber - jetzt müssen sie uns verzeihen – wo leben sie denn? Wir kennen ausschließlich ganz normale Menschen!“

Ich verabschiedete mich nachdenklich, stand auf und ging ein wenig betrübt nachhause. Anscheinend hatte ich die Begabung eine Menge im Leben zu übersehen!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Eine Menge im Leben"

Re: Eine Menge im Leben

Autor: noé   Datum: 31.07.2014 8:50 Uhr

Kommentar: Das wird sicher manchen schmerzen, wenn er sich - ganz normal - hier wiedererkennt. Vorausgesetzt, er liest Deinen Text überhaupt. (...wobei "er" geschlechtsneutral zu sehen ist.)
BiSi noé

Re: Eine Menge im Leben

Autor: Alf Glocker   Datum: 02.08.2014 12:34 Uhr

Kommentar: Er?

Re: Eine Menge im Leben

Autor: noé   Datum: 02.08.2014 12:37 Uhr

Kommentar: Kommentar-Zitat: "...Vorausgesetzt, er liest Deinen Text überhaupt. (...wobei "er" geschlechtsneutral zu sehen ist.)..."
damit ist "manchen" gemeint, aus dem vorherigen Satz...
BiSi

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